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Freitag, 16. Januar 2015
Bagatelle 249 - Kaufhofgeschichte
terra40, 22:22h
Einmal die Woche kommt sie, meine Werbeprospektpostfrau. Jeden Dienstagnachmittag muss es sein, denn morgens hat meine Morgenzeitung meinen Briefkasten für sich selbst beschlagnahmt. Wenn ich aber abends nochmal nachsehe und die Briefkastenklappe öffne, fällt eine Ladung Papierwerbung heraus. Man kann, ich weiß es, auf dem Briefkasten ein Vermerk anbringen, worauf zu lesen ist dass der Briefkastenbesitzer bitte schön keine Lust hat ein einziges Werbeblatt, wie bescheiden und dünn auch und für was auch immer, in Empfang zu nehmen. Nur bin ich zu faul und zu feige um ein solches Vermerk anbringen zu lassen. Zu gerne empfange ich Post. Aber lesen tue ich die Werbepost nie. Und deshalb landet jeden Dienstag eine ganze Papierladung Werbung ungelesen in den Altpapierbehälter.
Wenn auch die Werbung ungelesen bleibt, Einkäufe machen muss jeder, sogar ich. Nicht mehr beim kleinen Dorfladen (Tante Emma und Söhne) auf der Ecke wie früher. Nein, wir fahren jetzt in die Kleinstadt und besuchen entweder die Lidl, die Aldi, die Edekafiliale, den Jumbo, die Bruto, Tarra und Netto oder wie sie alle heißen. Manchmal gehen wir in den reellen REAL-Laden in der Kirchhofstraße oder betreten den irrealen REAL-Laden aufs Internet. Manche mögen es, aber wenn Sie mich fragen: ich hasse einen Besuch an einer Kaufhalle. Das einzig Interessante an solch einem Besuch ist die Observation der Besucher solcher Kaufstätten. Gerne höre ich mich die Konversationen der Kunden an, wenn sie mit ihren Einkaufskarren mir den Weg versperren. Es ist wie eine Strandterrasse im Sommer, wo man unter dem Genuss eines kühlen Pilsners sich die vorbeigehende Leute ansieht und von beurteilendem Kommentar verseht.
Heute Morgen war’s nötig den Jumbo zu besuchen, das neue Einkaufszentrum runde fünf Kilometer von meinem Hof entfernt. Man muss schließlich leben. Und dort passierte etwas seltsames. Etwas so ungewöhnliches, dass ich es Ihnen wohl erzählen muss. Wie üblich stand ich unauffällig in der Gemüseabteilung bei meinen Apfelsinen, wo ich sowohl die Gemüsekunden als auch die Reihe vor der dritten und vierten Kasse zuhören und beobachten konnte. Doch plötzlich fiel meine Aufmerksamkeit auf eine Frau bei der zweiten Kasse. Sie war in Gespräch mit der Kassiererin; hinter ihr stand ein älterer Herr der ruhig wartete bis auch für ihn die Stunde der Bezahlung geschlagen hatte.
Man brauchte nicht viel Menschenkenntnisse um zu sehen dass die offenbar schwachbegabte Frau Schwierigkeiten hatte alles Gekaufte ordentlich zu bezahlen. Kurz und knapp: sie hatte ihre Karre zu voll geladen. Zu voll für das Geld in ihrer Portemonnaie. Die Kassiererin half ihr das Geld in ihrer Börse zu zählen. Und legte einige Ware beiseite mit den Worten: ꞌBrauchen Sie das wirklich? Diesen Käseschnitzel auch? Und müssen es unbedingt drei Schachtel sein? Genügen zwei nicht?ꞌ Auch nach fünf Minuten war immer noch keine Lösung in Sicht. Die alte Frau wollte alles mitnehmen, aber die noch immer sehr freundliche und hilfsbereite Kassiererin behauptete mit Recht dass noch immer sieben Euro und siebzig Cents fehlten.
Da geschah das Wunder. Der Herr hinter der alten Frau in der Kassenreihe - der auch schon mehr als fünf Minuten ruhig gewartet hatte - trat hervor und sagte zu der Kassiererin: "So kommen wir nicht weiter. Wissen Sie, ich werde den Rest wohl bezahlen." Da staunten die Beteiligten nicht schlecht: die alte Frau mit dem Geldmangel, die Kassiererin (und Kolleginnen die inzwischen auch was Besonderes bemerkt hatten,) einige Kunden aus anderen Kassenreihen und ich der sich noch immer hinter den Apfelsinen versteckte.
Es war als schlug in diesem Augenblick eine Welle der Glückseligkeit über diese Kassenreihe. Alle waren froh. Die alte Frau, nachdem sie ihrem Gönner tausendfach gedankt hatte, zog ihren vollen Einkaufskarren Richtung Ausgang. Die Kassiererin, die dem gnädigen Geldspender ebenso herzlich dankte, freute sich mit ihrer Kollegin über den glücklichen Ablauf. Und ich selber freute mich auch, weil ich mit eigenen Augen gesehen hatte dass es auch etliche Tage nach Weihnachten immer noch Menschen guten Willens gibt. Schwarzseher und Schwarzdenker waren hier dennoch auch präsent. Einige Kunden fragten sich wer in Himmelswillen so dumm und naiv sein kann um die Rechnungen anderer Unbekannten zu zahlen. Sie waren dennoch eine Minderheit.
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Samstag, 27. Dezember 2014
Bagatelle 248 - Pubquiz
terra40, 12:30h
Da nun inzwischen so viel Englisches in die deutsche Sprache hineingeflossen ist, dürfte es Ihnen nicht schwer fallen auszumachen was ich mit dem jetzigen Bagatellen-Titel meine. In der Tat: es ist ein Quiz (ein Frage- und Antwortspiel) das in Gasthöfen, Wirtschaften und sonstigen Stammkneipen veranstaltet wird.
So auch bei uns. Dann und wann treffen sich bei uns im Dorf lose und feste Quizgruppen (aus mindestens drei Personen bestehend,) die sich an einem Sonntagnachmittag in ihrer Stammkneipe um die Wette streiten über die Frage wer das meiste Allgemeinwissen besitzt.
Vergangenen Sonntag war es wieder so weit. Mein jüngster Sohn hatte, weil einige Mitglieder seiner Quizgruppe verhindert waren, seinen Vater, seinen Cousin und seinen älteren Bruder gebeten das Rateteam zu verstärken. Die Gruppe mit Namen "Glocke und Klöpfel" bestand jetzt aus zwei Frauen und vier Männern. Im totalen nahmen 13 Gruppen teil: der Saal war sehr gut gefüllt, weil auch sonst viele Fans da waren.
Es wurde in drei Runden gespielt à zehn Fragen mit je drei Teilfragen. Nach jeder Runde wechselten die Antwortblätter, so dass jedes Team die Lösungen einer anderen Gruppe beurteilte. Die Summe der gut beantworteten (Teil)Fragen bestimmte den Gewinner. (Es war weder möglich noch notwendig über die Richtigkeit der Antworteten zu streiten. Das Quiz war vortrefflich vorbereitet und organisiert.)
Worüber wurde gefragt? Über alles Wissenswerte: Aktuelles, Regionalgeschichte, Lyrics einiger Popsongs, bekannte Persönlichkeiten, Geschichte, Geografie, was nicht alles.
Bevor ich Ihnen die spannende Geschichte zu Ende erzähle etwas anderes. Vorige Woche hatte ich die Ehre als Gast auf der Weihnachtsfeier des örtlichen Landfrauenvereins einiges zu erzählen über ausländische Weihnachtstraditionen. Dabei kam auch der russische Väterchen Frost, die schöne Leuchtkönigin Lucia aus Schweden und Santa Claus zur Sprache. Ich erzählte den geehrten Landfrauen vieles. Auch wie der Santa Claus, als mehr oder weniger komische Mischung aus dem heidnischen Hauptgott Wotan (Yül, Odin, wie Sie wollen) dem Weihnachtsmann und dem heiligen Sankt Nicolaus, mit seinem von acht Renntieren gezogenen Schlitten durch die Lüfte zog. Damit meine Fantasie nicht zu sehr beansprucht werden sollte, hatte ich mich vorher nochmal vergewissert – indem ich mich in den Geschichtsbüchern umsah – von dem Wahrheitsgehalt meiner Aussagen.
Zurück zu der Quizveranstaltung. Nach der Bitte des Quizmasters um bitte schön nicht das Handy zu benutzen um Antworten zu ꞌgooglenꞌ, begann die erste Runde. Viele Themen und Fragen dazu kamen vorbei und ich merkte schon bald wie schnell das Wissen eines Menschen vergeht. Manchmal hatte ich schon Mühe eine Frage zu verstehen und wenn, dann war ich viel zu spät zu antworten, weil schon eine nächste an der Reihe war. Glücklicherweise war das Tempo für die anderen Quizteilnehmer kein Problem.
Nach der ersten Runde gab der diensthabende DJ und Quizmaster einen Zwischenstand bekannt. Die Gruppe "Glocke und Klöpfel" gehörte zu den Führern im Teilnehmerfeld.
In der zweiten Runde geschah dann plötzlich etwas was mein verstorbener Bruder früher als synchronizität bezeichnet hätte. Das ist der Fall wenn sich zwei völlig selbständige und unabhängige Begebenheiten ꞌzufälligerweiseꞌ zeitlich treffen.
Was war der Fall? Frage 3 hatte Bezug auf Weihnachten. Teilfrage 3a lautete: "Der Santa Claus fliegt wie bekannt mit einer von acht Renntieren (der neunte: der rotnasige Rudolph nicht dazugezählt) gezogenen Schlitten durch die Luft. Wie heißen die acht Renntiere mit Vornamen? Für jede gute Antwort gibt es einen Bonuspunkt." Später zeigte es sich heraus, dass nur die Quizgruppe "Glocke und Klöpfel" die Frage fehlerfrei beantworten konnte. Die Namen der Renntiere waren laut Terra: Dasher, Dancer, Comet, Cupid, Prancer, Vixen, Donder und Blixen (Donner und Blitz).
Normal hätte ich zwei, vielleicht drei Renntiernamen gewusst. Nur weil ich ausgerechnet drei Tage vorher den Landfrauen über einige US-Weihnachtstraditionen aufgeklärt hatte, wusste ich die komplette Antwort. Zufall oder?
Allenfalls war es so, dass unsere Quizgruppe nach der zweiten Runde einen fast nicht mehr einholbaren Vorsprung hatte. Welcher sich bis zum Ende hielt.
Der erste Preis bestand aus vier Flaschen guter Rotwein. Plus Achtung und ehrfurchtsvolle Bewunderung. Welche nicht bis in alle Ewigkeit, aber immerhin bis zum folgenden Pubquiz anhalten.
Auf dem Bild hier unten sehen Sie wie hier vorne die Gruppe "Glocke und Klöpfel" in Runde I Teilfrage 6 versucht die Namen der auf der Leinwand projizierten Personen zu entdecken.
So auch bei uns. Dann und wann treffen sich bei uns im Dorf lose und feste Quizgruppen (aus mindestens drei Personen bestehend,) die sich an einem Sonntagnachmittag in ihrer Stammkneipe um die Wette streiten über die Frage wer das meiste Allgemeinwissen besitzt.
Vergangenen Sonntag war es wieder so weit. Mein jüngster Sohn hatte, weil einige Mitglieder seiner Quizgruppe verhindert waren, seinen Vater, seinen Cousin und seinen älteren Bruder gebeten das Rateteam zu verstärken. Die Gruppe mit Namen "Glocke und Klöpfel" bestand jetzt aus zwei Frauen und vier Männern. Im totalen nahmen 13 Gruppen teil: der Saal war sehr gut gefüllt, weil auch sonst viele Fans da waren.
Es wurde in drei Runden gespielt à zehn Fragen mit je drei Teilfragen. Nach jeder Runde wechselten die Antwortblätter, so dass jedes Team die Lösungen einer anderen Gruppe beurteilte. Die Summe der gut beantworteten (Teil)Fragen bestimmte den Gewinner. (Es war weder möglich noch notwendig über die Richtigkeit der Antworteten zu streiten. Das Quiz war vortrefflich vorbereitet und organisiert.)
Worüber wurde gefragt? Über alles Wissenswerte: Aktuelles, Regionalgeschichte, Lyrics einiger Popsongs, bekannte Persönlichkeiten, Geschichte, Geografie, was nicht alles.
Bevor ich Ihnen die spannende Geschichte zu Ende erzähle etwas anderes. Vorige Woche hatte ich die Ehre als Gast auf der Weihnachtsfeier des örtlichen Landfrauenvereins einiges zu erzählen über ausländische Weihnachtstraditionen. Dabei kam auch der russische Väterchen Frost, die schöne Leuchtkönigin Lucia aus Schweden und Santa Claus zur Sprache. Ich erzählte den geehrten Landfrauen vieles. Auch wie der Santa Claus, als mehr oder weniger komische Mischung aus dem heidnischen Hauptgott Wotan (Yül, Odin, wie Sie wollen) dem Weihnachtsmann und dem heiligen Sankt Nicolaus, mit seinem von acht Renntieren gezogenen Schlitten durch die Lüfte zog. Damit meine Fantasie nicht zu sehr beansprucht werden sollte, hatte ich mich vorher nochmal vergewissert – indem ich mich in den Geschichtsbüchern umsah – von dem Wahrheitsgehalt meiner Aussagen.
