Samstag, 11. Juni 2011
Bagatelle 109 - Kreuz & Quer GmbH
Den Kreuzschnabel kennen Sie wahrscheinlich so wie ich ihn kenne. Also nicht höchstpersönlich, sondern aus einer Vogelenzyklopädie oder aus sonstigen wikipedia-artigen Quellen. Das meist imposante Merkmal dieses Finkensortes ist der Schnabel. Der ist bei diesem Samenfresser so entworfen, daß Ober- und Unterschnabel sich am Ende kreuzen. Das soll ihm ermöglichen die Samen, welche er beim Frühstück zu sich nimmt, aus ihren Hüllen zu entfernen. Vielleicht hat Ihnen in der Schule die Frau Lehrerin erzählt, daß es mehrere Sorten Kreuzschnäbel gibt. Zum Beispiel den Fichtenkreuzschnabel oder den schottischen Kreuzschnabel. Aber daß es auch Kreuzschnabelhühner gibt, wußten Sie noch nicht. Oder?

Doch, es gibt sie. Unser jetzt nur noch einziges Huhn erschien eines Morgens mit einem Kreuzschnabel. Wofür sie den brauchte, hat sie mir nicht verraten. Der sie begleitende Hahn - dessen gelbes rechtes Bein Sie am oberen Bildrand gerade noch sehen, wie auch (rechts unten) Madame Terra's zierliche Zehe - und ich waren der Meinung, daß ein solcher Schnabel kein Zeichen des Fortschritts war. Gestern konnte sie die kleinen Körner noch leicht und easy zu sich nehmen; heute aber war das Picken eine ziemliche Qual. Auch das Reiben des Schnabels gegen einen vorbeikommenden Stein um die Schnabelteile gerade zu rücken half nicht. Bis jetzt – und das ist jetzt schon fast ein dreiviertel Jahr – ist der Kreuzschnabel geblieben.



Unser Huhn aber weiß sich zu helfen. Sie pickt jetzt am liebsten die gröberen Maiskörner oder die faßbaren Regenwürmer. Das sie sich wohl fühlt, sieht man an ihrem schönen roten Kamm. Auch das Eierlegen hat nicht nachgelassen. Und, sagt sie, wenn auch der gekreuzte Schnabel seine Nachteile hat, Vorteil ist immerhin, daß man darüber eine Bagatelle schreiben lassen kann.

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Samstag, 4. Juni 2011
Bagatelle 108 - Dachschaden
Wenn Sie Bilderrätsel mögen, habe ich für Sie eine interessante Aufgabe. Hierunter zeige ich Ihnen zwei Bilder von ein und demselben Objekt. Was mag das wohl sein? Um Ihnen das Problem etwas zu erleichtern, mache ich aus der Aufgabe eine multiple-choice Version.





Wir sehen:
• eine Süd-ägyptische Wassermelone
• eine Münstersche Verkehrsampel im interbellum zwischen rot und grün
• eine aufgeblasene Schweineblase
• keins der obigen drei Alternativen

(Hier fünf Minuten Denkpause einlegen.)

Nein, es ist keine Wassermelone, keine orange-farbige Ampel, keine zum Fußballspielen aufgeblasene Schweineblase. Es ist - man möge mir verzeihen – mein eigenes, höchstpersönliches Scheiteldach. Fragen Sie mich bitte nicht wie es fotografiert worden ist. Ich weiß nur daß es von oben war. Es ist ein Selbstporträt.

Mit einiger Zurückhaltung möchte ich um Ihre besondere Aufmerksamkeit bitten für die Dachbedeckung. Nennen wir’s beim Namen: für die wenigen noch verbliebenen Haare.
Früher war ich gesegnet mit einem, sagen wir normalen, schwarzfarbigen Haarwuchs. Später kam der Ober- und Unterlippenbart dazu. Im Laufe der Zeit haben sich zwei Sachen drastisch geändert. Erstens ist die Anzahl Scheitelhaare stark reduziert. Jetzt gibt es nur noch einige dünne Haarsträhne, die ich mir so kurz wie möglich schneiden lasse. Zweitens gibt es die Haarfarbemetamorphose: von tiefschwarz über quasi-intelligent-grau zu einem leuchtend weiß. Das grau-weiße deutet auf das zunehmende Alter und die abnehmende Schlagfertigkeit. So hat jedes Alter seine eigene Haare.






Auffallend sind auch die anwesende Narben auf meinem Scheitel. Zeugen früherer Unfälle. Eins kann ich Ihnen versichern: je älter man wird, je mehr Kopfhaare man verliert, je mehr man sich den Kopf verwundet. Ich gehe in den leeren Hühnerstall um meine Gartenutensilien abzustellen, und wieder einmal stoße ich mir den Kopf weil ein Balken mir nicht aus dem Wege gehen will. Es geschieht viel öfter als früher.

Ach, sagen Sie vielleicht, was schert mich Terra mit seinem Dachschaden. Ich hab’ schon andere Sachen am Kopf! Und recht haben Sie.

