Mittwoch, 2. Juni 2010
Bagatelle LVIII - Krunst & Kempel
terra40, 23:53h
Ich meine natürlich Kunst & Krempel, eines der gefeiertsten Kunstprogrammen die das Fernsehen uns nun seit Jahren beschert. Die niederländische Variante heißt übrigens Kinst & Kutsch, nein Kunst & Kitsch, wieder solch eine Mißverständnisse aufkommendlassende Irreführung.
Bitte, Verzeihung also, aber ich bin noch ziemlich verwirrt. Gerade eben sind wir zurück von einer Visite an die Wasserburg zu Bahnholt (SA), wo heute ein sogenannter Experten- und Taxationstag veranstaltet wurde. Viele Hunderte Kunstbegeisterte kamen angereist mit ihrem Rembrandt, sauber in plastik eingepackt, oder mit ihren roten Erdgutvasen aus feinstem Delfter-Blau (laut Etikett Kinesisch, Wi-Tsjeng Dynastie, 17. Jht.) worauf leicht erotisierende Abbildungen mit anderslautenden Meinungen. Die aus ganz Deutschland angereisten Experten bestätigten meinen Verdacht, daß viele gekommen waren, aber nur sehr wenige wie gerufen kamen.
An hand dreier Beispiele hochkünstlicher Art werde ich so frei sein Ihnen die Höhepunkte des Tages zu schildern. Vorab möchte ich Ihnen einige der anwesenden Experten vorstellen, obwohl manche Vorstellung sich binnen kürzester Zeit als erübrigt erweisen wird.
Da war der große Mingporzellankenner Herr Karl-Jacob Übermberg. Angereist in seinem Porsche 909-i, im weißen dazu passenden Pullover. Freundlich wie immer, mit einem kaum spürbaren Air von niederbeugender Arroganz, beantwortete er die sehr leise gestellten Fragen der Besitzer aus Mecklenburg-Hinterpommern, die ihre Nerven im Beisein dieses Helden fast verloren. Daß Er überhaupt zu ihnen sprach, war die ultimative Belohnung für ihr Kommen und langes Wartemüssens.
Frau Danae Himmelstor, begleitet von ihrem Bulldoggen Charley, hatte einen ziemlich ruhigen Tag. Weil sie schon sehr lange spezialisiert ist in Heinrich Winkelmann, den exzellenten Epigonen Feuerbachs und Ingres, kann sie sich erlauben Fragen über den Wert eines échten Turner zu entweichen. “Bitte, wenden Sie sich für eine solche, meinen Kenntnissen unangemessen Frage, zu meinem Kollegen Dr. Dr. Harald Januschek. Zweite Tür links. Der wird versuchen mich zu widersprechen für den Fall daß ich etwas Vernünftiges sagen sollte.” Keiner versteht was sie meint, aber alle genießen den Klang ihrer Stimme.
Nein, Horst Lügner, Möbelkenner par excellence, ist dagegen, – what’s not in a name – ehrlich und aufrichtig. Er sagt worauf es ankommt, auch wenn es schmerzt. Er scheut keine Tränen und läßt nicht zu, daß seine vorsichtige Wertschätzungen sich mit Gefühlen tiefmenschlicher Natur mischen. Nicht für umsonst ist er schließlich auf dem Sommerkongreß der Möbelexperten (in Barsch an der Etsch) zu ihren Vize gewählt worden.
Richten wir unsere Aufmerksamkeit nun auf drei willkürlich eingebrachte Kunstgegenstande. Denn: um das Objekt dreht sich heute die Welt. Was ist es, dieses Objekt, welche oberflächliche und unterhäutige Bedeutung kann man ihm nachsagen, welcher schöpferischer Geist steckt dahinter, ist es écht oder eine Kopie, wie alt ist es? Und natürlich die Frage aller Fragen: was ist der Wert? Für wieviel, meinen Sie, sollten wir das Objekt der Lebensversicherung überlassen?
Es waren so viele Leute anwesend, daß eine große Schar die Erläuterungen der Experten nur von einem großen Bildschirm, das man im früheren Pferdestall aufgestellt hatte, verfolgen konnte. Weil der Ton ums andere Wort ausfiel, war ich genötigt mich auf einen Stuhl zu stellen und vor allen Leuten selbst den Kommentar (in gebrochenem Deutsch aber ungebrochen im Gemüt) bei den gezeigten Objekten zu liefern. Das ging in etwa so.
