Donnerstag, 5. Februar 2015
Bagatelle 252 - Schlips & Fliege
Der Titel dieser Bagatelle lässt vermuten, dass es im nachfolgendem über die angesehene, zwar imaginäre Firma (gegründet 1865) handelt welche uns mit den feinsten Weinen aller Art versorgt. Da muss ich Sie aber enttäuschen: die folgende Geschichte erzählt schlicht von meinen Erfahrungen mit Halsbinden. Aber anfangen möchte ich mit unserem Prinzen Claus. Sie wissen: er war der Gatte unserer ehemaligen Königin Beatrix. Dieser Prinz Claus, sehr beliebt übrigens, tat während einer öffentlichen Ansprache etwas Besonderes. Vor den Augen der ganzen Nation nahm er seine königliche Halsbinde, zog sie von seinem Hals und warf sie schließlich vor seinen Füßen auf den Boden. Begleitet wurde das alles mit den Worten: "Befreien wir uns von den Zwängen welche wir uns selber auflegen. Kehren wir zurück in die Freiheit." So ähnlich jedenfalls. Die Krawatte als Metapher für (selbstauferlegte) Unfreiheit und Unterdrückung.

15 war ich vielleicht als meine Mutter und ich es Zeit fanden für eine richtige Halsbinde, eine Krawatte also. Und sehr schnell hatte ich gelernt wie man mit der Windsor-Handhabe eine Krawatte knüpft. Bemerkenswert, denn die Windsor Knüpftechnik ist wie bekannt etwas was die wenigsten Männer beherrschen.
Bei sowohl feierlichen als auch fröhlichen Anlässen, Anzügen und Gelegenheiten wurde eine Krawatte getragen, auch von uns: Burschen die gerade die Pubertät hinter sich und Studium und Wehrdienst vor sich hatten. Ein Auftreten ohne Krawatte in der Tanzstunde war verpönt und ausgeschlossen. Sonst in der Woche wurde die Krawatte zu Hause gelassen und sah man mich in einem sogenannten Schillerkragen.

Eine besondere Krawattenart ist die Fliege, laut meinem Duden auch Querbinder oder Schleife genannt. Die Gelegenheiten wobei ich eine solche Fliege getragen habe sind auf die Finger einer Hand zu zählen. Zuerst bei meinem 16. Geburtstag, wo die Familie es für richtig hielt, dass ich nebst einem neuen Anzug eine Fliege geschenkt bekam. Eine Fliege selber zu knüpfen ist schon eine Aufgabe für sich, aber glücklicherweise gab man mir eine vorgeknüpfte, denn die gab es auch. Ein zweites Mal das man mich mit Fliege sah, war als ich meinen Doktor bekam. An der betreffenden Universität war und ist es Sitte. Eine weiße Fliege auf einem (geliehenen) schwarzen Rock. Die dazu passende weiße Weste hatte ich schon.



Als wir, viel später, fünfundzwanzig Jahre verheiratet waren, kam meine Gattin mit der guten Idee für mich eine vielfarbige Weste mit passender Fliege anfertigen zu wollen. Stolz wie ein Pfauhahn trat ich auf dem Fest umher um mich mit den Gästen zu unterhalten. Alle sprachen ihre Bewunderung aus (für die Herstellerin und für den Träger) und bedauerten die Tatsache dass so etwas nur in fünfundzwanzig Jahren vorkam.




Zum Schluss das Glanzstück der Geschichte. Obwohl ich in den letzten Jahren nur selten eine Krawatte, geschweige denn eine Fliege, getragen habe, hatte ich mir in den vorhergehenden Jahren eine imposante Krawattensammlung angelegt. Von kleinen Teilen einzelner Krawatten hat meine Frau einen Fliegenquilt geschaffen den ich zum Geburtstag geschenkt bekam. Ein schöneres Geschenk ist undenkbar.