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Samstag, 28. Mai 2011
Bagatelle 107 - Friedhöflicher Neuanfang
Irgendwo mag ich sie. Friedhöfe meine ich. Vor allem in Großstädten sind sie Oasen der stillen Ruhe und Schau- und Hörplätze zahlreicher Singvögel welche in diesem Maimonat uns ihr fantastisches Oeuvre hören lassen. Nein, im Gegensatz zu denen, die in einem Friedhof am liebsten nicht, und wenn, denn so kurz wie möglich, verweilen, kehre ich gerne dort ein. Ich gehe die Pfade entlang, betrachte mir die Gräber und lese die Namen. Oft fällt mir auf wie sorgsam manche auch alte Gräber versorgt werden. Auch sehe ich, daß einige Familien es vermeiden die Grabsteine ihrer verstorbenen Verwandten dann und wann von Vogelhinterlassenschaften zu befreien.

Unlängst waren wir wieder auf dem Zwillbrocker Friedhof. Zwillbrock ist ein kleiner Flecken irgendwo zwischen Enschede (NL) und Gronau (D). Berühmt ist der Ort weil sich hier sowohl eine Möwenkolonie als ein Flamingoparadis befindet. Aber wirklich sehr besonders ist die Barockkirche die fast genau auf der Grenze zwischen Deutschland und den Niederlanden steht. (Die holländischen Katholiken, die derzeit [17-19. Jahrhundert] dort nicht sehr angesehen waren, gingen in Zwillbrock zur Messe.) Wie es auch sei: fast immer wenn wir dort vorbeifahren, besuchen wir die Kirche und den Friedhof. Und einige Zeit später gestatten wir uns beim Gastwirt am Kloppendeich ein kühles Bier.



Hier sehen wir das Familiengrab der Familie Startmann. Nein, nicht Stratmann, dieser quasi-komische WDR-Kabarettist der in seinem früheren Leben mal Arzt gewesen sein soll. Diese Familie heißt Startmann. Vater Heinrich ist 1998 verstorben. Seine Ehefrau mit dem schönen Namen Helene folgte ihm 2009. Die verschieden farbigen Buchstaben auf dem Grabstein zeigen die elf Jahre Unterschied.



Vorsichtig und stille nähere ich mich dem Grab, sehe wie gut die Familie das Grab gepflegt hat und wundere mich. Über den Namen. Denn darüber kann ich stundenlang philosophieren. Über die Tatsache daß jemand, der sein irdisches Leben definitiv beendet hat, den Namen Startmann trägt.

Einige wenige gläubige Leser werden vielleicht behaupten, daß Herr Startmann einen guten, richtigen, passenden Namen trägt. Weil jetzt nach seinem Tode ein neues, ewiges Leben anfängt.

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Sonntag, 22. Mai 2011
Bagatelle 106 - Pferdesprache
Das Pferd, der Rappen, der Gaul, der Fuchs, der Braune, der Scheck, der Falbe, das Roß, der Zelter, die Blesse, der Springer, der Klepper, die Stute, der Schimmel, der Hengst, der Wallach, die Kracke, …

Alles Bezeichnungen für den edlen Vierbeiner. Die Reihe ist längst nicht vollständig; ich nehme an daß Sie imstande sind noch einige andere Pferde-Namen zu nennen.

Wie komme ich zu Pferd? Das ging so. Vor vielen Jahren habe ich Versuche angestellt die deutsche Sprache einigermaßen zu beherrschen. Einmal die Woche, an Montagabenden im Winter, vier Stunden Deutschunterricht. Bei den Idiom-Übungen hatte unsere Klasse die Gewohnheit wöchentlich bei einem willkürlichen Wort ( z.B. Sitzmöbel, Insekten, Farben, Transportmittel) so viele deutsche Kennwörter und Synonyme wie möglich zu suchen. Irgendwo in meinen Notizen fand ich obere Reihe Pferd-Bezeichnungen. Sehen Sie selbst. Unten.



Meine Ahnen waren fast alle Pferdekenner und Pferdeliebhaber. Von Hause aus Bauern wußten sie wie man mit Pflug und zwei Pferden den Acker bestellt. Oder wie man den Wallach vor der Kutsche spannt um mit der geliebten Ehefrau dienstags zum Markte zu fahren. Mein Großvater väterlicherseits war in seiner Militärzeit (noch vór dem erste Weltkrieg) Kavallerist, er war also bei der Reiterei. Besser gesagt: er war Pferdebursche. Auf dem Bild – stammend aus der vorvorigen Jahrhundertwende - zeigt er sich reiterisch vornehm irgendwo in der Kaserne zu Wesel. Später als er in die Niederlande umgesiedelt war, fuhr er morgens mit zwei schwarzen Friesen vor dem Leichenwagen die Verstorbenen zum Friedhof. Nachmittags zogen die beiden Pferde die Roggenernte nach Hause. So ging das damals.



Sein Sohn, mein Vater, hatte gar nichts mit Pferden. Er las - ungewohn für einen Bauerssohn - viel lieber Bücher, als daß er sich Sorgen machte über ein unwilliges Pferd oder über eine kranke Kuh im Stall. Er wußte überhaupt nicht wie viele Kühe im Stall ihren Platz fanden. Und wie die Pferde auf dem Hof bei Namen hießen, wußte er auch nicht. Nein, er hatte nichts mit Pferden.

