Freitag, 9. Dezember 2011
Bagatelle 136 - Katastrophal
Manchmal gibt es das. Man liegt im Bett, schläft den Schlaf des Gerechten, träumt, denkt unabsichtlich an etwas sehr schlimmes, und sofort ist eine leichte Panik da. Heute Nacht war's wieder so weit. Meine Gattin, badend im Angstschweiß, stößt mich und fragt: "Falls nun plötzlich ein Feuer ausbricht, weißt du was du unbedingt zuerst, danach und zuletzt tun mußt?" Leicht irritiert, weil ich selber nicht schlafen konnte, erwidere ich mit: "Na bitte schön, dieses Problem lösen wir morgen früh am ersten, so gut?"

Was Sie hierunter sehen, ist ein Foto aus meiner Heutemorgenzeitung. Wir sehen einen zweigeteilten Zug an einem halbgeschossenen Bahnschranke mit davor eine Hauptstraße. Hinten Häuser, eine Fabrik und, wenn Sie genau hinschauen, hinter den Bäumen, ein Fluß. Auf der Hauptstraße kreuz und quer stehende pkw's und ein Feuerlöschwagen. An dem Bahnübergang ein rotes Auto das offenbar, lavierend zwischen den Schlagbäumen, mit einem der zwei Züge kollidiert ist. Einige Meter vor dem Löschzug stehen die Feuerwehrsleute und sonstigen Helfer und beraten wie sie fortfahren.



Sie haben recht: irgendwas an diesem Foto stimmt nicht. Das Bild ist unwirklich friedlich. Das Bild gibt uns nicht den Hauch oder die Idee eines schlimmen Unfalls. Es ist auch kein tatsächliches Unglück was passiert: es ist ein Katastrophenübungsplatz was wir hier sehen. Das Blut ist Tinte, die Wunde wird angedeutet, getäuscht und aus Fensterkitt hergestellt, der Unfallverletzte ist ein gemieteter Schauspieler, Zug und pkw sind geordnet ungeordnet dahingestellt. So ähnlich sieht ein schrecklicher Unfall aus. Die Katastrophenbekämpfer proben den Ernstfall. Sie tun das mit einem Katastrophenbekämpfungsplan oder etwas ähnlichem.

"Vorsorgen" ist ein schönes Verb; noch schöner als das offizielle "Vorsorge treffen". Du willst eine schreckliche Situation Herr bleiben und wenn möglich vorbeugen, und darum ist es klug und weise darüber nachzudenken, welche Situationen bedrohend sein können und wie man sich darauf adäquat vorbereitet. In meiner Jugend hockten Vater, Mutter und wir, die Kinder, zusammen in einem Raum mit geschlossenen Fenstern, wenn es denn donnerte und blitzte. Es könnte ja einschlagen. Darum hatte meine Mutter immer einen kleinen Koffer dabei, worin sich unter anderem etwas Geld, die Feuerversicherungspolice, die Pässe, plus einige ihrer Kronjuwelen befanden.

Fast immer wirst du unerwartet und unvorbereitet von einer Katastrophe getroffen. Es gibt zwar die Fernsehwarnung, aber du denkst: so schlimm wird's wohl nicht kommen. Oder: vielleicht passiert es in Ost-Brandenburg oder in Raunen an der Luhre, aber nicht bei uns. So betrügt man gewissermaßen sich selber.

Zwei Gedanken streiten um Vorfahrt. Der erste Gedanke ist, daß es weise und klug ist Vorsorge zu treffen gegen Unglücksfälle die jeden treffen können. Eine Unfallsversicherung ist keine schlechte Idee partout. Die redliche Stimme in mir sagt, daß es weise ist vorher nachzudenken über mögliche Kalamitäten. Jedes vernünftig denkendes Altersheim hat einen Katastrophenplan im Falle einer notwendigen Evakuation der Bewohner. Die andere Stimme in meiner Brust behauptet, daß es in meinem persönlichen Falle unmöglich ist ein kluges Katastrophenplan aufzustellen. Ich kenne mich: wenn tatsächlich Not an Mann kommt, vergesse ich den Plan und tue das, was mir mein Herz zu tun rät.

Noch etwas kommt dazu. Manchmal denke ich, daß das Aufstellen eines Katastrophenplanes das Unglück gerade herbei lockt. Götterversuchung, so etwas. Ob der Teufel im Spiel ist. Hast du gerade ein Szenario fertig für den Fall, das dir beim Fleischbraten die Flamme in die Pfanne schlägt, geschieht dies am nächsten Tag. Ohne Pfannenbrandszenario inklusive Katastrophenplan wäre überhaupt nichts passiert, glaub' ich zu wissen. Und wenn die städtische Straßenbahn nach viel palavern und hin und her überlegen ein neues Katastrophenplan ausgedacht hat, geschieht ein Unfall, wobei man nachher feststellt, daß an einiges wichtiges nicht gedacht worden ist. Ungewollt natürlich, aber dennoch.

Den nächsten Morgen fragt mich meine Frau: "Nun, woran denkst du zuerst, wenn hier im Hause unverhofft ein Brand ausbricht?" Ich erwidere: "An nichts, denn seit keiner hier im Haus mehr raucht, ist die mathematische Chance daß ein Feuer ausbricht, gleich null." "Gut," sagt sie, "ich weiß es. Zuerst müssen die Fotoalben gerettet werden." "Oké," beschließen wir, "somit ist nun Punkt Eins der Tagesordnung erledigt. Wer von uns beiden die Alben rettet, sehen wir wenn 's dann so weit ist."

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