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Mittwoch, 28. Januar 2015
Bagatelle 251 - Selten rare Musikalitäten
Neuerlich erreichen mich einige Fragen welche die Musikzeitschrift Hall & Widerhall, abgekürzt H&W, betreffen. Sie wissen: es ist DIE Zeitschrift für passende und angepasste klassische Musik, seit einigen Jahren existierend, und sehr wohl imstande viele klassisch orientierte Leserinnen und Leser zweimonatlich zu begeistern. Einige Fragen deuten auf Mitleid oder Argwohn hin wie: Hall & Widerhall, gibt es die denn immer noch? Oder informative Bedenken, wenn man sich an mich wendet mit der Frage: wird das Amt des stellvertretenden Hauptredakteurs nach wie vor von Dr. Eberhard Fürchterlich bekleidet? Oder: ist die FAQ-Rubrik noch immer die Rettungsboje für all die ahnungslosen Klassiker welche sich in der non-pop Musikwelt nicht länger zurechtfinden? Wichtige Fragen, zweifelsohne, die eine deutliche wenn auch nicht für die Ewigkeit festlegende Antwort verdienen. Gehen Sie bitte mit mir der Reihe nach.

Ad 1. Sicherlich, Hall & Widerhall existiert noch und wie! Zwar wurden Mitte letzten Jahres Stimmen laut welche – wegen schwindenden Leserzahlen und dahinfliegende Finanzen - von einem Konkurs oder noch schlimmeres sprachen. In der Tat war an zwei Tagen (am 2. Und 3. August 2014) für musikalisch geschulte Ohren der Ruf ꞌAufhören!ꞌ zu hören. Nach einer Krisensitzung der Redaktion aber, wo echte, irreversible und richtige Entscheidungen getroffen wurden, hat sich das Notenblatt gewendet.
Man wurde sich über folgendes einig. Nicht mehr als 2345 zahlende Abonnenten, und ab den 1. September 2014 pro Ausgabe höchstens 76 Seiten mit maximal 12 einviertelseitige Anzeigen. Der Deutsche Bank-Vertreter verlor seinen Posten im Aufsichtsrat, weil die eindeutige Herkunft der Sponsorengelder nicht festgestellt werden konnte. Die Gehälter wurden auf ein richtig angemessenes level angehoben (monatlich um die 836,50 Euro netto - inklusive Mehrwertsteuer - für einen mittleren Redakteur). Hierbei muss man bedenken, dass dies alles erfolgte ohne dass die H&W-Belegschaft in Rage geriet oder sonst aufständisch wurde. Derjenige der in diesem Zusammenhang das Wort "Streik" gehört haben will, sollte sich schämen.

Anno Januar 2015 liegt H&W auf Kurs. Nach wie vor kann kein musikalischer Geist um die H&W umher; sie ist in der Musikmedienlandschaft mit Recht tonangebend und steht außer Frage (die FAQ-Rubrik ausgenommen). Auch die Börse hat günstig auf den neu eingeschlagenen Weg reagiert. Das alles sieht man dem berühmten Komponisten Willibald Glücklich an, dessen Bild die Frontseite der kommenden Februar-Ausgabe schmückt. (Und der offenbar jetzt schon übt, nebenbei gesagt, für seinen anstehenden Auftritt bei Günter Jauch.)



Ad 2. Der Herr Dr. E. Fürchterlich ist ziemlich unangefochten die Nummer Eins in der Redaktion. Nicht so sehr durch seine musikalischen Kenntnisse, sondern mehr wegen seiner unverkennbar unmusikalischen Machinationen und Machenschaften. Er besitzt die Gabe jede Zweifel an ihn auszuschließen: man mag ihn oder man mag ihn nicht. Seine Popularität hat sehr zugenommen seit er in der H&W dates möglich machte. Doch, Sie haben mich gut verstanden: Paare können sich jetzt über die H&W sowohl musikalisch als körperlich kennenlernen mittels Inserate, wo sie ihre Fähigkeiten darstellen. So entstand zum Beispiel die LAT-Relation zwischen der über den Grenzen bekannten Gamba-Spielerin Katharina Lauterbach und dem Bach-Kenner Klaus Wohlgemüt. Dieses nur als ein Beispiel aus vielen möglichen.

Ad 3. Die FAQ-Rubrik ist seit eh und je das Flaggschiff der H&W. Immer wieder berichten Leser(innen) dass sie beim Öffnen der neuen H&W zuerst Seite 45 aufschlagen um von dort aus von Leserfragen und Expertenantworten zu genießen. Man wundert sich wie weit die Skala der musikalischen Fragen reicht. Und jede Frage zählt gleich viel. So wird eine Frage über Beethovens Eroïca mit derselben Genauigkeit und Überzeugung beantwortet als eine Frage über das anscheinend schwankend weiche linker Bein von weiland Elvis Presley. Das erklärt wahrscheinlich die Popularität dieser Rubrik.
Übrigens wird manchmal auch über eine Expertenantwort weiter diskutiert. So war die Leserin Elfriede Glaswerk (geborene Hausmann) der Meinung, dass die Hauptbedeckung des Komponisten Georg-Friedrich Händel (H&W, September 2014) eine schief geratene Perücke sei. Der H&W-Redakteur Henk Groetjes (Jr.) meint bis auf den heutigen Tag, dass es sich hier um eine Schlafmütze handelt welche er benutzte beim Komponieren der örtlichen Wassermusik.
Urteilen Sie selbst. Inzwischen geht die Diskussion weiter und so auch H&W.


