Montag, 9. Januar 2012
Bagatelle 142 - Glücksfall
Sagen doch alle die mich einigermaßen kennen. Und wer bin ich um so etwas zu verneinen? Doch, ich bin ein Sonntagskind. Zwar nicht an einem Sonn-, Mond- oder sonst einem Himmelskörpertag geboren, aber dennoch vom Glück verwöhnt. Beweisen lässt sich eine solche Behauptung schwer, aber es stimmt dass ich in meinem Leben öfters zu mir selber sagen konnte: 'Mensch, Junge, da hast du aber viel Glück gehabt!' Worauf ich gleich das aufkommende zugehörige Glücksgefühl dämpfte indem ich antwortete: 'Na, só schlimm war es nun wieder auch nicht!'

Hoffentlich kennen Sie Kleve. Eine Kleinstadt am Niederrhein. Prächtig gelegen, dort am Flussufer, mit vorne die weiten Auen und Wiesen der Tiefebene und hinten die bewaldeten Hügel des Reichswaldes. Berühmt ist die unübertroffene Schwanenburg, der Zoo und das Haus Koekoek, wo einst einer der großen Landschaftsmalers des 19. Jahrhunderts gastierte.
Kein böses Wort über die Stadt Kleve, weder über ihr An- und Aussehen, geschweige denn über ihre Bürger und gar nicht über ihre Taxifahrer. Denn diese Gilde hat mir in meiner Studentenzeit einiges Glück beschert, wovon ich jetzt berichten werde.

Wählen kann man. Theoretisch jedenfalls. Auf einer Kreuzung im westlichen Teil von Kleve kann man Richtung Emmerich zurückfahren, oder geradeaus den Weg durch den Reichswald benutzen. Man kann auch links in die Stadt abbiegen oder rechts die Hauptstraße entlang über Nütterden, Kranenburg und Wyler zu der Universitätsstadt Noviomagus (das, wie Sie längst vermuteten, Nimwegen bedeutet) in die Niederlande fahren. Das letztere war mein Plan. Denn diesen Nachmittag um 14.00 Uhr stand ein sehr wichtiges Psychologie-Examen an. Die Studenten, unter denen ich, Terra, wurden freundlichst gebeten ihre Kenntnisse betreffende die Grundlagen der Klinischen Psychologie schriftlich darzulegen, zu argumentieren und zu kommentieren. Die dafür zustehende Zeit betrug volle zwei Stunden plus eine Viertelstunde zum reflektieren. (Im Ernst: es war das weitaus wichtigste Examen in meinem zweiten Studienjahr 1978.)

Es war gerade 13.00 Uhr als ich in meiner treuen Ente (2CV) die Klever Kreuzung erreichte. Noch höchstens eine halbe Stunde fahren und dann ruhig, voller Zuversicht, entspannt und zugleich konzentriert, den Examensaal betreten um sich im Geiste vorzubereiten.
Plötzlich, ich war gerade nach rechts abgebogen, streikte das Auto. Das heißt: der Motor lief, aber die Kupplung war nicht imstande oder nicht bereit mir zu helfen einen Gang, welchen auch immer, einzulegen. Ich stieg aus, und schob die liebe Ente im Freilauf auf einen kleinen Parkplatz am Rande. Es war 13.10.

Es war 13.30, als ich nach zahllosen nutzlosen Versuchen per Anhalter meine Reise zu verfolgen, beschloss zurück in die Stadt zu gehen. Dort wollte ich ein Taxi oder ein anderes Beförderungsmittel suchen und bitten mich sofort, aber denn auch SOFORT und ZÜGIGST, nach Nimwegen zu bringen. Um 13.50 erreichte ich die Innenstadt, wo eine freundliche Dame mir sagte, dass der nächste Taxistand sich ein halber Kilometer weiter aufhielte. Auch wusste sie zu berichten, dass der Omnibus nach Kranenburg vor fünf Minuten abgefahren sei.
Etwa 14.00 Uhr hatte die Glocke geschlagen als ich Garage Annex Taxistand erreichte. Kein Taxi weit und breit. Gerade als ich den Gesellen fragen wollte ob es hier überhaupt Taxis gäbe, kam ein als Taxi verkleideter Mercedes um die Ecke gebogen. Der Chauffeur war bereit mich, unter Zahlung von 20 D-Mark, mein einziges Geld, nach Nimwegen zu fahren. Zuerst besuchten wir den kleinen Parkplatz wo meine Ente stand um meine Sachen zu holen. Es war inzwischen 14.30 Uhr.

Unterwegs hatte ich gerade noch Zeit um meine missliche Lage zu erklären, denn der Taxifahrer raste so schnell er konnte und viel schneller als gestattet durch die ländliche Landschaft. Es war 15.00 Uhr als ich den Examensaal betrat, wo einige andere Studenten mich schweigend begrüßten mit in ihren Augen die Frage: wo bleibst du so lange?
Ich las die Aufgaben und Texte, entschloss mich für eine Auswahl, und setzte mich an die Arbeit. Viertel nach vier war es als ich dem diensthabenden Professor meine in Eile geschriebenen Antworten, Bemerkungen und Meinungen überreichte.

Am nächsten Tag schleppten ein Kollege und ich meine Ente von der Klever Garage zurück in meine Hausgarage wo die defekte Kupplung repariert wurde. Vierzehn Tage später las ich in der Universitätsaula auf einem der vielen Informationsbrettern, dass der Student mit der Nummer 760010 das Examen Grundlagen der Klinischen Psychologie bestanden habe. Noch später erfuhr ich, dass der genannte Student zwar große Abstriche erhalten habe wegen des unbeantwortet lassens einiger Aufträge und Fragen, der Rest sei aber in (guter) Ordnung.

Sie sehen: wieder ein Glücksfall. Denn es war ausgesprochenes Glück, dass ich dort in der Klever Innenstadt, in einem Moment worin ich ihm am meisten brauchte, einem Taxifahrer begegnete, der bereit war mich, mit Gefahr für mein und sein Leben, für lausige zwanzig Mark zu einem Examen zu bringen das meine weitere Karriere sehr beeinflussen sollte.

Sehen Sie, darum bin ich ein Sonntagskind. Denn solche Sachen sind mir in meinem Bestehen laufend passiert. Unfälle welche glimpflich abliefen. Unverhofft schwierige Umstände die sich später als vorteilhaft erwiesen. Düstere Wolken wonach die Sonne strahlend hervor trat. Das nenne ich Glück. Denn es hätte ja alles viel schlimmer kommen können!

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