Wie bei vielen anderen Sachen bin ich auch hier ein Zweifler. Ich habe keine besondere Beziehungen mit Pferden. Ich hab’ auch nichts gégen die. Aber gerne denke ich an den Pferdegeruch auf meinem Großvaters Hof. Opa hatte eine große Pferdekammer, wo alles lederne Zaumzeug aufbewahrt wurde. Wie herrlich das duftete!
Nein, Pferde lassen mich ziemlich kalt. Auch der geschenkte Gaul.

* Frau Margot Pouw danke ich dafür, daß sie es erlaubt hat, daß ich Ihnen ihre hübsche Aufnahme des Pferdegesichtes zeigen kann.


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Dienstag, 17. Mai 2011
Bagatelle 105 - Hören und sehen
Heute lese ich beim Frühstück eine amüsante Kolumne. Der Autor ist Jan Mulder, Vater von Youri Mulder; beide sind einigen sportlichen unter ihnen vielleicht besser bekannt wegen ihren Fußballkünste aus vergangener Zeit. Jan Mulder spielte bei Ajax Amsterdam und bei Anderlecht in Brüssel. Sohn Youri u.a. bei Schalke 04. Vater Jan Mulder ist was Platini in Frankreich, George Best in Nord-Irland und Kaiser Franz Beckenbauer in Deutschland ist. Und der göttliche Johan Cruijff steht über ihnen. Der aber ist kein Schriftsteller. Der läßt seine Geschichten von einem angeheuerten Ghostwriter schreiben.

So nicht Jan Mulder. Der ist sein eigener Ghostwriter. Ich lese seine rührend-komische Geschichte und höre inzwischen synchron seine sonore Stimme irgendwo mitten in meinem Kopfe. Ein typisch-unverwechselbarer Strom von Tönen, Vokalen und Zischlauten mit hin und wieder einem unverkennbaren nordniederländischen Akzent.

Bei mir bilden das sehend Lesen und das Hören eine Zwei-Einheit. Wenn mir die Stimme des Autors unbekannt ist, (zu Zeiten Shakespeare oder Tolstoi war sogar der Plan noch nicht geboren daß ich einmal geboren sein würde,) wenn ich also die Stimme des Autors nicht kenne, höre ich mich selbst. Inner Speech nennt sich so was. Aber wenn ich die Stimme einmal gehört habe, und sie mir seitdem beigeblieben ist, höre ich die Stimme des Autors. (Oder der Autorin, aber das brauche ich Ihnen wohl nicht mehr zu sagen.)

Unlängst nahm ich die Probe aufs Exempel. In einem deutschen Buchladen bekam ich zufälligerweise ein Buch in die Hand von Hellmuth Karasek. Ihnen allen wohl bekannt. Auch ich kannte ihn: flüchtig, vom literarischen Kabarett. Nicht sosehr sein Gesicht, sondern vielmehr seine Stimme hatte ich im Gedächtnis. Und als ich anfing zu lesen, hörte ich séine Stimme. Und ich bin ziemlich sicher, daß das auch bei einem anderen Autor, den ich einmal hatte sprechen hören, der Fall gewesen wäre.

Ich sehe das Bild einer bestimmten Person auf dem Fernsehflachbildschirm. Ich denke nach über die Frage wer es sein mag, und erinnere mich sofort die Stimme. Und wenn ich im Rundfunk ein bekannter Politiker seine Weisheiten verkünden höre, weiß ich meistens sofort um wen es sich handelt. Aber wie er aussieht, kann ich Ihnen nicht genau und gleich sagen.

Stimme und Person sind unzertrennlich. Jedenfalls in meinen Augen. Darum bin ich ein Gegner der in Deutschland favorisierten Methode der Synchronsprachen. Haben Sie je Doris Day oder der General Charles de Gaulle in einer deutsch-synchronisierten Filmfassung sprechen hören? Und wissen Sie auch wie ihre Stimmen in Wirklichkeit klangen? Dann brauche ich Ihnen wohl nichts mehr zu erklären.



Dieser Tage wurde hier bei uns in den Niederlanden ein Dokumentarfilm über die (inzwischen sehr beliebte) Prinzessin Maxima ausgestrahlt. Anlaß ist ihr 40ster Geburtstag, heute, zu dem wir ihrer königlichen Hoheit selbstverständlich herzlich gratulieren. Demnächst erscheint eine alternative Filmassung im deutschen Fernsehen (ARD höchstwahrscheinlich). Und was geschieht mit Maximas Stimme? Sie haben es erraten: sie wird wegsynchronisiert. Das letztere hab ich vom Hörensagen, nicht vom Hörensehen.

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Mittwoch, 11. Mai 2011
Bagatelle 104 - Vorhersage
Es mag wohl stimmen, daß es die besten Freunde sind, die einem ungeschoren die Wahrheit sagen. Angebliche Freunde verstecken die nackten Tatsachen unter einer Decke von Vermutungen und beschönigenden Äußerungen im Sinne ’daß jedermann wüßte, daß es in Wirklichkeit niemals so schlimm sein kann’. Richtige Freunde (Fründe sagt man wohl in Köln) sagen mir geradeaus und mitten ins Gesicht wie es um mich steht. Es gibt kein Pardon, sondern Ehrlichkeit.

Aber manchmal tut’s weh. Wenn zum Beispiel ein richtiger Freund aus familiären Kreisen mir ein Bild schickt mit, wie er meint, einer deutlich vorhersagende Bedeutung und Wirkung. Er glaubt in dem Bild die zukünftige Familie Terra zu sehen. Er möchte es keine Vorhersage nennen, sondern schon eine Weissage. So wird es einmal sein; so wird’s geschehen.