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Mittwoch, 21. Januar 2015
Bagatelle 250 - Matthäus
Wenn man (a) seit einigen Jahren hier in dieser angenehmen blogger.de-Gemeinschaft ein Blog führt, (b) sich langweilt und (c) nichts Besseres zu tun weiß, kann sich immer noch auf seinem Blog anschauen ob und welche seiner Schreibprodukte gelesen werden. Das nun habe ich gemacht und dabei fiel mir etwas Besonderes auf. Sehen Sie selbst.

Hier unten sehen Sie eine Tabelle. Von den zwanzig meist gelesenen Bagatellen sehen wir auf einem Blick welche das sind und was ihre Rangposition innerhalb der zwanzig Auserwählten ist. Die Bagatelle 105 zum Beispiel, geschrieben am 17. Mai 2011 (wie die Zeit vergeht …) mit dem Titel: Hören und Sehen, war laut Angabe am 1. Januar 2013 559 Mal gelesen worden. Das war an diesem Datum die Rangposition 7. Am ersten Januari 2014 gestiegen auf 878 Leser(innen) wieder auf Platz 7. Dann am 1.1. diesen Jahres 2015 hochgeklettert auf die Zahl 1190 mit Rangposition 9 als Folge.
Von links: Bagatellennummer, Datum Veröffentlichung, Anzahl Leser(innen) am 1.1.2013 plus (Rangposition), Anzahl Leser(innen) am 1.1.2014 plus (Rangposition), Anzahl Leser(innen) am 1.1.2015 plus (Rangposition.

121 26-08-2011 1092 (01) 1830 (01) 2628 (01)
075 09-10-2010 0768 (03) 1302 (03) 2230 (02)
093 27-02-2011 0752 (04) 1287 (04) 2117 (03)
033 24-12-2009 0623 (05) 0975 (05) 2014 (04)
119 12-08-2011 0810 (02) 1386 (02) 1949 (05)
053 27-04-2010 0555 (08) 0887 (06) 1298 (06)
124 17-09-2011 0531 (11) 0839 (08) 1244 (07)
122 03-09-2011 0562 (06) 0790 (09) 1207 (08)
105 17-05-2011 0559 (07) 0878 (07) 1190 (09)
074 04-10-2010 0509 (13) 0775 (11) 1113 (10)
115 18-07-2011 0458 (14) 0724 (13) 1106 (11)
137 17-12-2011 0000 (18) 0664 (16) 1089 (12)
101 22-04-2011 0538 (10) 0788 (10) 1088 (13)
049 30-03-2010 0548 (09) 0682 (14) 1076 (14)
110 17-06-2011 0432 (16) 0618 (18) 1047 (15)
116 25-07-2011 0452 (15) 0634 (17) 1026 (16)
102 29-04-2011 0510 (12) 0765 (12) 1022 (17)
003 26-06-2009 0408 (17) 0675 (15) 0951 (18)
151 11-03-2012 0000 (20) 0000 (20) 0938 (19)
184 18-04-2013 0000 (19) 0617 (19) 0926 (20)

Eigentlich hasse ich diese Sorte von Informationen weil sie nichts aussagt über die eigentlich wichtigen Fragen. Wie: Wer waren diese Leser und Leserinnen? Was hat ihnen an der Bagatelle wohl oder nicht gefallen? Wurden Sie vielleicht von dieser Bagatelle überredet auch noch mal eine andere zu lesen oder hat man sich schwer enttäuscht zurückgezogen? Diese Sorte Fragen meine ich.