Zurück zu der Quizveranstaltung. Nach der Bitte des Quizmasters um bitte schön nicht das Handy zu benutzen um Antworten zu ꞌgooglenꞌ, begann die erste Runde. Viele Themen und Fragen dazu kamen vorbei und ich merkte schon bald wie schnell das Wissen eines Menschen vergeht. Manchmal hatte ich schon Mühe eine Frage zu verstehen und wenn, dann war ich viel zu spät zu antworten, weil schon eine nächste an der Reihe war. Glücklicherweise war das Tempo für die anderen Quizteilnehmer kein Problem.
Nach der ersten Runde gab der diensthabende DJ und Quizmaster einen Zwischenstand bekannt. Die Gruppe "Glocke und Klöpfel" gehörte zu den Führern im Teilnehmerfeld.
In der zweiten Runde geschah dann plötzlich etwas was mein verstorbener Bruder früher als synchronizität bezeichnet hätte. Das ist der Fall wenn sich zwei völlig selbständige und unabhängige Begebenheiten ꞌzufälligerweiseꞌ zeitlich treffen.
Was war der Fall? Frage 3 hatte Bezug auf Weihnachten. Teilfrage 3a lautete: "Der Santa Claus fliegt wie bekannt mit einer von acht Renntieren (der neunte: der rotnasige Rudolph nicht dazugezählt) gezogenen Schlitten durch die Luft. Wie heißen die acht Renntiere mit Vornamen? Für jede gute Antwort gibt es einen Bonuspunkt." Später zeigte es sich heraus, dass nur die Quizgruppe "Glocke und Klöpfel" die Frage fehlerfrei beantworten konnte. Die Namen der Renntiere waren laut Terra: Dasher, Dancer, Comet, Cupid, Prancer, Vixen, Donder und Blixen (Donner und Blitz).
Normal hätte ich zwei, vielleicht drei Renntiernamen gewusst. Nur weil ich ausgerechnet drei Tage vorher den Landfrauen über einige US-Weihnachtstraditionen aufgeklärt hatte, wusste ich die komplette Antwort. Zufall oder?
Allenfalls war es so, dass unsere Quizgruppe nach der zweiten Runde einen fast nicht mehr einholbaren Vorsprung hatte. Welcher sich bis zum Ende hielt.
Der erste Preis bestand aus vier Flaschen guter Rotwein. Plus Achtung und ehrfurchtsvolle Bewunderung. Welche nicht bis in alle Ewigkeit, aber immerhin bis zum folgenden Pubquiz anhalten.
Auf dem Bild hier unten sehen Sie wie hier vorne die Gruppe "Glocke und Klöpfel" in Runde I Teilfrage 6 versucht die Namen der auf der Leinwand projizierten Personen zu entdecken.
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Donnerstag, 18. Dezember 2014
Bagatelle 247 - Weihnachtsbuch
terra40, 01:14h
Als Neunjähriger besuchte ich die Sonntagsschule.Während die Eltern sich sonntags in der Dorfkirche die weisen Worte des geliebten Herrn Pfarrers anhörten, zogen die Kinder dorthin wo sie sich auch schon fast jeden Wochentag aufhielten: in die dörfliche Grundschule.
Nein, die Unterschiede waren nur gering. Das Gebäude war dasselbe, die Klasse war dieselbe, wir sangen sonntags dieselben Lieder als in der Woche und vor mir drückten, sonntags wie sonst auch, die liebe Metzgerstochter Magda S. und die nicht weniger liebe Gerda (die vom Brückenhaus) die Bank. Neben mir in der Bank saß mein Freund Willie A., sonntags als auch wochentags. Und weil die Schule uns eher Freude als Leid bescherte, war der verpflichtende Sontagsschulbesuch keine Last oder Qual.
Es gab allerdings éinen nicht zu unterschätzender Unterschied und zwar in Bezug auf die sonntägliche Lehrerschaft. Nein, nicht die gewöhnlichen Lehrer(innen) hatten das Sagen. (Die mussten sich sonntags erholen von den Strapazen in der vergangenen Woche und Mut und Kraft schöpfen für die kommende.) Sonntags standen Männer und Fräuleins vor der Klasse die sonst in der Woche ihre normale Arbeit nachkamen, zum Beispiel als gelernter Schreinermeister oder als Schaltergehilfe bei der örtlichen Spar- und Darlehnskasse. Sonntags wandelten sie um in eine Art von Laienpredigern und versuchten so schlecht und gut es ging der ihnen anvertrauten Kinderschar etwas nützliches beizubringen.
Höhepunkt in der Sonntagsschulsaison war zweifelsohne das alljährige Weihnachtsfest in der Dorfkirche. Es wurde mitten in der Woche, zum Beispiel an einem Mittwochabend, veranstaltet, fing an um sechs Uhr und wurde von allen Sonntagsschulkindern und ihren Eltern besucht. (Unter uns: auch für die alten Leutchen war die Weihnachtsfeier welche von der Sonntagsschule organisiert wurde ein absoluter Höhepunkt, wonach man schon Wochen vorher aussah.)
Alle Klischees gelten: die Kirche ist von innen und außen beleuchtet, der Weihnachtsbaum mit seinem hundert Lichtern verbreitet herrliche Schatten und Gerüche, drinnen ist es warm und voll, es wird vollmundig gesungen, die Orgel spielt die schönsten Weihnachtslieder, Alt und Jung sind frohen Mutes. Außer mein Freund Willie A. der laut zu schreien anfängt weil ich ihm auf die Füße trete. Sonst ist jedermann guten Willens, was auch von uns verlangt wird, so sagt uns Herr Bäckermeister Josef K., der Anführer der Sonntagsschullehrerschaft. Heute darf er sogar den Predigtstuhl besteigen um uns von dort aus seine Worte zu melden. An diesem Weihnachtstag aber gibt es keine Kontroversen: wir alle sind einer Meinung.
Es gibt in solch einem Weihnachtsfest zwei Geschichten. Die erste ist die aus dem Lukas Evangelium. Weil wir sie alle Jahre wieder hören, kennen wir sie fast auswendig. Die zweite Geschichte ist eine Weihnachtserzählung, uns vorgelesen oder erzählt von einer aus der Lehrerschaft, meistens macht das das Fräulein aus der Sparkasse, weil sie eine so schöne helle Stimme hat die von jedem gehört und verstanden wird.
Die zweite Erzählung erklingt erst nach der Pause, denn ohne Pause geht nichts, auch kein Weihnachtsfest nicht. In der Pause trinkt man warme Schokoladenmilch die von einigen sorgsamen Eltern eingeschenkt wird. Das ist zugleich eine gute Gelegenheit unsere Weihnachtskränzchen zu essen. Später, am Ende der Veranstaltung, beim Ausgang, bekommt jeder von uns auch noch eine Apfelsine, derzeit fast ein Gottesgeschenk.
Der absolute Höhepunkt ist angebrochen wenn nach dem letzten Weihnachtslied die Lehrer verschwinden und einige Minuten später zurückkommen mit einem Armvoll Bücher. Weihnachtsbücher. Denn jedes Kind das die Sonntagsschule besucht, bekommt zu Weihnachten ein Weihnachtsbuch. Das ist die Regel und so wird sie gehandhabt. Für einen wie mich, der sozusagen Bücher verschlingt, eine unglaubliche Freude. Die Wahl der geschenkten Bücher wird dem Fräulein oder dem Herrn Lehrer überlassen. Am liebsten ist mir ein Buch mit einem Band aus harter Pappe und eins mit (sehr) vielen Seiten. Wenn’s geht mit schönen Bildern. Schlimm wird’s wenn man als Junge ein Mädchenbuch empfängt. Oder umgekehrt.
Auf dem Weihnachtsfest 1949 gibt mir Herr Lammers, sonst erster Buchhalter bei einer örtlichen Fabrik und 1. Vorsitzender des Turnvereins, aber jetzt Sonntagsschullehrer, das Buch ꞌVan verdrukking naar de vrijheidꞌ, ein spannendes Buch, wie ich hoffe und vermute, von einem holländischen Jungen der unfreiwillig in Napoleons Armee in den Feldzug nach Russland 1812 gezogen wird und glücklicherweise gesund und heilfroh heimkommt. Das genaue Datum weiß ich, weil auf dem Buchetikett alles beschrieben steht. Weihnachten 1949; lang ist’s her.
Mit dieser (Vor)weihnachtserzählung wünsche ich allen Bagatellenleser(innen) frohe Weihnachten!
Nein, die Unterschiede waren nur gering. Das Gebäude war dasselbe, die Klasse war dieselbe, wir sangen sonntags dieselben Lieder als in der Woche und vor mir drückten, sonntags wie sonst auch, die liebe Metzgerstochter Magda S. und die nicht weniger liebe Gerda (die vom Brückenhaus) die Bank. Neben mir in der Bank saß mein Freund Willie A., sonntags als auch wochentags. Und weil die Schule uns eher Freude als Leid bescherte, war der verpflichtende Sontagsschulbesuch keine Last oder Qual.
Es gab allerdings éinen nicht zu unterschätzender Unterschied und zwar in Bezug auf die sonntägliche Lehrerschaft. Nein, nicht die gewöhnlichen Lehrer(innen) hatten das Sagen. (Die mussten sich sonntags erholen von den Strapazen in der vergangenen Woche und Mut und Kraft schöpfen für die kommende.) Sonntags standen Männer und Fräuleins vor der Klasse die sonst in der Woche ihre normale Arbeit nachkamen, zum Beispiel als gelernter Schreinermeister oder als Schaltergehilfe bei der örtlichen Spar- und Darlehnskasse. Sonntags wandelten sie um in eine Art von Laienpredigern und versuchten so schlecht und gut es ging der ihnen anvertrauten Kinderschar etwas nützliches beizubringen.
Höhepunkt in der Sonntagsschulsaison war zweifelsohne das alljährige Weihnachtsfest in der Dorfkirche. Es wurde mitten in der Woche, zum Beispiel an einem Mittwochabend, veranstaltet, fing an um sechs Uhr und wurde von allen Sonntagsschulkindern und ihren Eltern besucht. (Unter uns: auch für die alten Leutchen war die Weihnachtsfeier welche von der Sonntagsschule organisiert wurde ein absoluter Höhepunkt, wonach man schon Wochen vorher aussah.)
Alle Klischees gelten: die Kirche ist von innen und außen beleuchtet, der Weihnachtsbaum mit seinem hundert Lichtern verbreitet herrliche Schatten und Gerüche, drinnen ist es warm und voll, es wird vollmundig gesungen, die Orgel spielt die schönsten Weihnachtslieder, Alt und Jung sind frohen Mutes. Außer mein Freund Willie A. der laut zu schreien anfängt weil ich ihm auf die Füße trete. Sonst ist jedermann guten Willens, was auch von uns verlangt wird, so sagt uns Herr Bäckermeister Josef K., der Anführer der Sonntagsschullehrerschaft. Heute darf er sogar den Predigtstuhl besteigen um uns von dort aus seine Worte zu melden. An diesem Weihnachtstag aber gibt es keine Kontroversen: wir alle sind einer Meinung.
Es gibt in solch einem Weihnachtsfest zwei Geschichten. Die erste ist die aus dem Lukas Evangelium. Weil wir sie alle Jahre wieder hören, kennen wir sie fast auswendig. Die zweite Geschichte ist eine Weihnachtserzählung, uns vorgelesen oder erzählt von einer aus der Lehrerschaft, meistens macht das das Fräulein aus der Sparkasse, weil sie eine so schöne helle Stimme hat die von jedem gehört und verstanden wird.
Die zweite Erzählung erklingt erst nach der Pause, denn ohne Pause geht nichts, auch kein Weihnachtsfest nicht. In der Pause trinkt man warme Schokoladenmilch die von einigen sorgsamen Eltern eingeschenkt wird. Das ist zugleich eine gute Gelegenheit unsere Weihnachtskränzchen zu essen. Später, am Ende der Veranstaltung, beim Ausgang, bekommt jeder von uns auch noch eine Apfelsine, derzeit fast ein Gottesgeschenk.
Der absolute Höhepunkt ist angebrochen wenn nach dem letzten Weihnachtslied die Lehrer verschwinden und einige Minuten später zurückkommen mit einem Armvoll Bücher. Weihnachtsbücher. Denn jedes Kind das die Sonntagsschule besucht, bekommt zu Weihnachten ein Weihnachtsbuch. Das ist die Regel und so wird sie gehandhabt. Für einen wie mich, der sozusagen Bücher verschlingt, eine unglaubliche Freude. Die Wahl der geschenkten Bücher wird dem Fräulein oder dem Herrn Lehrer überlassen. Am liebsten ist mir ein Buch mit einem Band aus harter Pappe und eins mit (sehr) vielen Seiten. Wenn’s geht mit schönen Bildern. Schlimm wird’s wenn man als Junge ein Mädchenbuch empfängt. Oder umgekehrt.