Was sehen wir auf dem Bild? Ein alterndes Ehepaar das an einem schönen Sommersonntagabend wie üblich beim Klang des Harmoniums ein Duett zu singen versucht. Glänzend dargestellt, das schon. Von einem unzweifelhaft hohen ästhetischen Wert. Aber wenn dieser abgebildete Zustand unser Vorland sein soll, sei es in dutzenden von Jahren, so wird man schon nachdenklich. Werden Sie alle es erleben, daß einst Frau und Herr Terra ihren Lebensabend an Sommersonntagen in dieser Weise füllen? Der Lieferant der Weissage wird diese Frage bejahen. Aber wir selber werden durch diese Vorhersage von Besserwissern zu Zweiflern.

Aufmunternd an der Geschichte ist nur der Text an der Wand. Er ist auf Friesisch – Ostfriesisch oder westlicher, das sei dahingestellt – und bedeutet sinngemäß: Tue deine Pflicht und laß die Leute nur reden. Wir wissen’s besser, sagt der Vorhersager. Wir aber lassen ihn reden.


Nachlese: Der Text an der Wand lautet originell: Doch dyn plicht en lit de ljue rabje.

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Mittwoch, 4. Mai 2011
Bagatelle 103 - Steinbrot
Unlängst hat es bei uns wieder mal fix gebrannt. Lichterloh, könnte man, wenig übertreibend, sagen. Das Beiwort ’fix’ läßt vermuten, daß die Brennerei verbunden war mit Furcht und Elend. Das Gegenteil aber war der Fall: wir nutzen Feuer und Hitze um unser Brot zu backen. Und das Feuer wurde höchst persönlich von mir selber gelegt. In unserem steinernen Backofen.



1945, als der Krieg vorbei war, hatte mein Schwiegervater die nicht so schlechte Idee sich einen Backofen bauen zu lassen. Aus feuerfesten Steinen, unter Dach und Fach, in einer kleinen Scheune hinter dem Hof. Dadurch, meinte er hoffnungsvoll, werden wir im Zukunft unabhängig von den Launen der Geschichte, indem Politiker es den Bäckern unmöglich machen ihr Handwerk nachzugehen.



Wann backen wir unser eigenes Brot? Sehr unregelmäßig, ab und zu, wenn es uns zu Mute ist. Wenn schon, denn so um den längsten Tag, halb Juni etwa. Dabei ist die Nachbarschaft, und sind die Bekannten und Familienmitglieder weit und breit herzlich eingeladen.

Wir machen entweder unseren Teig selber – das Brotteiggeheimnis der Madame Terra werde ich ihnen aber nicht verraten – oder wir lassen uns den Teig von einem befreundeten Bäckermeister hier aus der Gegend besorgen. Zuerst wird der Teig noch einmal gründlich geknetet, wonach er noch eine halbe Stunde Gelegenheit bekommt aufzugehen. Und dann geht’s in den Ofen.



Das Heizen des Ofens ist meine Spezialität. Es geschieht mit Dünnholz das schon Jahre irgendwo draußen vor sich hin trocknet. Es dauert eine Stunde und muß sorgfältig vonstatten gehen. Ist der Ofen zu heiß, verbrennen euch die Brote. Ist er zu kalt, werden die Brote nicht gar. Eine Sache von Erfahrung, Gespür und Gefühl, das ist es.



Aber dann! Nach diesmal 24 Minuten Backzeit kamen die ersten Brote heraus. Wie das duftet! Wie das schmeckt! Am leckersten sind die frischheißen selbstgebackene Butterbrote wenn man sie mit ein wenig Butter und Marmelade bestreicht. Und noch ein Tipp von mir. Nach zwei Tagen wird das Brot trocknen und verliert an Geschmack. Legen Sie es in die Tiefkühltruhe. Nach Wochen rausholen, ziemlich dünn schneiden und ab in den Toaster. Es scheint als käme der Geschmack und die Wärme zurück.



Noch mindestens zweimal dieses Jahr heizen wir den Steinofen. Zuerst an dem Tag wo der Frauenchor der örtlichen Landfrauen, dem Frau Terra angehört, zu Besuch kommt. Und dann später in der Zeit, wo die Tage schon wieder anfangen kürzer zu treten. Die Nachbarn, die Familie, der Bekanntenkreis, wir selber: alle freuen sich schon jetzt.

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Freitag, 29. April 2011
Bagatelle 102 - Links herum, rechts herum
Jedes Jahr, am 30. April, können Sie mich in unserem Gemüsegarten arbeiten sehen. An diesem Tage – das Feld ist vorher gründlich vorbereitet – werde ich meine Bohnen der Erde anvertrauen. Dazu setze ich etwa 60 Zentimeter von einander entfernt Paaren van Bohnenstangen, zwei gegenüber einander. Die sind, zumindest für dieses Jahr, zu einander verdammt. Ich biege sie einigermaßen nach einander und mit einer anderen Bohnenstange quer über die restlichen Paare wird ein festes Gebilde errichtet. Nichts besonderes also. Das heißt bis sóweit.