Lassen Sie mich dennoch zu der Tabelle zurückkehren. Mir fällt auf, dass es zwar Bagatellen gibt mit einer sowohl gemütlichen als auch rasanten Zunahme in den Leserzahlen. Drei Sachen finde ich sehr bemerkenswert. Erstens ist bei jeder Bagatelle die Rede von Zunahme. Es gibt keine Bagatelle die sozusagen von einem auf den anderen Tag aufhört Leser zu empfangen. (Ich stelle mich dann immer eine Frau Käthe Himmelfahrt aus Kreiden-auf-der-Heide vor, die sich unbemerkt und unverhofft in diesem Bagatellenblog verirrt hat und schnellstens wieder den Weg nach Hause sucht unter dem Ausruf: "Wo bin ich denn hier gelandet!")
Zweitens zeigt sich, dass die Rangpositionänderungen sich die Jahre über in Grenzen halten. Die Bagatellen die im Januar 2013 entweder vorne in der Reihe oder hinten standen (siehe die Zahlen zwischen Klammern) sind das am ersten Januar diesen Jahres meistens auch noch.
Drittens sehen wir, dass im allgemeinen die meist gelesenen Bagatellen mehr zunehmen als ihre Kolleginnen hinten auf der Skala. Der Abstand in nominalen Zahlen zwischen Platz 1 und Platz 20 wird immer größer. Die Bagatelle 102 (irgendwo hinten auf der Liste) zum Beispiel stieg von 510 Leser(innen) Anfang 2013 nach 1022 in Januar 2015. Die Bagatelle LXXV dagegen (oben auf Platz 4) stieg ums dreifache: von 768 auf 2230.

Was schließen wir daraus? Die unteren Bagatellen werden in der Regel ihre oben stehenden Kolleginnen niemals einholen, geschweige denn überholen. Die Kluft zwischen den meistgelesenen und den weniger gelesenen Bagatellen wird mit den Jahren größer und tiefer.

Nun etwas anderes, aber vergleichbares. Vor Jahren, wo ich an einer niederländischen Universität als Forscher mein trockenes Brot verdiente, hab ich in einer Stichprobe von 398 Grundschülern aus 24 Schulen untersucht wie sich ihre Lesefähigkeit entwickelt. Hier zeige ich Ihnen die Daten aus den Jahren 1978, 1981 und 1984. Die (immer dieselben) Kinder besuchten damals die respektiven Lehrjahre 1, 4 und 6 der Grundschule (jetzt Gruppe 3, 6 und 8 genannt).



Die doppelten grünen Linien stellen etwa die Untergrenze da; die doppelten Roten die Obergrenze. Alle Schüler finden irgendwo einen Platz zwischen den beiden Linien: die schwachen Leser an der Unterseite, die guten und hervorragenden Leser(innen) nahe der roten Linie.
Sie haben es natürlich bemerkt: álle Kinder, die schwache Leser(innen), die Mittelmaß und die guten Leser: alle zeigen über die Jahre eine Zunahme in ihrer Lesefähigkeit. (Die Messungen in den verschiedenen Jahren sind vergleichbar.) Nur: die Zunahme des Leseverständnisses und der Lesefähigkeit im allgemeinen ist bei den eh schon guten Schülern größer als bei den schwachen Schülern. Auch hier wird die Kluft zwischen guten und schwachen Lesern tiefer und mehr ausgeprägt. Man kann auch sagen und ich tue es auch, dass gute Schüler vielleicht mehr und besser profitieren vom Leseunterricht als schwache Leser.

Das bringt mich bei Matthäus. (Vielleicht haben Sie sich schon Gedanken gemacht über den Bagatellentitel. Was haben Bagatellenleserzahlen und Lesefähigkeitsdaten mit Matthäus zu tun?) Nun, der Evangelist Matthäus zitiert in seinem Bibelbuch (Kapittel 25) Jesus, der in Bezug auf das Nützen von Talenten folgendes gesagt haben will. "Denn wer da hat, dem wird gegeben werden und (er) wird die Fülle haben. Wer aber nichts hat, dem wird auch das er hat genommen werden." Mit Folge dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden. Über die Jahre wird der Abstand zwischen (bildlich) reich und arm immer größer.

Dieser sogenannte Matthäuseffekt tritt auch hervor in den neuesten Publikationen zum Beispiel von der OECD oder von der Oxfam-Novib Stiftung, wo gewarnt wird für die andauernde sich vertiefende Spaltung in der Gesellschaft. Vor allem in unserer kapitalorientierten westlichen Welt, aber nicht nur dort, wird die Trennung zwischen den haveꞌs und den have-notꞌs immer größer. Wir werden davor gewarnt und aufgerufen daran etwas zu tun. Denn es kann natürlich nicht sein, dass früh oder spät die Erde bevölkert wird von einer kleinen überreichen Elite, die 90% aller Reichtum, Kenntnis und Macht inne hat, während der große Rest in materieller und geistlicher Armut dahin vegetiert.
Oder?