Auf dem Weihnachtsfest 1949 gibt mir Herr Lammers, sonst erster Buchhalter bei einer örtlichen Fabrik und 1. Vorsitzender des Turnvereins, aber jetzt Sonntagsschullehrer, das Buch ꞌVan verdrukking naar de vrijheidꞌ, ein spannendes Buch, wie ich hoffe und vermute, von einem holländischen Jungen der unfreiwillig in Napoleons Armee in den Feldzug nach Russland 1812 gezogen wird und glücklicherweise gesund und heilfroh heimkommt. Das genaue Datum weiß ich, weil auf dem Buchetikett alles beschrieben steht. Weihnachten 1949; lang ist’s her.
Mit dieser (Vor)weihnachtserzählung wünsche ich allen Bagatellenleser(innen) frohe Weihnachten!
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Freitag, 12. Dezember 2014
Bagatelle 246 - Künstlich kitschig
terra40, 21:14h
Es ist nicht so, dass die Suche nach der etymologischen Herkunft einiger Wörter mich aufregen oder mich zu nächtlicher Schlaflosigkeit zwingen, aber manchmal, beim Lesen irgendwas Interessantes, interessiert mich doch die ursprüngliche Bedeutung eines Wortes das mir schon bekannt ist und dessen heutiger Bedeutung ich vermutete zu kennen. (Tausend Entschuldigungen für diesen langen, mühsamen Öffnungssatz, aber als ich angefangen hatte ihn zu schreiben, konnte ich nicht mehr aufhören.)
Ein einfaches Beispiel mag einiges verdeutlichen. "Alles kits?" fragte mich neulich ein alter Freund in unserer (niederländischen) Muttersprache, als wir uns nach Jahren wieder trafen. Und das bedeutet, wie mein Freund, ich und Sie vielleicht auch wissen so etwas wie: "Alles in Ordnung? Alles oké?"
Wir verstehen uns; wir verstehen die Bedeutung, aber woher stammt das Wort ꞌkitsꞌ, was sind seine Wurzeln? Im Falle ꞌkitsꞌ weiß man es nicht genau. Einige behaupten das die Frage "Alles kits?" seinen Ursprung finde im jiddischen "Alles gietes?", und das wiederum stamme vom deutschen "Alles gut?"
Alles gut und schön, es besteht aber dennoch einen Unterschied zwischen ꞌkitsꞌ und ꞌkitschꞌ (Und auch zwischen ꞌkitsꞌ und ꞌkidsꞌ, nun ist dás wieder etwas anderes.)
Eigentlich wollte ich mich mit Ihnen unterhalten über die Frage nach dem Unterschied zwischen Kunst und Kitsch. Kunst und Kitsch sind quasi Gegenpole. Wie Leben und Tod, oder Himmel und Hölle. Wo liegt aber der Unterschied? Was wird als die feine Kunst betrachtet und was als sentimentale Unsitte?
Viele hierzulande sehen sich mittwochabends die Sendung ꞌZwischen Kunst und Kitschꞌ an, wie bei Ihnen die Serie ꞌKunst und Krempelꞌ oder die ꞌAntique Roadshowꞌ bei der BBC. Da erscheint eine üppig barocke französische Uhr aus dem 19. Jahrhundert, getragen von einer Dame die tausende Ängste verspürt dass sie ihr Kleinod fallen lässt. ꞌDas hier nähert sich doch die Grenzen zwischen Kunst und Kitschꞌ, sagt der Sachverständige Dr. Otto-Johann Rechthaber. Und desto mehr Kitsch, desto weniger Kunst, desto niedriger der Wert. Große Kunst lässt sich teuer bezahlen, großer Kitsch eben weniger. So hat alles seinen Preis.
Das niederländische Wort ꞌkitschꞌ stammt vom deutschen ꞌKitschꞌ, das zum ersten Male um 1870 in Münchener Künstlerkreisen gehört werden konnte. So hab‘ ich mir sagen lassen. Sagen wir’s offen und unverhüllt: Kitsch war Scheiße. Das abgeleitete Verbum ꞌkitschenꞌ bedeutete schlicht und einfach: die Scheiße zusammen fegen.
Auf die Kunst angewandt wurde der Begriff ꞌKitschꞌ zuerst auf die Malerei gelegt. Später dann folgten andere Kunstformen so wie auch die Poesie, die Filmkunst und sogar die Musik. In meiner Morgenzeitung lese ich, dass manche die tausendfach geliebten musikalischen Ausführungen des berühmten Geigers André Rieu, samt seines Orchesters, als Kitsch betrachten. (Unter uns: ich finde das Gefiedel auch ein wenig kitschig, aber ich gönne jedem gerne sein Plaizierchen. Und daneben: wer bin ich um darüber zu urteilen?) Eine neue Bedeutung findet der Kitschbegriff in dem Wort ꞌunecht'. Mein Morgenblatt könnte schreiben: "Millionen Zuschauer sahen, dass der junge Sänger Boffo beim Fernsehsongcontest The Voice of NRW total nicht verstand was und worüber er sang. Das war richtig Kitsch."
Wenig Kunst in meinem Haus und auch wenig Kitsch. Es ist nicht so, dass ich die Kunst liebe und dem Kitsch nur eine Bleibe lasse. Nein, die zwei ziemlich kitschigen Hündlein auf dem Kamin sind mir vielleicht noch lieber als die (übrigens sehr gut gelungene) künstlerische Winterlandschaft.
Ein einfaches Beispiel mag einiges verdeutlichen. "Alles kits?" fragte mich neulich ein alter Freund in unserer (niederländischen) Muttersprache, als wir uns nach Jahren wieder trafen. Und das bedeutet, wie mein Freund, ich und Sie vielleicht auch wissen so etwas wie: "Alles in Ordnung? Alles oké?"
Wir verstehen uns; wir verstehen die Bedeutung, aber woher stammt das Wort ꞌkitsꞌ, was sind seine Wurzeln? Im Falle ꞌkitsꞌ weiß man es nicht genau. Einige behaupten das die Frage "Alles kits?" seinen Ursprung finde im jiddischen "Alles gietes?", und das wiederum stamme vom deutschen "Alles gut?"
Alles gut und schön, es besteht aber dennoch einen Unterschied zwischen ꞌkitsꞌ und ꞌkitschꞌ (Und auch zwischen ꞌkitsꞌ und ꞌkidsꞌ, nun ist dás wieder etwas anderes.)
Eigentlich wollte ich mich mit Ihnen unterhalten über die Frage nach dem Unterschied zwischen Kunst und Kitsch. Kunst und Kitsch sind quasi Gegenpole. Wie Leben und Tod, oder Himmel und Hölle. Wo liegt aber der Unterschied? Was wird als die feine Kunst betrachtet und was als sentimentale Unsitte?
Viele hierzulande sehen sich mittwochabends die Sendung ꞌZwischen Kunst und Kitschꞌ an, wie bei Ihnen die Serie ꞌKunst und Krempelꞌ oder die ꞌAntique Roadshowꞌ bei der BBC. Da erscheint eine üppig barocke französische Uhr aus dem 19. Jahrhundert, getragen von einer Dame die tausende Ängste verspürt dass sie ihr Kleinod fallen lässt. ꞌDas hier nähert sich doch die Grenzen zwischen Kunst und Kitschꞌ, sagt der Sachverständige Dr. Otto-Johann Rechthaber. Und desto mehr Kitsch, desto weniger Kunst, desto niedriger der Wert. Große Kunst lässt sich teuer bezahlen, großer Kitsch eben weniger. So hat alles seinen Preis.
Das niederländische Wort ꞌkitschꞌ stammt vom deutschen ꞌKitschꞌ, das zum ersten Male um 1870 in Münchener Künstlerkreisen gehört werden konnte. So hab‘ ich mir sagen lassen. Sagen wir’s offen und unverhüllt: Kitsch war Scheiße. Das abgeleitete Verbum ꞌkitschenꞌ bedeutete schlicht und einfach: die Scheiße zusammen fegen.
Auf die Kunst angewandt wurde der Begriff ꞌKitschꞌ zuerst auf die Malerei gelegt. Später dann folgten andere Kunstformen so wie auch die Poesie, die Filmkunst und sogar die Musik. In meiner Morgenzeitung lese ich, dass manche die tausendfach geliebten musikalischen Ausführungen des berühmten Geigers André Rieu, samt seines Orchesters, als Kitsch betrachten. (Unter uns: ich finde das Gefiedel auch ein wenig kitschig, aber ich gönne jedem gerne sein Plaizierchen. Und daneben: wer bin ich um darüber zu urteilen?) Eine neue Bedeutung findet der Kitschbegriff in dem Wort ꞌunecht'. Mein Morgenblatt könnte schreiben: "Millionen Zuschauer sahen, dass der junge Sänger Boffo beim Fernsehsongcontest The Voice of NRW total nicht verstand was und worüber er sang. Das war richtig Kitsch."
Wenig Kunst in meinem Haus und auch wenig Kitsch. Es ist nicht so, dass ich die Kunst liebe und dem Kitsch nur eine Bleibe lasse. Nein, die zwei ziemlich kitschigen Hündlein auf dem Kamin sind mir vielleicht noch lieber als die (übrigens sehr gut gelungene) künstlerische Winterlandschaft.
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Mittwoch, 3. Dezember 2014
Bagatelle 245 - Launische Runde
terra40, 17:05h
In meiner Lieblingsstadt, Sie wissen: Launen an der Luhre, ist allerhand los. Nein, es ist noch nicht so weit gekommen, was einige unzufriedene Launener behaupten, dass das Weltgeschehen ganz an Launen vorbeigeht, im Gegenteil. So kann man auch nicht sagen, dass diese augenscheinlich eingeschlafene Kleinstadt sich mit den Anforderungen der heutigen Medienlandschaft nicht einlässt. Ein vortreffliches Beispiel dieser Modernität bietet diesbezüglich die unlängst eingerichtete Launische Runde. Ein Gesprächszirkel, bestehend aus fünf angesehenen Launenern, drei Frauen und zwei Männersleute, unter Anführung eines jedes Halbjahr gewählten Vorsitzenden. Ziel und Aufgabe der Runde ist ein öffentliches, wöchentliches Treffen, wobei die Weltprobleme beraten, besprochen und erörtert werden. Wenn’s es geht immer gefolgt von triftigen Ratschlägen und praktischen Lösungen.
Sie haben es erraten: es ist in der Tat ein launischer talk-show. Live ausgestrahlt von dem Regionalfernsehen (Ruhriges Rheinfernsehen) und auf Kanal 34, kostenlos, gratis und mautfrei anzusehen. Wer mag, kann direkt die Runde besuchen (allerdings nur als Zuhörer im Saal) und indirekt mittels internet an der Diskussion beitragen. “Das gerade,“ sagte mir der gelernte Bäckergeselle Josef Hufschmied, “hat die Runde dem Gemeinderat eben voraus. In der Runde ist es nicht möglich Sachen, Meinungen oder Auffassungen zu negieren, geschweige denn zu verschweigen, vertuschen oder verheimlichen.“
Jeden Donnerstagabend, pünktlich um viertel nach Acht, treffen die Rundemitglieder sich im Goldenen Ochsen, ein Wirtshaus annex Saal das Sie direkt hinter dem Ratskeller, dem meist angesehenen Launischen Etablissement, finden. Letzten Donnerstag stand der Vorschlag, eingebracht von Frau Elisabeth Grobstein-Schwager, zur Debatte eine Männerquote einzuführen. Wahrlich ein höchst aktuelles und prangendes Thema. Der Saal war denn auch proppevoll; kaum Platz für Regisseur Egon Fürchterlich und seine Kameramänner.
Was bitte schön, hatte der zu beratende Vorschlag in sich? Worüber stritten sich die Geister? Dazu muss ich kurz die Vorgeschichte schildern.
Es gibt in Launen an der Luhre im ganzen mindestens sieben verschiedene Schulen und fast so viele Schultypen: vier Grundschulen, eine Hauptschule (die Leibnitz Akademie), eine Städtische Realschule (die an der Bahnhofstraße), und ein Gymnasium (das Launische Kantgymnasium). Auch lassen sich zwei Kindergärten und etliche Kinderaufbewahrplätze finden. Daneben gibt es auch noch eine Waldorfschule; was sich dort abspielt weiß man nicht genau.