- Das hier, meine Damen und Herren, ist ohne Zweifel eine bergère, ein Porzellanerhund, der statt einer Dose Bonzo Hundefutter seinem Fräuchen einen Blumenstrauß offriert. Der Entwurf stammt aus Poitiers (1876) wo sich zu der Zeit eine Filiale der berühmten Royal Doulton Keramikwerke niedergelassen hatte. Dieser Hund ist von 1920 und deshalb noch lange kein Antik. Was er in einer Auktion kosten wird? Keine müde Mark, denn es fehlt sein Zwillingsbruder. Man sollte unbedingt für ein Pärchen optieren. Oder Sie geben ihrem einsamen Hund einen Platz in der spiegelnden Vitrine, so daß man zwei sieht. Auch das zählt und zahlt sich aus.
- Sie liebe Madame, zeigen mir ein köstliches Beispiel jugendstilartiges Kupferwerk. Wenn ich so frei sein darf, wie sind Sie im Besitz dieses Kleinods gelangt? Welche Tante haben Sie überredet es Ihnen für einen Appel und ein Ei zu schenken? Es ist eine Tabaksdose, besser gesagt eine Schnupftabaksdose. Baujahr 1935, Amsterdam. Oben drauf eine zierliche Guirlande. Die komische Aufschrift Leve de Boerenstand lautet übersetzt etwa: es lebe die siebentage Woche. Der Wert? Genau vierzehn euro und zweiundzwanzig Cents. Darauf können Sie Gift nehmen.
- Beim Anblick des dritten Gegenstandes stockt mir der Atem im Halse. Was sieht mein Auge? Ich könnte schwören: ich sähe einen Toorop. Einen echten Toorop! Träume ich oder wie? Ein mittelbares Selbsporträt, ohne Zweifel. Hier zeigt sich der echte Meister. Seht wie fein die Haare gezeichnet sind. Und wie schmackhaft zeigt sich das Bärtchen und der Oberlippenwalrossenbart! Zu schön um wahr zu sein.
Aber, hören Sie auch Zweifel in meiner Stimme? Ich habe den Verdacht daß es sich hier um eine Fälschung handelt. Beweisen kann ich es nicht, aber das Herz sagt ja. Über den Wert mache ich Ihnen deshalb keine Angabe. Gehen Sie bitte zu einem richtigen Experten. Die oder der wird Ihnen sagen wohin der Wind weht im Kunst- und Krempelland.
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Fußnote 1. Der Hund mit dem Blumenstrauß befindet sich seit Ewigkeit in der Vitrine meiner verstorbenen Schwiegereltern. Genau so vergeht es die Tabaksdose.
Fußnote 2. Des schöne Porträt des Malers Jan Toorop ist eine (Nach)zeichnung meines, (Terras) Vaters.
Bitte, Verzeihung also, aber ich bin noch ziemlich verwirrt. Gerade eben sind wir zurück von einer Visite an die Wasserburg zu Bahnholt (SA), wo heute ein sogenannter Experten- und Taxationstag veranstaltet wurde. Viele Hunderte Kunstbegeisterte kamen angereist mit ihrem Rembrandt, sauber in plastik eingepackt, oder mit ihren roten Erdgutvasen aus feinstem Delfter-Blau (laut Etikett Kinesisch, Wi-Tsjeng Dynastie, 17. Jht.) worauf leicht erotisierende Abbildungen mit anderslautenden Meinungen. Die aus ganz Deutschland angereisten Experten bestätigten meinen Verdacht, daß viele gekommen waren, aber nur sehr wenige wie gerufen kamen.
An hand dreier Beispiele hochkünstlicher Art werde ich so frei sein Ihnen die Höhepunkte des Tages zu schildern. Vorab möchte ich Ihnen einige der anwesenden Experten vorstellen, obwohl manche Vorstellung sich binnen kürzester Zeit als erübrigt erweisen wird.
Da war der große Mingporzellankenner Herr Karl-Jacob Übermberg. Angereist in seinem Porsche 909-i, im weißen dazu passenden Pullover. Freundlich wie immer, mit einem kaum spürbaren Air von niederbeugender Arroganz, beantwortete er die sehr leise gestellten Fragen der Besitzer aus Mecklenburg-Hinterpommern, die ihre Nerven im Beisein dieses Helden fast verloren. Daß Er überhaupt zu ihnen sprach, war die ultimative Belohnung für ihr Kommen und langes Wartemüssens.
Frau Danae Himmelstor, begleitet von ihrem Bulldoggen Charley, hatte einen ziemlich ruhigen Tag. Weil sie schon sehr lange spezialisiert ist in Heinrich Winkelmann, den exzellenten Epigonen Feuerbachs und Ingres, kann sie sich erlauben Fragen über den Wert eines échten Turner zu entweichen. “Bitte, wenden Sie sich für eine solche, meinen Kenntnissen unangemessen Frage, zu meinem Kollegen Dr. Dr. Harald Januschek. Zweite Tür links. Der wird versuchen mich zu widersprechen für den Fall daß ich etwas Vernünftiges sagen sollte.” Keiner versteht was sie meint, aber alle genießen den Klang ihrer Stimme.