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Freitag, 16. Januar 2015
Bagatelle 249 - Kaufhofgeschichte



Einmal die Woche kommt sie, meine Werbeprospektpostfrau. Jeden Dienstagnachmittag muss es sein, denn morgens hat meine Morgenzeitung meinen Briefkasten für sich selbst beschlagnahmt. Wenn ich aber abends nochmal nachsehe und die Briefkastenklappe öffne, fällt eine Ladung Papierwerbung heraus. Man kann, ich weiß es, auf dem Briefkasten ein Vermerk anbringen, worauf zu lesen ist dass der Briefkastenbesitzer bitte schön keine Lust hat ein einziges Werbeblatt, wie bescheiden und dünn auch und für was auch immer, in Empfang zu nehmen. Nur bin ich zu faul und zu feige um ein solches Vermerk anbringen zu lassen. Zu gerne empfange ich Post. Aber lesen tue ich die Werbepost nie. Und deshalb landet jeden Dienstag eine ganze Papierladung Werbung ungelesen in den Altpapierbehälter.

Wenn auch die Werbung ungelesen bleibt, Einkäufe machen muss jeder, sogar ich. Nicht mehr beim kleinen Dorfladen (Tante Emma und Söhne) auf der Ecke wie früher. Nein, wir fahren jetzt in die Kleinstadt und besuchen entweder die Lidl, die Aldi, die Edekafiliale, den Jumbo, die Bruto, Tarra und Netto oder wie sie alle heißen. Manchmal gehen wir in den reellen REAL-Laden in der Kirchhofstraße oder betreten den irrealen REAL-Laden aufs Internet. Manche mögen es, aber wenn Sie mich fragen: ich hasse einen Besuch an einer Kaufhalle. Das einzig Interessante an solch einem Besuch ist die Observation der Besucher solcher Kaufstätten. Gerne höre ich mich die Konversationen der Kunden an, wenn sie mit ihren Einkaufskarren mir den Weg versperren. Es ist wie eine Strandterrasse im Sommer, wo man unter dem Genuss eines kühlen Pilsners sich die vorbeigehende Leute ansieht und von beurteilendem Kommentar verseht.

Heute Morgen war’s nötig den Jumbo zu besuchen, das neue Einkaufszentrum runde fünf Kilometer von meinem Hof entfernt. Man muss schließlich leben. Und dort passierte etwas seltsames. Etwas so ungewöhnliches, dass ich es Ihnen wohl erzählen muss. Wie üblich stand ich unauffällig in der Gemüseabteilung bei meinen Apfelsinen, wo ich sowohl die Gemüsekunden als auch die Reihe vor der dritten und vierten Kasse zuhören und beobachten konnte. Doch plötzlich fiel meine Aufmerksamkeit auf eine Frau bei der zweiten Kasse. Sie war in Gespräch mit der Kassiererin; hinter ihr stand ein älterer Herr der ruhig wartete bis auch für ihn die Stunde der Bezahlung geschlagen hatte.

Man brauchte nicht viel Menschenkenntnisse um zu sehen dass die offenbar schwachbegabte Frau Schwierigkeiten hatte alles Gekaufte ordentlich zu bezahlen. Kurz und knapp: sie hatte ihre Karre zu voll geladen. Zu voll für das Geld in ihrer Portemonnaie. Die Kassiererin half ihr das Geld in ihrer Börse zu zählen. Und legte einige Ware beiseite mit den Worten: ꞌBrauchen Sie das wirklich? Diesen Käseschnitzel auch? Und müssen es unbedingt drei Schachtel sein? Genügen zwei nicht?ꞌ Auch nach fünf Minuten war immer noch keine Lösung in Sicht. Die alte Frau wollte alles mitnehmen, aber die noch immer sehr freundliche und hilfsbereite Kassiererin behauptete mit Recht dass noch immer sieben Euro und siebzig Cents fehlten.

Da geschah das Wunder. Der Herr hinter der alten Frau in der Kassenreihe - der auch schon mehr als fünf Minuten ruhig gewartet hatte - trat hervor und sagte zu der Kassiererin: "So kommen wir nicht weiter. Wissen Sie, ich werde den Rest wohl bezahlen." Da staunten die Beteiligten nicht schlecht: die alte Frau mit dem Geldmangel, die Kassiererin (und Kolleginnen die inzwischen auch was Besonderes bemerkt hatten,) einige Kunden aus anderen Kassenreihen und ich der sich noch immer hinter den Apfelsinen versteckte.