Die Lehrerschaft besteht aus insgesamt 46 Personen; davon sind 45 Frauen. (Nur der Gymnasiumdirektor ist ein Mann: der ziemlich angesehene Dr. Hans-Otto Bergsteiger.) Viele Launener, sowohl die wissenschaftliche Besserwisser als auch die nicht-wissenschaftliche Sachverständigen, betrachten das Fehlen männlicher Lehrer an den Schulen als ein großes und tief eingreifendes Manko. Daher hat die liebe Frau Grobstein-Schwager, in Namen vieler wie sie sagt, vorgeschlagen ab den 1. Januar 2015 an allen Launischen Schulen ein Männerquotum einzuführen. Mindestens ein Drittel der Lehrerschaft soll aus männlichen Personen bestehen.
Die Frage ob und wie dieses Ziel zu erreichen sei, wurde schon vom Gemeinderat beraten, aber dann doch wieder auf die lange Bahn geschoben. Jetzt aber bemüht sich die Launische Runde um das Thema. Es wurde auch Zeit.
Letzten Donnerstagabend um elf, eine Stunde nach Beendigung der heutigen Runde, traf man sich in dem VIP-Room des Goldenen Ochsen. Ein Schnäppchen oder ein kühles Pilsner war nötig um die Enttäuschung zu verdrängen. Was war geschehen? In der Runde wurde der Männerquotevorschlag weit und breit gelobt. (Nur die Frau Gertrude Köstlich (ehemals CDU) hatte ihre Bedenken.) Die Verwirklichung des Vorschlages aber stieß auf unüberwindliche Beschwerden. Denn ebenso weit und breit ließ sich im Raume Launen an der Luhre kein einziger männlicher Lehrer mehr auftreiben. Sie waren offenbar ausgestorben. Nur das Gymnasium konnte melden, dass ein junger Deutsch-Englisch Lehrer aus dem benachbarten Grünstreifen-an-der-Auer eventuell bereit wäre seinen Standplatz zu wechseln. Wenn das so ist, sagte man, wenn es überhaupt keine Männerlehrer gibt, hat die Diskussion ihre Grundlage und Berechtigung verloren. So klug sind halt die Mitglieder der Launischen Runde.
Wie voll der Saal im Goldenen Ochsen tatsächlich war sehen Sie hier unten. Leider ist kein Mann zu sehen: die sitzen alle an der Theke äußerst rechts und wollen lieber nicht erkannt werden.
Sie haben es erraten: es ist in der Tat ein launischer talk-show. Live ausgestrahlt von dem Regionalfernsehen (Ruhriges Rheinfernsehen) und auf Kanal 34, kostenlos, gratis und mautfrei anzusehen. Wer mag, kann direkt die Runde besuchen (allerdings nur als Zuhörer im Saal) und indirekt mittels internet an der Diskussion beitragen. “Das gerade,“ sagte mir der gelernte Bäckergeselle Josef Hufschmied, “hat die Runde dem Gemeinderat eben voraus. In der Runde ist es nicht möglich Sachen, Meinungen oder Auffassungen zu negieren, geschweige denn zu verschweigen, vertuschen oder verheimlichen.“
Jeden Donnerstagabend, pünktlich um viertel nach Acht, treffen die Rundemitglieder sich im Goldenen Ochsen, ein Wirtshaus annex Saal das Sie direkt hinter dem Ratskeller, dem meist angesehenen Launischen Etablissement, finden. Letzten Donnerstag stand der Vorschlag, eingebracht von Frau Elisabeth Grobstein-Schwager, zur Debatte eine Männerquote einzuführen. Wahrlich ein höchst aktuelles und prangendes Thema. Der Saal war denn auch proppevoll; kaum Platz für Regisseur Egon Fürchterlich und seine Kameramänner.
Was bitte schön, hatte der zu beratende Vorschlag in sich? Worüber stritten sich die Geister? Dazu muss ich kurz die Vorgeschichte schildern.
Es gibt in Launen an der Luhre im ganzen mindestens sieben verschiedene Schulen und fast so viele Schultypen: vier Grundschulen, eine Hauptschule (die Leibnitz Akademie), eine Städtische Realschule (die an der Bahnhofstraße), und ein Gymnasium (das Launische Kantgymnasium). Auch lassen sich zwei Kindergärten und etliche Kinderaufbewahrplätze finden. Daneben gibt es auch noch eine Waldorfschule; was sich dort abspielt weiß man nicht genau.
Die Lehrerschaft besteht aus insgesamt 46 Personen; davon sind 45 Frauen. (Nur der Gymnasiumdirektor ist ein Mann: der ziemlich angesehene Dr. Hans-Otto Bergsteiger.) Viele Launener, sowohl die wissenschaftliche Besserwisser als auch die nicht-wissenschaftliche Sachverständigen, betrachten das Fehlen männlicher Lehrer an den Schulen als ein großes und tief eingreifendes Manko. Daher hat die liebe Frau Grobstein-Schwager, in Namen vieler wie sie sagt, vorgeschlagen ab den 1. Januar 2015 an allen Launischen Schulen ein Männerquotum einzuführen. Mindestens ein Drittel der Lehrerschaft soll aus männlichen Personen bestehen.
Die Frage ob und wie dieses Ziel zu erreichen sei, wurde schon vom Gemeinderat beraten, aber dann doch wieder auf die lange Bahn geschoben. Jetzt aber bemüht sich die Launische Runde um das Thema. Es wurde auch Zeit.
Letzten Donnerstagabend um elf, eine Stunde nach Beendigung der heutigen Runde, traf man sich in dem VIP-Room des Goldenen Ochsen. Ein Schnäppchen oder ein kühles Pilsner war nötig um die Enttäuschung zu verdrängen. Was war geschehen? In der Runde wurde der Männerquotevorschlag weit und breit gelobt. (Nur die Frau Gertrude Köstlich (ehemals CDU) hatte ihre Bedenken.) Die Verwirklichung des Vorschlages aber stieß auf unüberwindliche Beschwerden. Denn ebenso weit und breit ließ sich im Raume Launen an der Luhre kein einziger männlicher Lehrer mehr auftreiben. Sie waren offenbar ausgestorben. Nur das Gymnasium konnte melden, dass ein junger Deutsch-Englisch Lehrer aus dem benachbarten Grünstreifen-an-der-Auer eventuell bereit wäre seinen Standplatz zu wechseln. Wenn das so ist, sagte man, wenn es überhaupt keine Männerlehrer gibt, hat die Diskussion ihre Grundlage und Berechtigung verloren. So klug sind halt die Mitglieder der Launischen Runde.
Wie voll der Saal im Goldenen Ochsen tatsächlich war sehen Sie hier unten. Leider ist kein Mann zu sehen: die sitzen alle an der Theke äußerst rechts und wollen lieber nicht erkannt werden.
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Sonntag, 16. November 2014
Bagatelle 244 - Ausgerechnet ausgezeichnet!
terra40, 13:20h
Es ist vor Jahren schon einige Male passiert dass ich, in fernen Ländern angekommen, bemerkte mal wieder vergessen zu haben mir Geld in einer an der Gegend angepassten Währung zu besorgen. Schwierig, denn nicht immer und nicht überall kam man mit Gulden und Dollar weiter. Der erste Gang auf fremdem Boden führte dann zwangsweise Richtung Wechselstube. Eine Tabelle an der Wand erklärte mir wie viele Zloty, Lei, Shilling oder welche fremde Währung auch immer ich bekomme für lumpige einhundert niederländische Gulden. (Die Tatsache, dass es mehrere Wechselkurse gab und gibt: offizielle und weniger offizielle, lassen wir bequemlichkeitshalber für einen Moment beiseite.)
Das Umrechnen von einer Währung in die andere ist manchmal eine Qual. Oder wissen Sie sofort, ohne zu zögern und ohne den Kalkulator in ihrem Smartphone zu Hilfe zu rufen wie viele norwegische Kronen ihre 300 Euro wert sind?
Doch, ich habe früher in der Schule gelernt wie man Währungen umrechnet. Gulden in deutsche Marken, in englische Pfunden, in schwedische Kronen und in österreichische Schillingen. Und umgekehrt. Aber bis heute bin ich immer noch im Zweifel: ich kenne den heutigen Kurs, aber wie war es nochmal, muss man jetzt dividieren oder multiplizieren?
Theo Thijssen, 1879-1943, ein jetzt ziemlich unbekannter niederländischer Pädagoge-Schriftsteller-Politiker, antwortete einst auf die Frage, was er denn wohl gelernt habe in der Grundschule: “Lesen, Schreiben und sonst einige kleine Sachen.“
Zu den sonstigen Sachen hat nebst Lesen und Schreiben sicher auch das Rechnen gehört. Dass zehnjährige Kinder vor hundert Jahren in der holländischen Grundschule rechnen konnten, und zwar alles ohne Kalkulator, möchte ich Ihnen beweisen anhand einer Seite aus dem Rechnen Schulheft (5. Klasse) meines Schwiegeronkels Johan W(esterveld). Er hat es für uns aufbewahrt.
Es ist ein schöner Sommermorgen, dieser 19. Juli im Jahre 1913. Herr Lehrer K(oerselman) hat das Wort.
“Und jetzt die Aufgabe 5. Liebe Kinder, ihr sieht hier eine Tabelle mit acht Kolumnen und sechs Reihen. Die Kolumnen sind Münzen die ihr alle kennt, und zwar von links: gros, cent, stuiver, halve gros, halve cent, kwartje, mark en halve stuiver. Für die zukünftigen Bagatellleser(innen) sag ich, dass der Wert eines gros, eines stuivers, eines kwartjes und einer mark respektive 6, 5, 25 und 60 Cents beträgt. Ihr seht, dass ganz links in der gros-Kolumne schon Zahlen eingeführt worden sind, z.B. in der dritten Reihe 49 gros. Jetzt an Euch die Frage: wieviel Cents sind 49 gros? Und wieviel stuivers, wieviel halve gros, und so weiter und sofort. Zeichnet bitte mit Bleistift die Tabelle nach in euren Rechenheften und versucht die Zellen in der Tabelle alle auszufüllen.“ (Sie merken: Der Herr Lehrer K. spricht ein ebenso schlechtes Deutsch als der Bagatellenschreiber es schreibt..)
Der damals zehnjährige, spätere Schwiegeronkel Johan setzt sich an die Arbeit und als er das Resultat dem Lehrer vorlegt, staunt dieser nicht schlecht. Der Johan hat die schwierige Aufgabe fehlerfrei gelöst. Hut ab! Gut gemacht Johan! rufen wir alle dem Rechenmeister zu. Und der Lehrer K. schreibt in roter Tinte quer durch die gelungene Prüfung das Wort GOED! Und darunter schreibt er das Datum. Es ist tatsächlich der 19. Juli 1913, ein schöner Sommertag, noch vor dem großen, ersten Weltkrieg.
Das waren noch Zeiten wo die Kinder in der Schule etwas richtig Vernünftiges lernten, seufzten hundert Jahre später die unverbesserlich Konservativen.
Das Umrechnen von einer Währung in die andere ist manchmal eine Qual. Oder wissen Sie sofort, ohne zu zögern und ohne den Kalkulator in ihrem Smartphone zu Hilfe zu rufen wie viele norwegische Kronen ihre 300 Euro wert sind?
Doch, ich habe früher in der Schule gelernt wie man Währungen umrechnet. Gulden in deutsche Marken, in englische Pfunden, in schwedische Kronen und in österreichische Schillingen. Und umgekehrt. Aber bis heute bin ich immer noch im Zweifel: ich kenne den heutigen Kurs, aber wie war es nochmal, muss man jetzt dividieren oder multiplizieren?
Theo Thijssen, 1879-1943, ein jetzt ziemlich unbekannter niederländischer Pädagoge-Schriftsteller-Politiker, antwortete einst auf die Frage, was er denn wohl gelernt habe in der Grundschule: “Lesen, Schreiben und sonst einige kleine Sachen.“
Zu den sonstigen Sachen hat nebst Lesen und Schreiben sicher auch das Rechnen gehört. Dass zehnjährige Kinder vor hundert Jahren in der holländischen Grundschule rechnen konnten, und zwar alles ohne Kalkulator, möchte ich Ihnen beweisen anhand einer Seite aus dem Rechnen Schulheft (5. Klasse) meines Schwiegeronkels Johan W(esterveld). Er hat es für uns aufbewahrt.
Es ist ein schöner Sommermorgen, dieser 19. Juli im Jahre 1913. Herr Lehrer K(oerselman) hat das Wort.
“Und jetzt die Aufgabe 5. Liebe Kinder, ihr sieht hier eine Tabelle mit acht Kolumnen und sechs Reihen. Die Kolumnen sind Münzen die ihr alle kennt, und zwar von links: gros, cent, stuiver, halve gros, halve cent, kwartje, mark en halve stuiver. Für die zukünftigen Bagatellleser(innen) sag ich, dass der Wert eines gros, eines stuivers, eines kwartjes und einer mark respektive 6, 5, 25 und 60 Cents beträgt. Ihr seht, dass ganz links in der gros-Kolumne schon Zahlen eingeführt worden sind, z.B. in der dritten Reihe 49 gros. Jetzt an Euch die Frage: wieviel Cents sind 49 gros? Und wieviel stuivers, wieviel halve gros, und so weiter und sofort. Zeichnet bitte mit Bleistift die Tabelle nach in euren Rechenheften und versucht die Zellen in der Tabelle alle auszufüllen.“ (Sie merken: Der Herr Lehrer K. spricht ein ebenso schlechtes Deutsch als der Bagatellenschreiber es schreibt..)