Das écht Besondere geschieht nach einigen Wochen. Sobald die Bohnen in der Erde, sich aufwärts bewegend, die Sonne über der Erde entdeckt haben, fangen sie an in einem kolossalen Tempo zu wachsen. Sie bilden lange Ausläufer und suchen dabei Unterstützung und Festigkeit an den von mir gesetzten Bohnenstangen. Das Ende jedes Ausläufers wickelt sich um die Bohnenstange. Und meine Bohnen machen das rechtsdrehend. Immer rechtsdrehend! Nur rechtsdrehend.

Menschen haben eine Vorliebe für links, pardon für links-herum. Das gilt ebenso dem Formel-I-Fahrer der die Strecke auf dem Nürburgring immer links herum fährt, als sein sportlicher Geselle der im Stadion die 10.000-Meter läuft. Achten Sie mal darauf. Immer links herum. Beim Eisschnellauf, oder beim 6-Tage-Rennen: immer links herum!
Leute, wie ich, die von sich selbst fälschlich behaupten etwas von der Materie zu wissen, machen die Tatsache, daß das Gehirn aus zwei Hälften besteht, dafür verantwortlich. Ob jemand linkshändig oder rechtshändig ist, ist eine Frage derselben Art. Sei es darum.

Vor Jahren, als ich die Gewohnheiten meiner Bohnen noch nicht so gut kannte, habe ich mal versucht sie entlang der Bohnenstange zu führen. Ich wies ihnen sozusagen den Weg, schrieb ihnen quasi vor welchen Weg sie zu gehen hatten, und band sie vorsichtig an den Stangen. Dabei ging ich meinen gewohnten Weg links-herum. Nach einigen Tagen sah ich, daß die von mir so angebundenen Bohnen zu sterben drohten. Die Ursache war die unnatürliche Linksdrehung.

Was lehrt uns diese Geschichte? Daß jedes Leben, auch die einfachste Stangenbohne, eine immanente Intelligenz besitzt an der wir nicht und niemals rütteln sollen. Wenn eine Bohne rechts-herum gehen will, müssen wir dies in allen Fällen akzeptieren und respektieren. Dafür gibt es eine, für Menschen nicht zu verstehende, Bohnenbegründung. Zweitens sollte uns diese Bohnenweisheit zu noch mehr Bescheidenheit aufrufen. Und Achtung und Ehrfurcht vor alles lebende.

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Samstag, 23. April 2011
Bagatelle 101 - Sachverstand
So ab und zu überfällt es einem: in einer alten Truhe findet man eine ebenso alte Schachtel mit einigen nicht jüngeren, fremd anmutenden Gegenständen. Aus der Eiszeit vermutlich, aber vielleicht ist das übertrieben. Was ich gefunden habe möchte ich Ihnen gerne bildlich vorstellen. Wir wollen es folgendermaßen handhaben: ich zeige Ihnen die Bilder und Sie sagen mir welche Bedeutung und Funktion der Gegenstand hat. Abgemacht?



Nein, so geht’s nicht. Aber das hier ist der gesamte Inhalt der Schachtel in der oben genannten Schublade. Durch kräftiges Blasen habe ich den meisten Staub entfernen können. Aber so gesehen und so auf einen Haufen geworfen ist es unmöglich Form, Funktion und Name einzelner Gegenstände zu nennen. Man bekommt Anfechtungen Vermutungen anzustellen: ist das da nicht ein napoleonischer Bücksenöffner, und das andere dort nicht solch ein komischer Korkenzieher aus dem Mittelalter?

Besser ist’s, wenn ich Ihnen hier unten die Gegenstände solo präsentiere. Dann können wir alle uns völlig und ausschließlich auf das eine Objekt konzentrieren. Und indem wir argumentieren, kombinieren, deduzieren, folgern und reduzieren (nicht unbedingt in dieser Reihenfolge) gelangen wir schließlich zum Ziel: die Bedeutung des Gegenstandes.







Ich gebe es zu: von zwei von dreien wußte ich weder Namen noch Funktion. Aber mit Hilfe von Frau Terra wurde das Geheimnis gelöst. Und wie stolz auf mich selber war ich, daß meine – selbst erfundene - dritte Lösung die Richtige war!

Jetzt sind Sie dran. Wenn Sie mögen, teilen Sie mir hier unten Ihre Lösung in einem Kommentar mit. Viel Spaß beim Raten! Sie haben einige Ostertage zeit. Nachher werde ich Ihnen die Lösung sagen.

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Sonntag, 17. April 2011
Bagatelle C - Kabinett der Nutzlosigkeit
Jeder, der etwas auf sich hält, sammelt. Manche suchen allerwegen nach Briefmarken aus subtropischen Ländern, manche andere bauen sich ein speziales Zimmer an der Wohnung, wo sie ihre Bierdeckelsammlung ausstellen. Ein beliebtes Sammelobjekt ist die hindenburgsche Streichholzschachtel oder, wenn man genug Geld und Muße hat, ein rembrandtesker Stich. Es gibt nichts auf der Welt was nicht gesammelt wird. Es seien denn die hochgiftigen Pilze aus den ostpolnischen Wäldern die man vorzugsweise aus dem Wege geht.

