Samstag, 20. Februar 2010
Bagatelle XLIII - Nacht und Träume
Nicht mit Lesen, Schreiben oder Rechnen. Nein, mit Religionsunterricht fing jeder neue Tag auf meiner Grundschule an. Erschrecken Sie nicht: keine Drohungen, keine Mahnungen, keine Aufforderungen, zu einem keuschen, friedvollen Leben etwa. Der Lehrer kam aufs Podest, betete so gut er konnte ein nichtsaussagendes Standardgebet, setzte sich auf die vorderste Bank und erzählte Geschichten aus der Heiligen Schrift. So nannte er das Buch auf seinem Schreibtisch. Das Schuljahr fing am 1. April an und endete also ein Schuljahr später, so gegen Ostern. Am Anfang war das Wort: der Lehrer erzählte uns von Adam und Eva im Paradies und am nächsten Tag kamen Kain und Abel auf die Bühne. Chronologisch wurden in einem Schuljahr die schönsten Geschichten erzählt. Wir reisten von Abraham über David zu Jesus von Nazareth und schließlich zogen wir mit dem Apostel Paulus nach Rom. Wenn man in ein höheres Schuljahr versetzt wurde, fing der allwissende neue Lehrer wieder von vorne an, so dass wir im letzten Jahr alle Geschichten fast auswendig konnten. Es machte mir nichts aus: ich genoss sie und freue mich darüber bis zum heutigen Tag.

Biblische Traumgeschichten mochte ich sehr gerne. Wie die von Jacob (Enkel von Abraham, Sohn von Isaak und Bruder Esaus) der im Traume zahlreiche Engel die Leiter zum Himmel auf und abgehen sah. Und von Josef (Jacobs Sohn) der verkleidet als Korngarbe im Träume sah wie seine Brüder, auch in Form von Weizengarben, sich vor ihm verbeugten. Manchmal bemühte der Lehrer sich auch um die Traumdeutung. Ein Traum stehe niemals alleine dar: ihm folge immer die Bedeutung, das Motiv, sagte der Lehrer. Dass die brüderlichen Garben sich dem Josef verbeugten, deute auf anstehende Vorfälle im benachbarten Ägypten. Wir glaubten ihm denn es stand alles geschrieben.

Immer schon gewesen und niemals aufgehört: so lange ich lebe bin ich ein Träumer. Nicht nur im Dunkel der Nacht, sondern auch mitten am Tag wenn die Sonne auf das Landvolk brennt wenn es den Weizen erntet und nachher die Garben in Reihen gegliedert auf dem Felde plaziert. Der Gedanke an Josef und dessen Brüder liegt dabei auf der Hand. Wegen des fortwährenden Träumens entgeht mir vieles. Oft muss ich hören: du hast wieder nicht zugehört! Wo sind deine Gedanken?
In letzter Zeit vermischen sich Traum und Wirklichkeit. In meinen, meist angenehmen, Träumen dringt die grausame Realität ein. Ich nenne Ihnen ein zutreffendes Beispiel das unlängst wirklich stattgefunden hat.



Da lieg ich in meinem ehelichen Bett, völlig entspannt und schlafe den des Gerechten. Wenn Sie zufällig ein Rosenexperte sind: so schlafe ich. Im Tiefschlaf eingekehrt fang ich an zu träumen. In meinem Traum höre ich deutlich wie die Hausklingel geht. Und exakt an dem Moment geht bei uns wirklich - in Realität, de facto - die Hausklingel!! Völlig wach schaue ich auf meine kleine Uhr und sehe dass es genau 3.18 ist. Ich warte einen Moment, denn es kann ja sein dass der Klingler an der Tür nochmals schellt. Aber die Stille der Nacht kehrt zurück. Kein Mensch an der Tür. Auch nicht gewesen. Kein Fremder-mit-Autopech der bei uns in den Innenlanden um Hilfe bittet, was schon vorgekommen ist.

Das ist nicht gerade lustig, weil nachdenklich stimmend. Es tun sich zu gleicher Zeit zwei unterschiedliche Begebenheiten auf: eine im Traum, eine im realen Alltag. Nonfiktion und Fiktion streiten sich um Vorfahrt. Dichtung und Wahrheit. Wer hat recht? Was ist wahr? Der Lehrer in der Schule hat uns diesbezüglich nichts gelehrt. Und auch die Heilige Schrift gibt keine weiteren Auskünfte.

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