Der damals zehnjährige, spätere Schwiegeronkel Johan setzt sich an die Arbeit und als er das Resultat dem Lehrer vorlegt, staunt dieser nicht schlecht. Der Johan hat die schwierige Aufgabe fehlerfrei gelöst. Hut ab! Gut gemacht Johan! rufen wir alle dem Rechenmeister zu. Und der Lehrer K. schreibt in roter Tinte quer durch die gelungene Prüfung das Wort GOED! Und darunter schreibt er das Datum. Es ist tatsächlich der 19. Juli 1913, ein schöner Sommertag, noch vor dem großen, ersten Weltkrieg.
Das waren noch Zeiten wo die Kinder in der Schule etwas richtig Vernünftiges lernten, seufzten hundert Jahre später die unverbesserlich Konservativen.
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Donnerstag, 6. November 2014
Bagatelle 243 - Marmor, Glas und Blech
terra40, 15:28h
Wenn das Geld fehlt um sich mit wirklich schönen Sachen zu bereichern, begnüge man sich mit Surrogat. So etwa muss meine Schwiegergroßmutter gedacht haben als sie sich nach neuem Waschmobiliar umsah: sie fand schließlich einen kleinen Tisch mit aufstehendem Spiegel und dazu passendem Regal. Die Tischplatte und die Spiegelumrandung sind bei Leibe nicht aus feinem italienischen Marmor wie es den Anschein hat. Beim näheren Betrachten sieht man es auch: es ist eine Fälschung, weil nur schlichtes, bemaltes Kiefernholz. Ein Quasi-Fachmann, in einer Mischung von grobem Anstreicherkönnen und feinsinniger Malermeistertätigkeit, hat versucht uns reinzulegen.
In dem (schwieger)großelterlichen Schlafzimmer hat sich in dem letzten Jahrhundert – außer der eingetretener Zentralheizung vor vierzig Jahren – fast nichts geändert. Das Waschmobiliar mit der unechten Marmortischplatte steht immer noch an seinem geordneten Platz. Und die Waschutensilien sind alle noch da. Nur das wichtigste fehlt: das Wasser. (Dieses Schlafzimmer war nie auf der Wasserleitung angeschlossen. Man holte sich das Wasser aus der benachbarten Küche.)
Das Glaswerk auf dem kleinen Regal besteht vornehmlich aus einigen kölnisch-Wasser-Fläschen. Nur ist die Marke nicht 4711, sondern die eines der Konkurrenten mit Namen Tosca. Man sieht es vor sich. Am Sonntagmorgen, vor dem Kirchgang, stellt sich die Großmutter vor dem Spiegel, begutachtet ihr Aussehen und gießt vorsichtig einige köstliche Toscatropfen auf ihr frischgebügeltes weißes Taschentuch. Diese Prozedur ließe sich Anno 2014 wiederholen, denn die Flasche ist noch halb voll. Wenn sie den kleinen Schraubdeckel aufdrehen, kommt Ihnen der unverkennbare Tosca(ner)duft entgegen, auch jetzt noch.
In dem kleinen Behälter aus Steingut befinden sich einige merkwürdig anmutende Stückchen Blech. Es sind eine Art Quittungsmarken, metallene Bescheinigungen, die beweisen sollen, dass man die Fahradsteuer für einen bestimmten Zeitraum bezahlt hat. Diese Blechmarken sind aus den Jahren 1934/35. Doch, auch damals gab es schon eine Maut. Nicht von deutschen Besserwissern uns, eifrigen Grenzgängern, auferlegt, sondern von der eigenen, holländischen, Steuerbehörde verordnet. Ich vermute dass dieser Blechstreifen, nachdem er beim Steueramt für teures Geld erworben war, irgendwo am Fahrrad befestigt wurde. Wahrscheinlich wurde eine Stange feierlich umklemmt.
Das Schlafzimmer wurde seit Lebens immer von meinen Schwieger(groß)eltern benutzt. Jetzt nur noch selten, wenn liebe Gäste einen Platz zum Schlafen brauchen. Dann erzähl ich denen auch immer die Geschichte von Marmor, Glas und Blech.
In dem (schwieger)großelterlichen Schlafzimmer hat sich in dem letzten Jahrhundert – außer der eingetretener Zentralheizung vor vierzig Jahren – fast nichts geändert. Das Waschmobiliar mit der unechten Marmortischplatte steht immer noch an seinem geordneten Platz. Und die Waschutensilien sind alle noch da. Nur das wichtigste fehlt: das Wasser. (Dieses Schlafzimmer war nie auf der Wasserleitung angeschlossen. Man holte sich das Wasser aus der benachbarten Küche.)
Das Glaswerk auf dem kleinen Regal besteht vornehmlich aus einigen kölnisch-Wasser-Fläschen. Nur ist die Marke nicht 4711, sondern die eines der Konkurrenten mit Namen Tosca. Man sieht es vor sich. Am Sonntagmorgen, vor dem Kirchgang, stellt sich die Großmutter vor dem Spiegel, begutachtet ihr Aussehen und gießt vorsichtig einige köstliche Toscatropfen auf ihr frischgebügeltes weißes Taschentuch. Diese Prozedur ließe sich Anno 2014 wiederholen, denn die Flasche ist noch halb voll. Wenn sie den kleinen Schraubdeckel aufdrehen, kommt Ihnen der unverkennbare Tosca(ner)duft entgegen, auch jetzt noch.
In dem kleinen Behälter aus Steingut befinden sich einige merkwürdig anmutende Stückchen Blech. Es sind eine Art Quittungsmarken, metallene Bescheinigungen, die beweisen sollen, dass man die Fahradsteuer für einen bestimmten Zeitraum bezahlt hat. Diese Blechmarken sind aus den Jahren 1934/35. Doch, auch damals gab es schon eine Maut. Nicht von deutschen Besserwissern uns, eifrigen Grenzgängern, auferlegt, sondern von der eigenen, holländischen, Steuerbehörde verordnet. Ich vermute dass dieser Blechstreifen, nachdem er beim Steueramt für teures Geld erworben war, irgendwo am Fahrrad befestigt wurde. Wahrscheinlich wurde eine Stange feierlich umklemmt.
Das Schlafzimmer wurde seit Lebens immer von meinen Schwieger(groß)eltern benutzt. Jetzt nur noch selten, wenn liebe Gäste einen Platz zum Schlafen brauchen. Dann erzähl ich denen auch immer die Geschichte von Marmor, Glas und Blech.
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Donnerstag, 30. Oktober 2014
Bagatelle 242 - Düstere Aussicht
terra40, 19:50h
Jetzt wo die Winterzeit das Sommeruhrwerk abgelöst hat, drängen sich düstere Gedanken auf. (Sie wissen: bei uns kommt jedes Halbjahr in den allerfrühesten Morgenstunden (nämlich um zwei) der Zeitverschieber höchstpersönlich und versetzt in einem Schlag alle Uhren um eine Stunde. Vorwärts oder rückwärts, darüber streiten sich jetzt noch die Gelehrten.) Letzten Sonntag war es wieder so weit. Vor allem abends merkt man den Unterschied. Es dunkelt, jetzt Ende Oktober wo der Nebel über die Lande schweift, schon um fünf. Meine Pfauenfamilie bittet schon eine halbe Stunde vorher um ihr Abendbrot.
Gerade in diesen Tagen, wo alle Heiligen uns zu besuchen pflegen, verfolgt von allen Seelen, führt die sich nach vorne ausbreitende, verfrühende Finsternis zu düsteren, melancholischen Gefühlen. Das dauert allerdings nicht lange, jedenfalls bei mir. Aber ich wette mit Ihnen, dass auch Sie sich sehr freuen wenn demnächst die Tage anfangen wieder zu längeren.
Ich übertreibe nur wenig wenn ich behaupte, dass die Finsternis an sich mir wenig Angst und Schrecken einflößt. Natürlich war mir wohl öfters Angst und Bange im Dunkeln, aber immer vor etwas anderem, nicht vor der Dunkelheit selbst, so finster und düster sie auch war. Nein, die Dunkelheit ist mein Freund. Wenn Sie mich bitten abends in völliger Dunkelheit (kein Vollmond, weit und breit keine Beleuchtung) die Abendzeitung aus dem Briefkasten zu holen der sich zweihundert Meter vom Hof entfernt an der Landstraße aufhält, strafen Sie mich damit nicht. Meine Füße kennen den Weg und ich finde auch ohne eine Hand vor Augen zu sehen meinen Weg. Ja, manchmal genieße ich es.
Was mir weniger glücklich macht ist das allmählich Fehlen totaler Finsternis. Licht und Lärm sind immer da. Auch bei uns, auf dem dünn besiedelten platten Lande. Zum Beispiel, wenn ich nachts nicht schlafen kann, in die Küche schleiche und mich vors Fenster stelle, sehe ich in der Ferne eine einsame Straßenlaterne, welche niemandem beilichtet. Das Licht ist so hell dass man fast die im vorigen Abschnitt gerade geholte Abendzeitung lesen kann. Wörtlich und nicht sozusagen.
Der einzige Weg um die Freundschaft mit der Dunkelheit zu feiern ist das Schließen der Augen. So weit sind wir gekommen.
Gerade in diesen Tagen, wo alle Heiligen uns zu besuchen pflegen, verfolgt von allen Seelen, führt die sich nach vorne ausbreitende, verfrühende Finsternis zu düsteren, melancholischen Gefühlen. Das dauert allerdings nicht lange, jedenfalls bei mir. Aber ich wette mit Ihnen, dass auch Sie sich sehr freuen wenn demnächst die Tage anfangen wieder zu längeren.
Ich übertreibe nur wenig wenn ich behaupte, dass die Finsternis an sich mir wenig Angst und Schrecken einflößt. Natürlich war mir wohl öfters Angst und Bange im Dunkeln, aber immer vor etwas anderem, nicht vor der Dunkelheit selbst, so finster und düster sie auch war. Nein, die Dunkelheit ist mein Freund. Wenn Sie mich bitten abends in völliger Dunkelheit (kein Vollmond, weit und breit keine Beleuchtung) die Abendzeitung aus dem Briefkasten zu holen der sich zweihundert Meter vom Hof entfernt an der Landstraße aufhält, strafen Sie mich damit nicht. Meine Füße kennen den Weg und ich finde auch ohne eine Hand vor Augen zu sehen meinen Weg. Ja, manchmal genieße ich es.
Was mir weniger glücklich macht ist das allmählich Fehlen totaler Finsternis. Licht und Lärm sind immer da. Auch bei uns, auf dem dünn besiedelten platten Lande. Zum Beispiel, wenn ich nachts nicht schlafen kann, in die Küche schleiche und mich vors Fenster stelle, sehe ich in der Ferne eine einsame Straßenlaterne, welche niemandem beilichtet. Das Licht ist so hell dass man fast die im vorigen Abschnitt gerade geholte Abendzeitung lesen kann. Wörtlich und nicht sozusagen.
Der einzige Weg um die Freundschaft mit der Dunkelheit zu feiern ist das Schließen der Augen. So weit sind wir gekommen.
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Donnerstag, 16. Oktober 2014
Bagatelle 241 - Sütterlinarisches Poesiealbumrätsel
terra40, 13:15h
Unlängst, vor einigen Tagen, habe ich Ihnen etwas von meiner Nicht-Schwiegermutter Hanna erzählt (Bagatelle 240). Unter das wenige das sie uns hinterlassen hat, befindet sich auch ein geheimnisvolles Poesie-Album. (Früher hatte wohl jedes junge Mädchen solch ein Poesie-Album, in dem Verwandten und Freundinnen so gut und schön es nur ging, ihr zu Ehren, einen Vers schrieben.)
Die Poesie in dem Album mag schlicht und einfach sein, das Lesen und Verstehen ist für einen Aussenseiter und obendrein einen Ausländer eine Qual. Nicht wegen des Textes an sich, sondern wegen der Schreibweise. Die meisten Gedichte sind in der Sütterlin-Schrift (mit Sorgfalt und Mühe, das sieht man) geschrieben worden. Schön, aber völlig unverständlich. Da wird das schlichte Lesen, Verstehen und Geniessen ein Problem.
Auf der ersten Seite schreibt die Hanna selber. Nach einer halben Stunde ist mir halbwegs klar geworden, dass sie hofft dass alle die das Album in die Hand nehmen, mit Freuden in diesem Büchlein schreiben werden.
