Sonntag, 15. September 2013
Bagatelle 199 - Reisbrei
"Geh hin zur Ameise, du Fauler, sieh an ihr Tun und lerne von ihr" sagt ein gewisser Prediger in einer seiner oft zitierten Sprüchen und manche sind geneigt ihm dabei zu folgen. Die Ameisen lehren uns offenbar wie wichtig die fortwährende, tüchtige Schufterei ist. Sie befanden sich auch unter den ersten die meinten, daß Müßiggang der Anfang allerhand Lasters sei. Wenn der Mensch wirklich Intelligenz besäße, so der Prediger, würde er dem Vorbild der Ameise folgen.

Auf einem köstlichen Farbbild hier unten, von meinem uralten Baukasten entnommen, sehen wir, wie ein Erzmüßiggänger eine ebenso köstliche Mahlzeit zu sich nimmt, während sein Schwager rechts im Hintergrund in schwerster Landarbeit versucht ein Saatbeet herzurichten worauf der Weizen später wachsen wird der ihm, dem Schwager, dann bei einer guten Ernte hoffentlich das Mehl schenkt das er zum Brot backen und so für's Überleben im Winter braucht. (Bitte, entschuldigen Sie mich für diesen langen, komplizierten und ziemlich unverständlichen Satz der mich mindestens zwanzig Minuten meiner kostbaren Zeit gekostet hat. Weil er so viel gekostet hat, bleibt er dennoch stehen.)




Sehen wir bitte jetzt auch die andere Seite der Medaille. Schon der Begriff Müßiggang, ach, welch ein herrliches Wort! Wenn wir es langsam und sorgfältig auf der Zunge zergehen lassen, überfällt uns schon dieses Mußegefuhl: vorbei ist die Qual des Müssens; übrig bleibt die totale Entspannung. Gesetze und Vorschriften die uns zu Arbeit zwingen, verschwinden und bieten Raum für richtiges Sein und Dasein. Das hier oben beschriebene Beispiel ist vielleicht nicht das beste, aber betrachten wir die Lage auch einmal vom Standpunkt des Müßiggängers. Warum also soll man schuften für eine ungewisse Zukunft? Warum werden wir dauernd aufgefordert fleißig und vor allem tüchtig unsere (Hand)arbeit zu tun? Der Müßiggänger steht genau wie seinem Kumpel (der Faulenzer) in einem üblen Geruch, aber warum eigentlich?
Wir alle, geben wir's zu, sind neidisch auf den Müßiggänger. Wie gerne würden wir, wenn auch nicht für ewig, nicht leben wollen in einer Welt ohne den Streß der qualvollen Arbeit?

Als kleiner Junge träumte ich oft vom Eintritt ins Schlaraffenland, oder wie wir es nannten: luilekkerland (lui = faul). Das Land wo sich die richtigen Faulenzer und Müßiggänger Nachbar sind. Ein Land hinter dem Horizont, wo das Leben ein großes Essensfest ist. Wo dir die gebratene Ente in den Mund fliegt. Wo du dein Weinglas füllst mit der Flüssigkeit welche durch den Fluß direkt neben dir fließt. Ein Land ohne Hausaufgaben, ohne Wehwehchen und sonstige peinliche Schürfwunden, ohne Blut, Schweiß und Tränen.

Das Problem war freilich: wie komm ich dort? Und die Lösung: das Luilekkerland liegt bekanntlich hinter einem großen Reisbreiberg. Nimm einen Löffel und bohr dir, immer essend, einen Gang, gleichsam einen Tunnel quer durch den Reisbrei. Am Ende dann folgt die Belohnung in Form einer Zulassung ins versprochene Land.
Das zweite Problem schloß sich nahtlos an: ich mochte eigentlich keinen Reisbrei. Der Gedanke sich reisbreiessend einen Weg ins gelobte Land zu bahnen, war fürchterlich. Die Folge war daß ich das Schlaraffenland nur aus meiner Fantasie kannte. Bis heute hat sich das nicht geändert.

Anno 2013 koch ich mir manchmal eine Portion Reisbrei. Mit braunem Zucker überstreut ist er schon einigermaßen genießbar. Beim Essen denk' ich dann an die andere Seite des Reisbreiberges. Wo wir so viele leckere Speisen essen können wie wir wollen. Wo wir faulenzen ohne Scham. Wo wir lieber faul als müde sein können. Und wo wir leise summend dem Franz Schubert folgen wenn er tondichtet: dort wo du nicht bist, dort ist das Glück.

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Wahrlich, lieber Herr Terra, Sie nehmen mir die Worte aus dem Mund. Was könnte es Schöneres geben, als den Müssiggang; einfach nur zu sein, ohne dieses verflixte Gefühl im Nacken, nichts zu sein, wenn man nichts müssen muss. Obwohl ich schon in manche Ecken dieser Welt geschaut habe, das schönste und beste aller Länder habe auch ich bislang noch nicht gefunden. Vielleicht liegt es ebenfalls daran, dass Reisbrei nicht mein Favorit und nach einer erzwungenen Verkostung in meiner Kindheit seither nicht mehr über meine Lippen gekommen ist. Aber was bleibt, ist die Hoffnung. Wir werden es sehen, in einem Jahr muss ich nichts mehr müssen, und wer weiss, vielleicht stehe ich dann unter dem Torbogen zum luilekkerland, zu dessen Erkundung bestimmt kein Visum notwendig ist.

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Ach, der Reisbrei wäre ja bei mir nicht das Problem; eher schon der Schubert. Ich sehe die Schlaraffenländer vor mir, die sich nichts sehnlicher wünschen als einen richtig anstrengenden Acht-Stunden-Arbeitstag.
(Hübsch auch: Eines der fünf niederländischen Wörter, die ich kenne, ist luilekkerland.)

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