Es war als schlug in diesem Augenblick eine Welle der Glückseligkeit über diese Kassenreihe. Alle waren froh. Die alte Frau, nachdem sie ihrem Gönner tausendfach gedankt hatte, zog ihren vollen Einkaufskarren Richtung Ausgang. Die Kassiererin, die dem gnädigen Geldspender ebenso herzlich dankte, freute sich mit ihrer Kollegin über den glücklichen Ablauf. Und ich selber freute mich auch, weil ich mit eigenen Augen gesehen hatte dass es auch etliche Tage nach Weihnachten immer noch Menschen guten Willens gibt. Schwarzseher und Schwarzdenker waren hier dennoch auch präsent. Einige Kunden fragten sich wer in Himmelswillen so dumm und naiv sein kann um die Rechnungen anderer Unbekannten zu zahlen. Sie waren dennoch eine Minderheit.

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Samstag, 27. Dezember 2014
Bagatelle 248 - Pubquiz
Da nun inzwischen so viel Englisches in die deutsche Sprache hineingeflossen ist, dürfte es Ihnen nicht schwer fallen auszumachen was ich mit dem jetzigen Bagatellen-Titel meine. In der Tat: es ist ein Quiz (ein Frage- und Antwortspiel) das in Gasthöfen, Wirtschaften und sonstigen Stammkneipen veranstaltet wird.
So auch bei uns. Dann und wann treffen sich bei uns im Dorf lose und feste Quizgruppen (aus mindestens drei Personen bestehend,) die sich an einem Sonntagnachmittag in ihrer Stammkneipe um die Wette streiten über die Frage wer das meiste Allgemeinwissen besitzt.

Vergangenen Sonntag war es wieder so weit. Mein jüngster Sohn hatte, weil einige Mitglieder seiner Quizgruppe verhindert waren, seinen Vater, seinen Cousin und seinen älteren Bruder gebeten das Rateteam zu verstärken. Die Gruppe mit Namen "Glocke und Klöpfel" bestand jetzt aus zwei Frauen und vier Männern. Im totalen nahmen 13 Gruppen teil: der Saal war sehr gut gefüllt, weil auch sonst viele Fans da waren.

Es wurde in drei Runden gespielt à zehn Fragen mit je drei Teilfragen. Nach jeder Runde wechselten die Antwortblätter, so dass jedes Team die Lösungen einer anderen Gruppe beurteilte. Die Summe der gut beantworteten (Teil)Fragen bestimmte den Gewinner. (Es war weder möglich noch notwendig über die Richtigkeit der Antworteten zu streiten. Das Quiz war vortrefflich vorbereitet und organisiert.)
Worüber wurde gefragt? Über alles Wissenswerte: Aktuelles, Regionalgeschichte, Lyrics einiger Popsongs, bekannte Persönlichkeiten, Geschichte, Geografie, was nicht alles.

Bevor ich Ihnen die spannende Geschichte zu Ende erzähle etwas anderes. Vorige Woche hatte ich die Ehre als Gast auf der Weihnachtsfeier des örtlichen Landfrauenvereins einiges zu erzählen über ausländische Weihnachtstraditionen. Dabei kam auch der russische Väterchen Frost, die schöne Leuchtkönigin Lucia aus Schweden und Santa Claus zur Sprache. Ich erzählte den geehrten Landfrauen vieles. Auch wie der Santa Claus, als mehr oder weniger komische Mischung aus dem heidnischen Hauptgott Wotan (Yül, Odin, wie Sie wollen) dem Weihnachtsmann und dem heiligen Sankt Nicolaus, mit seinem von acht Renntieren gezogenen Schlitten durch die Lüfte zog. Damit meine Fantasie nicht zu sehr beansprucht werden sollte, hatte ich mich vorher nochmal vergewissert – indem ich mich in den Geschichtsbüchern umsah – von dem Wahrheitsgehalt meiner Aussagen.