Und einige Seiten weiter schreibt eine gewisse Berta. Ich vermute (kann aber völlig daneben liegen) dass es die Schwester Berta ist, die der Johanna zuruft auch in Zeiten wo die Lebensstürme toben, stets den Blick nach oben gerichtet zu halten. (Gegen diese Art von Weisheiten hat selbst ein Philosoph wie Kant nichts einzubringen.)
Seit meiner Kindheit lasse ich mir wenig gefallen. Wenn einer zu dem jungen Terra sagte: klettere mal in den Gipfel dieses Kastanienbaumes, das kannst du nie und nimmer, da war der Terra sofort da um das Gegenteil zu beweisen. Was nicht immer ohne Unfälle geschah, aber das ist ein anderes Kapittel.
Spuren von dieser schlechten Charaktereigenschaft lassen sich noch immer finden. So wundert es nicht, dass ich, in dem Gefecht mit der Sütterlinschrift, dachte: was die können, kann ich auch.
Und siehe da: Sütterlin lesen ist sehr schwer, Sütterlin schreiben aber sehr einfach. Daher das folgende traditionnel- niederländische Poesie-Album-Gedicht das ich der lieben Johanna widme.
Für Sie alle die Gelegenheit zu beweisen, dass Sie sowohl Sütterlin als die niederländische Sprache einigermaßen beherrschen. Wer besorgt mir die beste deutsche Übersetzung?
Die Poesie in dem Album mag schlicht und einfach sein, das Lesen und Verstehen ist für einen Aussenseiter und obendrein einen Ausländer eine Qual. Nicht wegen des Textes an sich, sondern wegen der Schreibweise. Die meisten Gedichte sind in der Sütterlin-Schrift (mit Sorgfalt und Mühe, das sieht man) geschrieben worden. Schön, aber völlig unverständlich. Da wird das schlichte Lesen, Verstehen und Geniessen ein Problem.
Auf der ersten Seite schreibt die Hanna selber. Nach einer halben Stunde ist mir halbwegs klar geworden, dass sie hofft dass alle die das Album in die Hand nehmen, mit Freuden in diesem Büchlein schreiben werden.
Und einige Seiten weiter schreibt eine gewisse Berta. Ich vermute (kann aber völlig daneben liegen) dass es die Schwester Berta ist, die der Johanna zuruft auch in Zeiten wo die Lebensstürme toben, stets den Blick nach oben gerichtet zu halten. (Gegen diese Art von Weisheiten hat selbst ein Philosoph wie Kant nichts einzubringen.)
Seit meiner Kindheit lasse ich mir wenig gefallen. Wenn einer zu dem jungen Terra sagte: klettere mal in den Gipfel dieses Kastanienbaumes, das kannst du nie und nimmer, da war der Terra sofort da um das Gegenteil zu beweisen. Was nicht immer ohne Unfälle geschah, aber das ist ein anderes Kapittel.
Spuren von dieser schlechten Charaktereigenschaft lassen sich noch immer finden. So wundert es nicht, dass ich, in dem Gefecht mit der Sütterlinschrift, dachte: was die können, kann ich auch.
Und siehe da: Sütterlin lesen ist sehr schwer, Sütterlin schreiben aber sehr einfach. Daher das folgende traditionnel- niederländische Poesie-Album-Gedicht das ich der lieben Johanna widme.
Für Sie alle die Gelegenheit zu beweisen, dass Sie sowohl Sütterlin als die niederländische Sprache einigermaßen beherrschen. Wer besorgt mir die beste deutsche Übersetzung?
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Montag, 6. Oktober 2014
Bagatelle 240 - Ratschläge für Liebhaber
terra40, 22:17h
Das hier ist ein altes, sepiafarbiges Bild, aus den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, das meinen Schwiegervater Hendrik mit seiner Verlobten Johanna (genannt Hanna) zeigt. Hendrik (1905-1987) war zwar schon mein Schwiegervater, die Hanna aber war nicht meine Schwiegermutter.
Die Sache ist so: die Hanna, als deutsches Dienstmädchen vom benachbarten Preußen in die Niederlande gezogen, hatte sich in einen holländischen Bauern verliebt und ihn 1929 geheiratet. Die Heirat dauerte aber nicht lange. Nach einer schweren Krankheit starb die Hanna in 1936. Anfang 1940 heiratete mein Schwiegervater zum zweiten Male, wieder mit einer Hanna. Diese zweite Hanna wurde später meine Schwiegermutter.
Nun aber total etwas anderes. Wer schreibt heutzutage noch? Worte und Wörter und zwar mit Tinte und Feder auf einem weißen Blatt Papier? Und das meist unwahrscheinlichste von allem: gibt es überhaupt noch jemand der einen Liebesbrief schreibt? Meine Nicht-Schwiegermutter Hanna hat es vielleicht getan, denn ich fand in ihrem Nachlass, versteckt in einem der vielen alten Schränke im Hof, ein Büchlein mit dem Titel: “Neuester Briefsteller für Liebende”. (Nebst Anhang: Stammbuchverse und Gelegenheitsgedichte.) Schon der Titel lässt vermuten, dass es sich hierbei um ein literarisches Meisterwerk handelt.
Die erste Abteilung dieses interessanten Werkes enthält Beispiele für schriftliche Liebeserklärungen und Bewerbungen etc. mit zusagenden und ablehnenden Antworten, alle gedruckt in den komischen, schwer zu lesenden Schriftzeichen aus jener Zeit (um 1920). Dass nicht alle Beiträge äußerst ernst und seriös aufzufassen sind, zeigt die folgende hilfreiche Anleitung.
Beispiel eines scherzhaften Liebesbriefes an ein hübsches Mädchen.
Meine innig geliebte Erna,
Ich nehme mir die Freiheit, Ihnen die Versicherung zu geben, daß ich Ihnen notwendig die Augen ausreißen oder mir die meinigen ausstechen muß. Das ist unbedingte Wahrheit. Sie müssen entweder minder schön oder ich muß blind werden; das ist wieder eine Wahrheit. Obgleich mein Leidenschaft so heftig ist, wie die jedes andern Liebenden sein kann, hoffe ich doch, Sie werden nicht erwarten, daß ich mich ertränke oder aufhänge. Sie können es mir glauben, mein Fräulein, daß ich ganz gewiß gesonnen bin, weder das eine noch das andere zu tun. Es hieße beweisen, daß ich sehr wenig Verstand und noch viel weniger Erkenntnis Ihres Verdienstes hätte, wenn ich nur die geringste Neigung zeigte, diese Welt zu verlassen, so lange Sie auf derselben zurückbleiben. Offen gesprochen, mein Fräulein, ziehe ich das Glück, Sie zu sehen, bei weitem dem Ruhm vor, für Sie zu sterben. Ich habe überdies eine viel zu gute Meinung von Ihrer Urteilskraft, um mich nicht überzeugt zu halten, daß Ihnen ein lebendiger Liebhaber lieber ist als ein toter; daß Sie brennende Lippen, bereit tausende Küsse zu geben, kalten, für immer geschlossenen Lippen vorziehen. Muß ich indes sterben, so bitte ich Sie, mich durch Ihre Güte und nicht durch Ihre Strenge zu töten. Viel lieber werde ich in Ihren Armen, als zu Ihren Füßen, sterben. Wären Sie zärtlich geneigt, mir einen Tod dieser Art zu geben, so bin ich bereit, ihn augenblicklich von Ihnen zu empfangen, wann und wo es Ihnen gefällig sein wird. Deuten Sie mir nur Zeit und Ort an, und ich werde nicht ermangeln, meiner schönen Mörderin entgegen zu eilen.
Für immer Ihr Bertrand.
Die Antwort mag lauten:
Sie haben sich offenbar mit mir einen Scherz machen wollen, und ich verzeihe Ihnen dies, indem ich Ihnen die Erklärung gebe, daß ich keineswegs beabsichtige, Ihre Mörderin zu werden. Ich muß Ihnen daher raten, anderwärts unter meinen Schwestern eine so Grausame oder Blutdürstige zu suchen. Ich vermag nichts für Sie zu tun, und hoffe, daß durch diese Erklärung weder meine, noch Ihre Augen in Gefahr kommen.
Mit aller Achtung, Erna.
Brief und Antwort: Beispiele für die ungeahnt hohen literarischen Qualitäten der deutschen Liebesbriefe vor hundert Jahren. Und nicht ohne Humor. So etwas in 2014 schon einmal in einem tweet, sms oder e-mail gelesen oder in einem ipad hineingeschrieben gesehen? Passend zu Ihrem face-book?
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Freitag, 19. September 2014
Bagatelle 239 - Pfauendauergeschichte
terra40, 17:13h
Lang ist’s her dass ich Ihnen Neues berichtet habe über unsere Pfauenfamilie. Vielleicht fragen Sie: leben die überhaupt noch, weil der Terra sie niemals mehr erwähnt? Obschon wir bei uns immer behaupten, dass kein Bericht ein guter Bericht sei, ist es in der Tat an der Zeit Ihnen die neuesten Pfauengeschichten zu erzählen.
Fassen wir, für uns selber und für die neu hinzugekommenden de.blogger, die wichtigsten Daten und Fakten zusammen. Die Geschichte fing Anfang 2012 an, als der Pfauhahn Jeroen (so nannten wir ihn) unangemeldet unseren Hof betrat und verkündete ihn nie wieder verlassen zu wollen. 2013 dann, just am 1. Mai, holten eine Bekannte von mir und ichselbst ihm, der gelangweilt und trostlos den ganzen Tag um den Hof herumspazierte, eine Partnerin aus dem benachbarten Ausland, 6 km von unserem Wohnsitz entfernt. Die Partnerin haben wir Jetta getauft, ein Name der mehrmals in der Familienchronik auftaugt. Groß war unsere Freude als anfang Juni die Jetta ihrem Gatten Jeroen mit zwei Pfauenküken beglückte: zwei komisch-putzige Pfauenhänchen. Vorerst noch ohne Namen weil uns bis heute noch kein guter eingefallen ist.
Jetzt ist es 2014. Im April fand ich zufällig im Gebüsch ein Pfauennest mit fünf Eiern. Davon habe ich zwei entfernt, wegen der Gefahr der Pfauenüberbevölkerung. Genau am Himmelfahrtstag diesen Jahres sind zwei frische Küken aus dem Ei geschlüpft. Das dritte Ei war offenbar unbefruchtet geblieben. Munter, kreuzfidel und sehr neugierig, so benehmen sich die Neugeborenen. Vater Jeroen und die beiden Halbbrüder aus dem vorigen Jahr staunten nicht schlecht. Sie benahmen sich fast menschlich: nach außen mit Abstand und scheinbar nicht-interessiert; innerlich aber froh und glücklich.
Bis vor einigen Wochen konnte man beim genauen Hinsehen folgendes feststellen. Mutter Jetta geht, immer von den zwei kleinen begleitet, ruhig und besonnen ihren Gang. Die zwei Vorjahreshänchen gesellen sich ab und zu zu ihnen, oder spielen sonst ihre eigenen Spielchen. Sie üben ihre Flugqualitäten indem sie hoch oben auf das Scheunendach fliegen. Und in diesen schönen Sommertagen lernten sie von ihren Eltern wie man am besten ein herrliches Sandbad nimmt.
Man verträgt sich, so kann man sagen. Beim Abendbrot aber sieht man wer Meister ist. Der Jeroen frisst als erster seine Körner und duldet dabei nur die Jetta mit ihren Kleinen. Die zwei halbwüchsige werden verjagt und sind froh wenn die Alten ihre Mahlzeit beendet haben und hier und dort einiges Essbares hinterlassen. Die Rangordnung steht also fest. Zu richtigen Streitereien ist es bis heute noch nicht gekommen
Bis vor einigen Wochen, so ist es. Immer wieder geschehen auch unvorhergesehene und traurige Vorfälle. Die Geschichte mit dem unbekannten fremden Hund, der Jeroens wunderbarer Schweif fast komplett verwüstet und abgebissen hat, kennen Sie. Vor drei Wochen etwa war wieder Panik in der Pfauenbude. Ein Buzzard war schuld: er hatte sich eines der zwei diesjährigen kleinen Pfauen bemächtigt. Einen ganzen Tag hat sich die ganze Pfauengesellschaft im Gebüsch verborgen gehalten. Jetzt hat die Jetta nur noch ein Küken übrig.
Dem Umständen nach geht es der Pfauenfamilie also gut. Abends steht die Gesellschaft bei der Scheunentüre und wartet auf einen gewissen Terra der so gut ist sie mit einigen Maiskörnern zu verwöhnen. Am liebsten aber ist ihnen der Inhalt der jetzt zu fallen beginnenden Wallnüsse. Leckeres findest du nie, nirgends und nirgendwo.
Jetta mit Nachwuchs
Frühlingsbild 2014: Der Jeroen sitzt oben auf der Pergola; links unten Jetta; die zwei auf der Bank sind die Küken vom Vorjahr
Sowohl eitel als auch neugierig. Daher Mutter Jetta und Küken auf dem Lieblingsplatz auf der Bank und vor dem Fenster. Fotografiert von innen nach außen.