Ichselber sammle seit meiner Kindheit. Es fing damit an, daß ein Schüler der sechsten Klasse verbreiten ließ, daß es eine Belohnung gäbe für jeden der eine Liste von tausend Automobilnummernschildern aufweisen konnte. Darauf setzten wir uns an der Straßenecke und notierten fleißig die Nummer der vorbeirasenden Fahrzeuge. Später, als sich zeigte, daß die angekündigte Belohnung eine Ente war, fing ich an kleine Sachen zu sammeln. Zum Beispiel Briefmarken aus den Niederlanden und Niederländisch-Indien (das es damals nicht mehr gab, aber trotzdem eigene Briefmarken kleben ließ.) Oder Zigarrenkistenaufkleber und Bilder von Fußballspielern oder Filmstars. (Zehn Fußballer für eine Ava Gardner.)

Heute sammle ich nur noch nutzlose Sachen. Das heißt: ich sammle nicht strategisch und wissenschaftlich verantwortet, sondern beiläufig. Wenn ein nutzloser Gegenstand mir auf den Weg kommt, wird er mein. Koste es was es wolle, aber umsonst oder für höchstens zehn Euro.
Es gibt drei Bedingungen:
- erstens soll der betreffende Gegenstand zu etwas in der Lage sein, etwas können also, was andere Gegenstände viel besser können. Eine Uhr die schätzungsweise angibt daß es etwas nach sieben Uhr ist, statt zu sagen: es ist genau 7.12 Uhr und 24 Sekunden, ist ein Beispiel und Vorbild.
- zweitens soll der Gegenstand zu irgendeiner Leistung imstande sein. Das lautere Dasein in Schönheit genügt nicht. Er muß den Anschein wecken das Leben des Erwerbers bereichern zu können. Einen Hauch von Nutzen verbreiten.
- Der Gegenstand muß seine Funktionstüchtigkeit mindestens einmal unter Beweis stellen. (Beispiel: wenn ein Apparat behauptet er würde um Hilfe schreien können, muß er mindestens einmal laut und von allen hörbar HILFE gerufen haben.)

Jetzt sind wir soweit daß wir für all unsere nutzlosen Sachen eine passende Bleibe bereitet haben. Es ist eine Art Vitrine, das wir stolz auf den Namen: das Kabinett der Nutzlosigkeit getauft haben.
Einige bewahren in ihrer Vitrine kostbares Meißen auf. Wir dagegen freuen uns auf den Anblick nutzloser Gegenstände. Wie der kleine keramik Rundfunkempfänger der höchstens einen Regionalsender empfangen kann – zwar bewiesen hat daß er es kann! – und außerdem von einem Kompaß versehen ist, womit man ungefähr den Weg gen Osten finden kann. Ersteigert für einen Preis von sage und schreibe 4 euro 95. Er kann eigentlich nichts: keinen Radiosender finden, keinen guten Ton von sich geben, keine Richtung angeben, er ist sehr unschön und völlig nutz- und sinnlos. Außer natürlich für uns die ihn sammeln.

PS: Auf dem Bild eine nutzlose Auswahl unserer nutzlosen vitrinären Gegenstände.

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Samstag, 9. April 2011
Bagatelle LXLIX - De Heurne-upon-Sea
Wahrscheinlich kennen Sie Stratford-upon-Avon, die Geburtsstätte Shakespeares. Entweder Sie haben davon erfahren in der Schule, oder gehört von Freunden die voriges Ferienjahr dort herumreisten. Auch Évalon-sur-Seine mag ihnen nicht unbekannt in den Ohren klingen, obwohl es diese Stadt gar nicht gibt, denn sie entspringt aus meiner Fantasie. Wir bei uns kennen Noordwijk-aan-Zee, an der Nordsee, aber es besteht auch ein Noordwijk das nicht am Meer liegt.
Das berühmteste Beispiel ist natürlich Köln. Man sagt – meistens mit einer Mischung aus Wehmut, Verlangen und rheinischer Heiterkeit: Köln-am-Rhein. So ist es eben und dabei werden wir es bewenden lassen. Stadt am Fluß, Dorf-am-Meer: etwas informativeres und besser-klärendes können wir uns nicht vorstellen.



Das in der Tat idyllisch gelegene Haus auf dem Bild, ein Bauernhof, luftlinear etwa fünfhundert meter von unserem entfernt, liegt siebzehn (17) Meter über dem Meeresspiegel. Kein Grund vor Angst überflutet zu werden, würde man behaupten. Jedoch wird momentan das Haus jetzt bewohnt von Leuten die ernsthaft glauben, daß innerhalb einer gewissen Zeitspanne ein riesiger Tsunami ungekannter Kraft – kommend aus dem Raum Island und sich in südöstlicher Richtung bewegend - das ganze niedrig gelegene Land – wir wohnen in den Niederlanden – rund herum überfluten wird. Von diesen Niederlanden wird nur ein winziger Teil (Landstriche rundum Utrecht, die Veluwe, Teile des Nordostens und Ostens und die limburgschen Hügel) übrig bleiben. Wir, wohnhaft im Osten, nahe der deutschen Grenze, werden gespart. Unser Hof, siebzehn Meter über dem Meeresspiegel, bleibt wie und wo er ist. Die Küstenlinie, die heute noch von Groningen, die Watteninseln entlang, über Den Helder, Egmond-aan-Zee, Zandvoort, nach Cadzand führt, wird sich in östlicher Richtung zurückziehen. Bis knapp vor unserer Haustür. Fast das ganze Land, beinahe die ganze Nation, wird untergehen.