Zurück zu der Quizveranstaltung. Nach der Bitte des Quizmasters um bitte schön nicht das Handy zu benutzen um Antworten zu ꞌgooglenꞌ, begann die erste Runde. Viele Themen und Fragen dazu kamen vorbei und ich merkte schon bald wie schnell das Wissen eines Menschen vergeht. Manchmal hatte ich schon Mühe eine Frage zu verstehen und wenn, dann war ich viel zu spät zu antworten, weil schon eine nächste an der Reihe war. Glücklicherweise war das Tempo für die anderen Quizteilnehmer kein Problem.
Nach der ersten Runde gab der diensthabende DJ und Quizmaster einen Zwischenstand bekannt. Die Gruppe "Glocke und Klöpfel" gehörte zu den Führern im Teilnehmerfeld.

In der zweiten Runde geschah dann plötzlich etwas was mein verstorbener Bruder früher als synchronizität bezeichnet hätte. Das ist der Fall wenn sich zwei völlig selbständige und unabhängige Begebenheiten ꞌzufälligerweiseꞌ zeitlich treffen.
Was war der Fall? Frage 3 hatte Bezug auf Weihnachten. Teilfrage 3a lautete: "Der Santa Claus fliegt wie bekannt mit einer von acht Renntieren (der neunte: der rotnasige Rudolph nicht dazugezählt) gezogenen Schlitten durch die Luft. Wie heißen die acht Renntiere mit Vornamen? Für jede gute Antwort gibt es einen Bonuspunkt." Später zeigte es sich heraus, dass nur die Quizgruppe "Glocke und Klöpfel" die Frage fehlerfrei beantworten konnte. Die Namen der Renntiere waren laut Terra: Dasher, Dancer, Comet, Cupid, Prancer, Vixen, Donder und Blixen (Donner und Blitz).

Normal hätte ich zwei, vielleicht drei Renntiernamen gewusst. Nur weil ich ausgerechnet drei Tage vorher den Landfrauen über einige US-Weihnachtstraditionen aufgeklärt hatte, wusste ich die komplette Antwort. Zufall oder?
Allenfalls war es so, dass unsere Quizgruppe nach der zweiten Runde einen fast nicht mehr einholbaren Vorsprung hatte. Welcher sich bis zum Ende hielt.
Der erste Preis bestand aus vier Flaschen guter Rotwein. Plus Achtung und ehrfurchtsvolle Bewunderung. Welche nicht bis in alle Ewigkeit, aber immerhin bis zum folgenden Pubquiz anhalten.


Auf dem Bild hier unten sehen Sie wie hier vorne die Gruppe "Glocke und Klöpfel" in Runde I Teilfrage 6 versucht die Namen der auf der Leinwand projizierten Personen zu entdecken.

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Donnerstag, 18. Dezember 2014
Bagatelle 247 - Weihnachtsbuch
Als Neunjähriger besuchte ich die Sonntagsschule.Während die Eltern sich sonntags in der Dorfkirche die weisen Worte des geliebten Herrn Pfarrers anhörten, zogen die Kinder dorthin wo sie sich auch schon fast jeden Wochentag aufhielten: in die dörfliche Grundschule.
Nein, die Unterschiede waren nur gering. Das Gebäude war dasselbe, die Klasse war dieselbe, wir sangen sonntags dieselben Lieder als in der Woche und vor mir drückten, sonntags wie sonst auch, die liebe Metzgerstochter Magda S. und die nicht weniger liebe Gerda (die vom Brückenhaus) die Bank. Neben mir in der Bank saß mein Freund Willie A., sonntags als auch wochentags. Und weil die Schule uns eher Freude als Leid bescherte, war der verpflichtende Sontagsschulbesuch keine Last oder Qual.

Es gab allerdings éinen nicht zu unterschätzender Unterschied und zwar in Bezug auf die sonntägliche Lehrerschaft. Nein, nicht die gewöhnlichen Lehrer(innen) hatten das Sagen. (Die mussten sich sonntags erholen von den Strapazen in der vergangenen Woche und Mut und Kraft schöpfen für die kommende.) Sonntags standen Männer und Fräuleins vor der Klasse die sonst in der Woche ihre normale Arbeit nachkamen, zum Beispiel als gelernter Schreinermeister oder als Schaltergehilfe bei der örtlichen Spar- und Darlehnskasse. Sonntags wandelten sie um in eine Art von Laienpredigern und versuchten so schlecht und gut es ging der ihnen anvertrauten Kinderschar etwas nützliches beizubringen.