Futtermomentaufnahme. Der Jeroen bittet die Turteltaube (auch ein gern gesehener Gast) sich zu entfernen.
Fassen wir, für uns selber und für die neu hinzugekommenden de.blogger, die wichtigsten Daten und Fakten zusammen. Die Geschichte fing Anfang 2012 an, als der Pfauhahn Jeroen (so nannten wir ihn) unangemeldet unseren Hof betrat und verkündete ihn nie wieder verlassen zu wollen. 2013 dann, just am 1. Mai, holten eine Bekannte von mir und ichselbst ihm, der gelangweilt und trostlos den ganzen Tag um den Hof herumspazierte, eine Partnerin aus dem benachbarten Ausland, 6 km von unserem Wohnsitz entfernt. Die Partnerin haben wir Jetta getauft, ein Name der mehrmals in der Familienchronik auftaugt. Groß war unsere Freude als anfang Juni die Jetta ihrem Gatten Jeroen mit zwei Pfauenküken beglückte: zwei komisch-putzige Pfauenhänchen. Vorerst noch ohne Namen weil uns bis heute noch kein guter eingefallen ist.
Jetzt ist es 2014. Im April fand ich zufällig im Gebüsch ein Pfauennest mit fünf Eiern. Davon habe ich zwei entfernt, wegen der Gefahr der Pfauenüberbevölkerung. Genau am Himmelfahrtstag diesen Jahres sind zwei frische Küken aus dem Ei geschlüpft. Das dritte Ei war offenbar unbefruchtet geblieben. Munter, kreuzfidel und sehr neugierig, so benehmen sich die Neugeborenen. Vater Jeroen und die beiden Halbbrüder aus dem vorigen Jahr staunten nicht schlecht. Sie benahmen sich fast menschlich: nach außen mit Abstand und scheinbar nicht-interessiert; innerlich aber froh und glücklich.
Bis vor einigen Wochen konnte man beim genauen Hinsehen folgendes feststellen. Mutter Jetta geht, immer von den zwei kleinen begleitet, ruhig und besonnen ihren Gang. Die zwei Vorjahreshänchen gesellen sich ab und zu zu ihnen, oder spielen sonst ihre eigenen Spielchen. Sie üben ihre Flugqualitäten indem sie hoch oben auf das Scheunendach fliegen. Und in diesen schönen Sommertagen lernten sie von ihren Eltern wie man am besten ein herrliches Sandbad nimmt.
Man verträgt sich, so kann man sagen. Beim Abendbrot aber sieht man wer Meister ist. Der Jeroen frisst als erster seine Körner und duldet dabei nur die Jetta mit ihren Kleinen. Die zwei halbwüchsige werden verjagt und sind froh wenn die Alten ihre Mahlzeit beendet haben und hier und dort einiges Essbares hinterlassen. Die Rangordnung steht also fest. Zu richtigen Streitereien ist es bis heute noch nicht gekommen
Bis vor einigen Wochen, so ist es. Immer wieder geschehen auch unvorhergesehene und traurige Vorfälle. Die Geschichte mit dem unbekannten fremden Hund, der Jeroens wunderbarer Schweif fast komplett verwüstet und abgebissen hat, kennen Sie. Vor drei Wochen etwa war wieder Panik in der Pfauenbude. Ein Buzzard war schuld: er hatte sich eines der zwei diesjährigen kleinen Pfauen bemächtigt. Einen ganzen Tag hat sich die ganze Pfauengesellschaft im Gebüsch verborgen gehalten. Jetzt hat die Jetta nur noch ein Küken übrig.
Dem Umständen nach geht es der Pfauenfamilie also gut. Abends steht die Gesellschaft bei der Scheunentüre und wartet auf einen gewissen Terra der so gut ist sie mit einigen Maiskörnern zu verwöhnen. Am liebsten aber ist ihnen der Inhalt der jetzt zu fallen beginnenden Wallnüsse. Leckeres findest du nie, nirgends und nirgendwo.
Jetta mit Nachwuchs
Frühlingsbild 2014: Der Jeroen sitzt oben auf der Pergola; links unten Jetta; die zwei auf der Bank sind die Küken vom Vorjahr
Sowohl eitel als auch neugierig. Daher Mutter Jetta und Küken auf dem Lieblingsplatz auf der Bank und vor dem Fenster. Fotografiert von innen nach außen.
Futtermomentaufnahme. Der Jeroen bittet die Turteltaube (auch ein gern gesehener Gast) sich zu entfernen.
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Freitag, 12. September 2014
Bagatelle 238 - Flussgeschichten
terra40, 22:29h
Der A-Strang (oder ist es die A-Strang? Man weiß nie, wie auch bei Rhein und Mosel) ist ein Fluss, der als Bächlein irgendwo im westfalener Land entspringt, dann ruhig fließend die Stadt Bocholt (i.W.) durchquert, unbemerkt die deutsch-holländische Grenze passiert, und weiter als richtiger Fluss in die Alte Issel mündet, die wiederum all ihr Wasser in die échte IJssel abführt, wonach schließlich das IJsselmeer freundlicherweise alles Wasser, deutsch und holländisch, zu sich reinlässt.
Nun will es der Zufall, dass mein Großvater vor vielen Jahren eine große Wiese besaß, diesseits des A-Stranges, nahe des kleinen Staudammes. Diese Weidenfläche wurde Stakenborg genannt, genau wie der Bauernhof jenseits des Stromes. In den früheren Jahren, wo der Wasserhaushalt noch nicht so funktionierte wie heute, kam es oft vor, vor allem in den Wintermonaten, dass die Stakenborgweide voll Wasser stand. Das Strangwasser lief eben über den niedrigen Sommerdeich. Gut, dass der Hof selber an der anderen Uferseite auf einer Hügel stand, so dass Mensch und Tier dort trocken blieben.
Nun hatte ich kürzlich erfahren, dass man mit den Flussarbeiten beim Stakenborgstaudamm fast fertig war. Man wollte dort nicht nur den Staudamm renovieren, man wollte auch das überflüssige Strangwasser durch einen Umweg um den Stau herumleiten um so ein Stück alte Natur ihr Gesicht wieder zurück zu geben. Also zog ich mit Rad und Kamera nach Stakenborg um nach dem rechten zu sehen.
Schön war es geworden, vielleicht zu schön. Das meiste Wasser fällt wie üblich vom Staudamm hinunter; der Rest fließt murmelnd leise durch den Umweg weiter nach Westen. Dieser Umweg kann – darüber hat man sicherlich gut nachgedacht – von den Fischen als Treppe benutzt werden, so dass sie heute, gegen den Strom schwimmend, sich nach dem Flussursprung sputen können.
Zum Schluss eine kleine, wahre Eisgeschichte.
Im Winter wurde oft auf der Stakenborgwiese Schlittschuh gefahren. Mein Opa baute sich dann ein Zelt für den Verkauf von warmen Getränken und bat jede(n) Schlittschuhfahrer(in) um eine Eintrittsgabe (25 Cents). Als Gegenleistung sorgte er dann, mit Sohn und Enkelkinder, dass die Eisfläche ordentlich gefegt wurde.
Eines Jahres hatte es so streng gefroren, dass außer der Wiese auch der Strang selber mit Schlittschuhen befahrbar war. Da kam mein Großvater und streute Salz auf das Strangeis. Er wollte sich von den Eisgöttern den Verdienst auf eigener Wiese nicht nehmen lassen. Es sei ihm verziehen.
Auf dem ersten der unteren Bilder sehen Sie linksoben den neuen Strang-Staudamm in Blau, rechtsoben den Stakenborghof und sonst Teile des neu errichteten Umweges.
Nun will es der Zufall, dass mein Großvater vor vielen Jahren eine große Wiese besaß, diesseits des A-Stranges, nahe des kleinen Staudammes. Diese Weidenfläche wurde Stakenborg genannt, genau wie der Bauernhof jenseits des Stromes. In den früheren Jahren, wo der Wasserhaushalt noch nicht so funktionierte wie heute, kam es oft vor, vor allem in den Wintermonaten, dass die Stakenborgweide voll Wasser stand. Das Strangwasser lief eben über den niedrigen Sommerdeich. Gut, dass der Hof selber an der anderen Uferseite auf einer Hügel stand, so dass Mensch und Tier dort trocken blieben.
Nun hatte ich kürzlich erfahren, dass man mit den Flussarbeiten beim Stakenborgstaudamm fast fertig war. Man wollte dort nicht nur den Staudamm renovieren, man wollte auch das überflüssige Strangwasser durch einen Umweg um den Stau herumleiten um so ein Stück alte Natur ihr Gesicht wieder zurück zu geben. Also zog ich mit Rad und Kamera nach Stakenborg um nach dem rechten zu sehen.
Schön war es geworden, vielleicht zu schön. Das meiste Wasser fällt wie üblich vom Staudamm hinunter; der Rest fließt murmelnd leise durch den Umweg weiter nach Westen. Dieser Umweg kann – darüber hat man sicherlich gut nachgedacht – von den Fischen als Treppe benutzt werden, so dass sie heute, gegen den Strom schwimmend, sich nach dem Flussursprung sputen können.
Zum Schluss eine kleine, wahre Eisgeschichte.
Im Winter wurde oft auf der Stakenborgwiese Schlittschuh gefahren. Mein Opa baute sich dann ein Zelt für den Verkauf von warmen Getränken und bat jede(n) Schlittschuhfahrer(in) um eine Eintrittsgabe (25 Cents). Als Gegenleistung sorgte er dann, mit Sohn und Enkelkinder, dass die Eisfläche ordentlich gefegt wurde.
Eines Jahres hatte es so streng gefroren, dass außer der Wiese auch der Strang selber mit Schlittschuhen befahrbar war. Da kam mein Großvater und streute Salz auf das Strangeis. Er wollte sich von den Eisgöttern den Verdienst auf eigener Wiese nicht nehmen lassen. Es sei ihm verziehen.
Auf dem ersten der unteren Bilder sehen Sie linksoben den neuen Strang-Staudamm in Blau, rechtsoben den Stakenborghof und sonst Teile des neu errichteten Umweges.
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Samstag, 30. August 2014
Bagatelle 237 - Jahrhundertgesang
terra40, 21:42h
Vor einigen Tagen brachte eine alte Bekannte mir ein ebenso altes Foto mit dem Bildnis einer jungen Frau. Das Bild kam, so sagte die Bekannte, aus dem Nachlass verstorbener gegenseitiger Verwandten. Es wurde vermutet, immer noch laut der Bekannten, dass es jemand aus meiner eigenen Verwandtschaft sein könnte. Meine Mutter vielleicht?
Sicher, das ist sie. Unverkennbar. Meine Mutter. An diesem Tag hat sie sich, in schönen Stücken gekleidet, dem Fotografen und somit auch uns allen bildlich preisgegeben. Sie zeigt sich uns wie sie ist und auch wie sie von uns gesehen werden möchte, denn offenbar ist ihrer Meinung nach dem Fotografen eine schöne Aufnahme gelungen, was wir sehr bejahen. Sicherlich hat die ganze Verwandtschaft und die Freundinnenschar solch ein Bild bekommen. Damit sie nicht vergessen werde, nun nicht und später auch nicht. So wie sie selber auch Fotos hat von allen Tanten, Kusinen und Freundinnen, wenn vorrätig vielleicht mit Ehemann.
Als die liebe Bekannte und ich uns über dieses Foto unterhielten, fiel mir ein anderes Bild ein. Ein gemischter Gesangsverein ist zu sehen. Meine Mutter war Mitglied dieses Vereins und wenn Sie gut schauen, könnten Sie sie irgendwo in der ersten Reihe finden. Wenn die Töne ebenso geklungen haben wie die Gesichter und Anzüge der geschätzten Mitglieder aussehen, muss es wohl eine ziemlich feierliche und wenig fröhliche Angelegenheit gewesen sein.
Beide Fotos stammen in etwa aus denselben Jahren, so um 1916, mitten im ersten Weltkrieg. Sie sind also fast einhundert Jahre alt. Mich interessiert nun auch, wás der Chor damals gesungen hat. Welches Repertoire? Waren es wirklich klassische Schubertlieder oder mehr heitere Frühlingsgesänge? Aus dem Chornamen lässt sich ableiten dass die Chormitglieder aus evangelischen/christlichen Häusern kamen. Der Chor hieß nämlich: SDG, eine Abkürzung von Soli Deo Gloria. Und für alle die das Lateinische verlernt haben gibt es sofort die Übersetzung: Allein Gott sei geehrt. Es war allerdings kein Kirchenchor.
Der Zufall will, dass von einigen Chordarbietungen aus jenen Zeiten das Programm erhalten ist. So auch vom Konzert am Neujahrstag, den 1. Januar 1916, das in der Dorfkirche zu D. zu hören war. Wie ein solches Konzertprogramm allerhand und unerwartete neue Einsichten in der damaligen Chorpraxis bietet! Zuerst nenne und übersetze ich Ihnen die diversen Chorbeiträge.