Dieses Horrorszenario stammt nicht aus meiner Feder. Das Haus, von dem hier die Rede ist, wird seit kurzem von einer tiefreligiös orientierten Wohngemeinschaft bewohnt. Eine Frau aus dieser Gruppe hat, wie sie verlauten läßt, die schrecklichen Meldungen aus erster, höchster Hand. Wie Bernadette in Lourdes, vermute ich. Wann das Unheil stattfinden werde, könne sie nicht sagen, sagt sie der Presse. Und wenn sie es wüßte, würde sie es auch nicht sagen, denn sie wolle um himmelswillen keine Panik verbreiten.



Das alles muß ich heute in meiner Zeitung lesen. Vom Bestehen und dem Wohnhaftigkeit dieser Gruppe in unserer Gegend war mir nichts bekannt, obwohl ich fast täglich an dem Hof vorbeikomme. Wohl war mir der Gemüsegarten-in-Anbau aufgefallen. Und jetzt wissen wir auch warum. Man rechnet darauf, wenn es denn so weit ist, daß die Kommune autarkisch selbstversorgend sein muß. An Gemüse und Obst wird es nicht fehlen.

Die Gemeinschaft hat sich hier bei uns zurückgezogen auf siebzehn Meter Höhe. Das Wasser wird demnächst bis hierher kommen. Uns selber aber unberührt lassen. Der Ort in dem wir leben wird sich innerhalb absehbarer Zeit an der neuen Küste wiederfinden. Jetzt wohnen wir noch im stillen De Heurne, einem winzig kleinen Fleck auf der Landkarte, inmitten der schönen, idyllischen, aber manchmal langweiligen Binnenlanden. Das langweilige wird sich aber ändern. Wenn die fast-Nachbarin recht hat, wohnen wir bald in De Heurne-upon-Sea.

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Donnerstag, 31. März 2011
Bagatelle LXLVIII - Gestelltes Gleichgewicht
Was immer Sie auch mögen behaupten, ich meine ziemlich sicher zu wissen, daß dieses Bild gestellt ist. Es stammt aus einem Kalendarium; ein Foto des Volkskrant-Fotografen Marcel van den Bergh.



Beide Parteien haben ihre Stellung bezogen. Der Bauer versucht mittels ziehen die Kuh davon zu überzeugen, daß es für alle besser ist wenn die Kuh in den Stall zurückkehrt. Die Kuh, mit Namen Jenny 24 oder so etwas, fest auf allen vieren an der Erde verankert, ist anderer Meinung. Sie hat keine Lust die Reise draußen in der freien Natur im Stall zu beenden.
Wie wird diese Meinungsverschiedenheit ausgehen? Wer gibt schließlich nach?

Das Seil steht schnurgerade von links nach rechts. Links ist es am Kuhkopfhalfter befestigt, rechts ziehen die plastifizierten Bauershände.
Das Spannende an dem Bild ist der Gleichstand. Wie eine Waage. Um nicht jétzt schon zu verlieren, muß der Bauer sich nach hinten lehnen.

Warum ist das Bild gestellt? Weil jeder Bauer weiß, daß das Ziehen am Kopfe der Kuh überhaupt keinen Sinn hat. Vor allem nicht wenn das Seil zu lang geraten ist. Die starken Kopf- und Halsmuskeln der Kuh werden immer gewinnen. Wenn die Jenny so gnädig ist sich in der gewünschten Richtung zu bewegen, tut sie das weil sie dem Bauer ein Gefallen tun will. Wenn sie écht wollte, käme sie nicht von der Stelle.

Natürlich weiß der Bauer das. Man soll eine Kuh führen mit Vorsicht, mit Güte, mit Nachsicht, mit Futter, mit guten Worten. Oder man macht es zu zweit: der erste führt die Kuh am Halfter, der zweite drückt etwas von hinten wobei er den Kuhschwanz etwas gegen den Uhrzeigersinn dreht. Die Kuh, verwirrt, gibt auf und bewegt sich in die gewünschte Richtung.

Natürlich weiß der Fotograf das auch. Er aber liebt die Spannung des Tauziehens. Er liebt die Ungewißheit. Er liebt das unberechenbare Gleichgewicht. Sei es gestellt.


* Quelle: De Volkskrant Fotokalender 2011

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Donnerstag, 24. März 2011
Bagatelle LXLVII - Schreibtisch samt Stuhl
Wer hat je behauptet, daß jede Bagatelle eine Welt voller Freude und Fröhlichkeit repräsentieren sollte? Oder daß der Inhalt jedes bagatellarischen Textes uns allen Zeuge einer humorvollen und spitsfindig-menschlichen Gesellschaft sein lassen will? Derjenige, der dies alles in voller Ernst verbreitet hat, möge sich für eine Weile in die Ecke stellen um sich seines unpassenden Benehmens bewußt zu werden. Denn die Wahrheit ist eine andere. Die meisten Bagatellen sind genau so langweilig als auch kurz. Obwohl wir - selbstverständlich aus zuverlässiger Quelle - wissen, daß ein gewisser Herr Justus Oberwasser aus Wolfenbüttel, der sich hier auf blogger.de verirrt hatte und der zufälligerweise bei den Bagatellen landete, sich beim Lesen ab und zu ein kleines Lächeln nicht verkneifen konnte.