Nein, Horst Lügner, Möbelkenner par excellence, ist dagegen, – what’s not in a name – ehrlich und aufrichtig. Er sagt worauf es ankommt, auch wenn es schmerzt. Er scheut keine Tränen und läßt nicht zu, daß seine vorsichtige Wertschätzungen sich mit Gefühlen tiefmenschlicher Natur mischen. Nicht für umsonst ist er schließlich auf dem Sommerkongreß der Möbelexperten (in Barsch an der Etsch) zu ihren Vize gewählt worden.
Richten wir unsere Aufmerksamkeit nun auf drei willkürlich eingebrachte Kunstgegenstande. Denn: um das Objekt dreht sich heute die Welt. Was ist es, dieses Objekt, welche oberflächliche und unterhäutige Bedeutung kann man ihm nachsagen, welcher schöpferischer Geist steckt dahinter, ist es écht oder eine Kopie, wie alt ist es? Und natürlich die Frage aller Fragen: was ist der Wert? Für wieviel, meinen Sie, sollten wir das Objekt der Lebensversicherung überlassen?
Es waren so viele Leute anwesend, daß eine große Schar die Erläuterungen der Experten nur von einem großen Bildschirm, das man im früheren Pferdestall aufgestellt hatte, verfolgen konnte. Weil der Ton ums andere Wort ausfiel, war ich genötigt mich auf einen Stuhl zu stellen und vor allen Leuten selbst den Kommentar (in gebrochenem Deutsch aber ungebrochen im Gemüt) bei den gezeigten Objekten zu liefern. Das ging in etwa so.
- Das hier, meine Damen und Herren, ist ohne Zweifel eine bergère, ein Porzellanerhund, der statt einer Dose Bonzo Hundefutter seinem Fräuchen einen Blumenstrauß offriert. Der Entwurf stammt aus Poitiers (1876) wo sich zu der Zeit eine Filiale der berühmten Royal Doulton Keramikwerke niedergelassen hatte. Dieser Hund ist von 1920 und deshalb noch lange kein Antik. Was er in einer Auktion kosten wird? Keine müde Mark, denn es fehlt sein Zwillingsbruder. Man sollte unbedingt für ein Pärchen optieren. Oder Sie geben ihrem einsamen Hund einen Platz in der spiegelnden Vitrine, so daß man zwei sieht. Auch das zählt und zahlt sich aus.
- Sie liebe Madame, zeigen mir ein köstliches Beispiel jugendstilartiges Kupferwerk. Wenn ich so frei sein darf, wie sind Sie im Besitz dieses Kleinods gelangt? Welche Tante haben Sie überredet es Ihnen für einen Appel und ein Ei zu schenken? Es ist eine Tabaksdose, besser gesagt eine Schnupftabaksdose. Baujahr 1935, Amsterdam. Oben drauf eine zierliche Guirlande. Die komische Aufschrift Leve de Boerenstand lautet übersetzt etwa: es lebe die siebentage Woche. Der Wert? Genau vierzehn euro und zweiundzwanzig Cents. Darauf können Sie Gift nehmen.
- Beim Anblick des dritten Gegenstandes stockt mir der Atem im Halse. Was sieht mein Auge? Ich könnte schwören: ich sähe einen Toorop. Einen echten Toorop! Träume ich oder wie? Ein mittelbares Selbsporträt, ohne Zweifel. Hier zeigt sich der echte Meister. Seht wie fein die Haare gezeichnet sind. Und wie schmackhaft zeigt sich das Bärtchen und der Oberlippenwalrossenbart! Zu schön um wahr zu sein.
Aber, hören Sie auch Zweifel in meiner Stimme? Ich habe den Verdacht daß es sich hier um eine Fälschung handelt. Beweisen kann ich es nicht, aber das Herz sagt ja. Über den Wert mache ich Ihnen deshalb keine Angabe. Gehen Sie bitte zu einem richtigen Experten. Die oder der wird Ihnen sagen wohin der Wind weht im Kunst- und Krempelland.
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Fußnote 1. Der Hund mit dem Blumenstrauß befindet sich seit Ewigkeit in der Vitrine meiner verstorbenen Schwiegereltern. Genau so vergeht es die Tabaksdose.
Fußnote 2. Des schöne Porträt des Malers Jan Toorop ist eine (Nach)zeichnung meines, (Terras) Vaters.
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