1. Kirchenlied
2. Werkmannslied
3. Vaterlandsgruß (von den männlichen Chormitgliedern gesungen)
4. Des Seemannes Los (solo)
5. (Mozarts) Ave Verum
6. Hört ihr die wilden Wellen?
7. Sommerabendlied
8. O, als ich noch ein Kind war
9. Wenn die Schwalbe uns verlässt (solo)
10. Wanderlied
11. Abendstimmen (Quartett)
12. Die Nachtigall
13. Volkshymne (Männerchor)
Offenbar wurde der Gesangsreigen kurz vor der Pause von einer Rede unterbrochen. Das Thema des geschätzten Redners war: das Schöne in der Verherrlichung Gottes. (Ich sehe es schon vor mir: Dutzende von Zuhörer(innen) welche die teuren Worte über sich her gehen lassen und die sich prustend und hustend nach der kommenden Pause sehnen, wo sie sich mit alten Bekannten unterhalten können.)
Was wir auch sagen mögen: das Konzert war sehr abwechslungsreich. Interessant ist auch die Mitteilung dass eine Eintrittskarte im Vorverkauf 25 Cents kostete; wenn ein Sitzplatz reserviert werden sollte immerhin 50 Cents.
Was wir auch gerne hören ist die strenge Anweisung auf dem Programm, dass das Rauchen in der Kirche zu unterlassen sei.
Vieles was so ein altes Bild hervorruft! Wir wissen jetzt wie der Chor aussah und was man sang. Fehlt noch die Beantwortung der Frage: und wie wurde das alles gesungen? Mühsam, grob und falsch oder hell, klar und sauber?
Sicher, das ist sie. Unverkennbar. Meine Mutter. An diesem Tag hat sie sich, in schönen Stücken gekleidet, dem Fotografen und somit auch uns allen bildlich preisgegeben. Sie zeigt sich uns wie sie ist und auch wie sie von uns gesehen werden möchte, denn offenbar ist ihrer Meinung nach dem Fotografen eine schöne Aufnahme gelungen, was wir sehr bejahen. Sicherlich hat die ganze Verwandtschaft und die Freundinnenschar solch ein Bild bekommen. Damit sie nicht vergessen werde, nun nicht und später auch nicht. So wie sie selber auch Fotos hat von allen Tanten, Kusinen und Freundinnen, wenn vorrätig vielleicht mit Ehemann.
Als die liebe Bekannte und ich uns über dieses Foto unterhielten, fiel mir ein anderes Bild ein. Ein gemischter Gesangsverein ist zu sehen. Meine Mutter war Mitglied dieses Vereins und wenn Sie gut schauen, könnten Sie sie irgendwo in der ersten Reihe finden. Wenn die Töne ebenso geklungen haben wie die Gesichter und Anzüge der geschätzten Mitglieder aussehen, muss es wohl eine ziemlich feierliche und wenig fröhliche Angelegenheit gewesen sein.
Beide Fotos stammen in etwa aus denselben Jahren, so um 1916, mitten im ersten Weltkrieg. Sie sind also fast einhundert Jahre alt. Mich interessiert nun auch, wás der Chor damals gesungen hat. Welches Repertoire? Waren es wirklich klassische Schubertlieder oder mehr heitere Frühlingsgesänge? Aus dem Chornamen lässt sich ableiten dass die Chormitglieder aus evangelischen/christlichen Häusern kamen. Der Chor hieß nämlich: SDG, eine Abkürzung von Soli Deo Gloria. Und für alle die das Lateinische verlernt haben gibt es sofort die Übersetzung: Allein Gott sei geehrt. Es war allerdings kein Kirchenchor.
Der Zufall will, dass von einigen Chordarbietungen aus jenen Zeiten das Programm erhalten ist. So auch vom Konzert am Neujahrstag, den 1. Januar 1916, das in der Dorfkirche zu D. zu hören war. Wie ein solches Konzertprogramm allerhand und unerwartete neue Einsichten in der damaligen Chorpraxis bietet! Zuerst nenne und übersetze ich Ihnen die diversen Chorbeiträge.
1. Kirchenlied
2. Werkmannslied
3. Vaterlandsgruß (von den männlichen Chormitgliedern gesungen)
4. Des Seemannes Los (solo)
5. (Mozarts) Ave Verum
6. Hört ihr die wilden Wellen?
7. Sommerabendlied
8. O, als ich noch ein Kind war
9. Wenn die Schwalbe uns verlässt (solo)
10. Wanderlied
11. Abendstimmen (Quartett)
12. Die Nachtigall
13. Volkshymne (Männerchor)
Offenbar wurde der Gesangsreigen kurz vor der Pause von einer Rede unterbrochen. Das Thema des geschätzten Redners war: das Schöne in der Verherrlichung Gottes. (Ich sehe es schon vor mir: Dutzende von Zuhörer(innen) welche die teuren Worte über sich her gehen lassen und die sich prustend und hustend nach der kommenden Pause sehnen, wo sie sich mit alten Bekannten unterhalten können.)
Was wir auch sagen mögen: das Konzert war sehr abwechslungsreich. Interessant ist auch die Mitteilung dass eine Eintrittskarte im Vorverkauf 25 Cents kostete; wenn ein Sitzplatz reserviert werden sollte immerhin 50 Cents.
Was wir auch gerne hören ist die strenge Anweisung auf dem Programm, dass das Rauchen in der Kirche zu unterlassen sei.
Vieles was so ein altes Bild hervorruft! Wir wissen jetzt wie der Chor aussah und was man sang. Fehlt noch die Beantwortung der Frage: und wie wurde das alles gesungen? Mühsam, grob und falsch oder hell, klar und sauber?
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Freitag, 15. August 2014
Bagatelle 236 - Schulkonzert in F für Blockflöte
terra40, 14:33h
In den Jahren wo ich die Pädagogische Hochschule besuchte – lang, lang ist’s her – konnte man an bestimmten Mittwochnachmittagen einige Studenten den großen Turnsaal in eine richtige Konzerthalle umbauen sehen. Rollen Fußbodenbedeckung (Matten aus Kokos) wurden aus dem Keller hervorgezaubert. Andere Studenten sorgten dafür dass genügend Stühle in schicken Reihen darauf einen Platz bekamen. Und noch andere rollten das große Klavier aus dem Musikraum aufs Podium wo es hinter verschlossenen Vorhängen auf seinen Bespieler wartete bis dann um zwei das Schulkonzert anfing.
Während eines solches Konzertes war es todesstille im Saal. Auf husten, mit Stühlen schieben, Unterhaltungen mit dem Nachbarn standen schwere Strafen: vergleichbar mit zwanzig Tagen auf Wasser und Brot. Das Beiwohnen eines Konzertes war Pflicht und weil die wenigsten Studenten die klassische Musik liebten war die Konzertstunde für viele eine Tortur. So nicht für mich.
An diesem Mittwochnachmittag erschienen eine etwas ältere Dame welche die Tasten eines selbst mitgebrachtes Cembalo berührte, ein Herr samt Cello, und ein noch sehr junger Musikant der Blockflöte spielte. Aber wie! Ich war so beeindruckt dass ich Ihnen bis heute die Namen der Musiker fehlerfrei aufsagen kann. Die Dame war Frau Janny van Wering, der Herr hieß Carel van Leeuwen Boomkamp (Solo-Cellist im Amsterdamer Concertgebouworchester). Der Blockflötenvirtuose hieß Frans Brüggen. Damals mit 25 Jahren schon einer der weltbesten Blockflötenspieler überhaupt.
Der damalige Hochschuldirektor hatte die gute Angewohnheit nach einem Konzert die Musiker für eine Tasse Tee und eine angenehme Nachrede in sein Zimmer einzuladen. Dazu gesellten sich meistens auch noch die Musikdozenten und ein Student, nämlich ein Mitglied der dreimonatlich erscheinende Schulzeitung. Weil ich die klassische Musik liebte únd Mitglied der Redaktion war habe ich einigen dieser Teerunden beigewohnt. So auch diese.
Links von mir saß der Hochschuldirektor und rechts der Herr van Leeuwen Boomkamp. Gegenüber saß Frans Brüggen der mich etwas argwöhnend aber nicht unfreundlich ansah. Worüber das Gespräch handelte weiß ich nicht mehr, weil ich mich sehr darum bekümmerte fehlerfrei Tee zu trinken und den Kuchen zu genießen. Wohl weiß ich dass Frans Brüggen sich sehr darüber verwunderte wie ruhig und höflich sich das geehrte junge Publikum verhielt. Als die Gäste sich anschickten zurück in den fernen Landeswesten zu fahren und alle das Gespräch für beendet sahen, sagte der Schuldirektor zu mir: “Nun mach mal einen schönen Beitrag daraus für eure Zeitschrift.“
An diese Gesprächsrunde und an dieses Konzert musste ich denken als ich vorgestern hörte dass der Herr Brüggen verstorben sei. Fast achtzig Jahre alt wurde er. In der Zeit nách dem Konzert habe ich ihn niemals weder gesehen noch mich mit ihm unterhalten. Aber seine LPs habe ich noch. Auch einige CDs worauf das Orchester des Achtzehnten Jahrhunderts, dessen Gründer und Dirigent er war, Musik alter Meister spielt auf eine Art und Weise wie, laut Brüggen, es die Komponisten meinten. Authentisch, versteht sich.
Am Ende seines Lebens dirigierte Frans Brüggen – ein alter, gebrechlicher Mann, auf einem Stuhl sitzend, mit kleinen abgemessenen Gebärden – sein Orchester das Beethovens Eroica vertonte wie Beethoven es sich vielleicht (denn man weiß nie) gewünscht hätte.
Während eines solches Konzertes war es todesstille im Saal. Auf husten, mit Stühlen schieben, Unterhaltungen mit dem Nachbarn standen schwere Strafen: vergleichbar mit zwanzig Tagen auf Wasser und Brot. Das Beiwohnen eines Konzertes war Pflicht und weil die wenigsten Studenten die klassische Musik liebten war die Konzertstunde für viele eine Tortur. So nicht für mich.
An diesem Mittwochnachmittag erschienen eine etwas ältere Dame welche die Tasten eines selbst mitgebrachtes Cembalo berührte, ein Herr samt Cello, und ein noch sehr junger Musikant der Blockflöte spielte. Aber wie! Ich war so beeindruckt dass ich Ihnen bis heute die Namen der Musiker fehlerfrei aufsagen kann. Die Dame war Frau Janny van Wering, der Herr hieß Carel van Leeuwen Boomkamp (Solo-Cellist im Amsterdamer Concertgebouworchester). Der Blockflötenvirtuose hieß Frans Brüggen. Damals mit 25 Jahren schon einer der weltbesten Blockflötenspieler überhaupt.
Der damalige Hochschuldirektor hatte die gute Angewohnheit nach einem Konzert die Musiker für eine Tasse Tee und eine angenehme Nachrede in sein Zimmer einzuladen. Dazu gesellten sich meistens auch noch die Musikdozenten und ein Student, nämlich ein Mitglied der dreimonatlich erscheinende Schulzeitung. Weil ich die klassische Musik liebte únd Mitglied der Redaktion war habe ich einigen dieser Teerunden beigewohnt. So auch diese.
Links von mir saß der Hochschuldirektor und rechts der Herr van Leeuwen Boomkamp. Gegenüber saß Frans Brüggen der mich etwas argwöhnend aber nicht unfreundlich ansah. Worüber das Gespräch handelte weiß ich nicht mehr, weil ich mich sehr darum bekümmerte fehlerfrei Tee zu trinken und den Kuchen zu genießen. Wohl weiß ich dass Frans Brüggen sich sehr darüber verwunderte wie ruhig und höflich sich das geehrte junge Publikum verhielt. Als die Gäste sich anschickten zurück in den fernen Landeswesten zu fahren und alle das Gespräch für beendet sahen, sagte der Schuldirektor zu mir: “Nun mach mal einen schönen Beitrag daraus für eure Zeitschrift.“
An diese Gesprächsrunde und an dieses Konzert musste ich denken als ich vorgestern hörte dass der Herr Brüggen verstorben sei. Fast achtzig Jahre alt wurde er. In der Zeit nách dem Konzert habe ich ihn niemals weder gesehen noch mich mit ihm unterhalten. Aber seine LPs habe ich noch. Auch einige CDs worauf das Orchester des Achtzehnten Jahrhunderts, dessen Gründer und Dirigent er war, Musik alter Meister spielt auf eine Art und Weise wie, laut Brüggen, es die Komponisten meinten. Authentisch, versteht sich.
Am Ende seines Lebens dirigierte Frans Brüggen – ein alter, gebrechlicher Mann, auf einem Stuhl sitzend, mit kleinen abgemessenen Gebärden – sein Orchester das Beethovens Eroica vertonte wie Beethoven es sich vielleicht (denn man weiß nie) gewünscht hätte.
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