Manche Bagatelle ist zwar qua Inhalt und Subjekt so alltäglich, daß einem die Lust zum Lesen beinahe vergeht. Und die unzutreffende Art und Weise mit der mit der deutschen Sprache umgegangen wird, ist derart verwerflich, daß nicht nur der Autor sondern auch der Leser sich schämen sollte. Hierbei geschehen.



Trotz alledem möchte ich Ihnen die alberne Geschichte meines Schreibtisches samt Schreibstuhl erzählen. Einen mehr alltäglichen Gegenstand gibt es nicht. Ich füge ein Lichtbild bei, so daß Sie sich ein Bild machen können. Der Schreibtisch plus Stuhl stammen von meinem schon vor Jahren verstorbenen Vater. Der war beruflich auf dem Rathaus in unserer Gemeinde tätig. Unter anderem als Empfänger der hiesigen Gemeindesteuer. Gemeindemitglieder konnten tagsüber bei ihm auf dem Rathaus ihre Schuld bezahlen. Und wenn sie tagsüber besseres zu tun hatten, konnten sie am Abend auch bei uns zu Hause ihre Gemeindesteuerschuld tilgen. In unserem Haus hatten wir dafür ein spezielles Zimmer, das wir „das Kontor“ nannten. Da befand sich dieser Schreibtisch. Mein Vater saß auf dem Schreibstuhl dahinter und der zahlende Mitbürger stand davor. In der einen Hand die Mütze und in der anderen entweder das zu bezahlende Geld oder eine Bittschrift um Erlaß der Schulden.

Nach meinem Vaters Tod zog mein ältester Bruder in das Haus. Er übernahm sowohl den Schreibtisch als auch den Stuhl. Und jetzt, nach wiederum séinem Tod, stehen Tisch und Stuhl bei mir in unserem alten Bauernhof. Sie passen dort überhaupt nicht, aber wer will solch einen alten abgenutzten Schreibtisch samt Stuhl? Nur einer wie ich der teuere Erinnerungen an das Stück hat. Und schon gar wenn es so eine Geschichte mit sich trägt.

Auf eines möchte ich hinweisen. Rechts am Stuhl, irgendwo unter der Armlehne, wird eine fremde Höhle sichtbar. Während der letzten Kriegstage ist unser Dorf um März 1945 schwer bombardiert worden. Von unserem Haus stand nach dem Bombardement nur noch die vorderste Hälfte. Überall fanden wir Spuren der Granatscherben. Eine traf den Schreibtischstuhl. Und, wenn wir die Familiengeschichte glauben können - mir ist sie auch nur erzählt worden – ist das bis auf den heutigen Tag sichtbar. Wenn Sie wollen: ich kann Ihnen die Wunde zeigen.

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Mittwoch, 16. März 2011
Bagatelle LXLVI - Reisverschluß


Früher, in der Sekundarstufe, versuchte uns der Herr Lehrer beizubringen daß die Romantikepoche etwa von 1780 bis, sagen wir, 1830 dauerte. Und schon damals, ich meine in meiner Jugendzeit, war ich der Meinung daß die Romantik nicht an Zeit gebunden ist. Geben wir es zu, wohnt nicht in jedem von uns ein Romantiker der nach dem unmöglichen tastet, wissend von der immanenten Unmöglichkeit und sogar sich deren erfreuend? Hat nicht jeder eine unerreichbare ferne Geliebte, sei es Mann oder Frau oder beides, die sich an einem Ort befindet wo du selber nicht bist, wie der Dichter so treffend romantisch sagt?

Noch früher, in meiner Grundschulzeit, hörte ich von einem Land wo einem die gebratene Gans in den Mund fliegt. Ein Land ohne Sorgen oder Mühe, ohne Schule, ohne Hausaufgaben. Ein Land hinter dem Horizont, nahe der Stelle wo der Regenbogen die Erdoberfläche trifft. Ihr nennt es Schlaraffenland, in meiner Muttersprache ist es das Luilekkerland. Übersetzt: das Faulenzerparadies. Hier wohnen die Leute, die vom Genießen der Freuden des Lebens ihr Beruf gemacht haben, weil sie es als eine Berufung sehen. Die Wörter Streß, Arbeit, Pflicht, sowie Blut, Schweiß und Träne, sind verpönt. Ein richtiger Faulenzer graut vor der Idee nachdenken zu müssen. Schon der Gedanke daran ist zu viel Mühe.

Das Problem des Schlaraffenlandes ist die Verschlossenheit. Das streßlose Paradies ist von einem Reisverschuß von der Außenwelt getrennt. Das ist kein Sprachfehler, denn ein unmeßbar großer Reisberg versperrt mir den Weg. Ich kann das gelobte Schlaraffenland nur dadurch erreichen indem ich mir einen Durchgang esse. Das aber ist eine romantische Unmöglichkeit. Auch wenn ich ab und zu eine Reisbreinachspeise zu mir nehme.

Reisbrei als Nachspeise. Ein völlig unromantischer Gedanke. Bei uns zuhause können Sie sich aber von der delikaten Qualität überzeugen. Am liebsten essen wir den Reisbrei mit einem Tüpfelchen braunem Zucker obendrauf. Überromantisch herrlich. Etwas für Faulenzer und andere Liebhaber.

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