Höhepunkt in der Sonntagsschulsaison war zweifelsohne das alljährige Weihnachtsfest in der Dorfkirche. Es wurde mitten in der Woche, zum Beispiel an einem Mittwochabend, veranstaltet, fing an um sechs Uhr und wurde von allen Sonntagsschulkindern und ihren Eltern besucht. (Unter uns: auch für die alten Leutchen war die Weihnachtsfeier welche von der Sonntagsschule organisiert wurde ein absoluter Höhepunkt, wonach man schon Wochen vorher aussah.)

Alle Klischees gelten: die Kirche ist von innen und außen beleuchtet, der Weihnachtsbaum mit seinem hundert Lichtern verbreitet herrliche Schatten und Gerüche, drinnen ist es warm und voll, es wird vollmundig gesungen, die Orgel spielt die schönsten Weihnachtslieder, Alt und Jung sind frohen Mutes. Außer mein Freund Willie A. der laut zu schreien anfängt weil ich ihm auf die Füße trete. Sonst ist jedermann guten Willens, was auch von uns verlangt wird, so sagt uns Herr Bäckermeister Josef K., der Anführer der Sonntagsschullehrerschaft. Heute darf er sogar den Predigtstuhl besteigen um uns von dort aus seine Worte zu melden. An diesem Weihnachtstag aber gibt es keine Kontroversen: wir alle sind einer Meinung.

Es gibt in solch einem Weihnachtsfest zwei Geschichten. Die erste ist die aus dem Lukas Evangelium. Weil wir sie alle Jahre wieder hören, kennen wir sie fast auswendig. Die zweite Geschichte ist eine Weihnachtserzählung, uns vorgelesen oder erzählt von einer aus der Lehrerschaft, meistens macht das das Fräulein aus der Sparkasse, weil sie eine so schöne helle Stimme hat die von jedem gehört und verstanden wird.
Die zweite Erzählung erklingt erst nach der Pause, denn ohne Pause geht nichts, auch kein Weihnachtsfest nicht. In der Pause trinkt man warme Schokoladenmilch die von einigen sorgsamen Eltern eingeschenkt wird. Das ist zugleich eine gute Gelegenheit unsere Weihnachtskränzchen zu essen. Später, am Ende der Veranstaltung, beim Ausgang, bekommt jeder von uns auch noch eine Apfelsine, derzeit fast ein Gottesgeschenk.

Der absolute Höhepunkt ist angebrochen wenn nach dem letzten Weihnachtslied die Lehrer verschwinden und einige Minuten später zurückkommen mit einem Armvoll Bücher. Weihnachtsbücher. Denn jedes Kind das die Sonntagsschule besucht, bekommt zu Weihnachten ein Weihnachtsbuch. Das ist die Regel und so wird sie gehandhabt. Für einen wie mich, der sozusagen Bücher verschlingt, eine unglaubliche Freude. Die Wahl der geschenkten Bücher wird dem Fräulein oder dem Herrn Lehrer überlassen. Am liebsten ist mir ein Buch mit einem Band aus harter Pappe und eins mit (sehr) vielen Seiten. Wenn’s geht mit schönen Bildern. Schlimm wird’s wenn man als Junge ein Mädchenbuch empfängt. Oder umgekehrt.

Auf dem Weihnachtsfest 1949 gibt mir Herr Lammers, sonst erster Buchhalter bei einer örtlichen Fabrik und 1. Vorsitzender des Turnvereins, aber jetzt Sonntagsschullehrer, das Buch ꞌVan verdrukking naar de vrijheidꞌ, ein spannendes Buch, wie ich hoffe und vermute, von einem holländischen Jungen der unfreiwillig in Napoleons Armee in den Feldzug nach Russland 1812 gezogen wird und glücklicherweise gesund und heilfroh heimkommt. Das genaue Datum weiß ich, weil auf dem Buchetikett alles beschrieben steht. Weihnachten 1949; lang ist’s her.

Mit dieser (Vor)weihnachtserzählung wünsche ich allen Bagatellenleser(innen) frohe Weihnachten!





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Freitag, 12. Dezember 2014
Bagatelle 246 - Künstlich kitschig
Es ist nicht so, dass die Suche nach der etymologischen Herkunft einiger Wörter mich aufregen oder mich zu nächtlicher Schlaflosigkeit zwingen, aber manchmal, beim Lesen irgendwas Interessantes, interessiert mich doch die ursprüngliche Bedeutung eines Wortes das mir schon bekannt ist und dessen heutiger Bedeutung ich vermutete zu kennen. (Tausend Entschuldigungen für diesen langen, mühsamen Öffnungssatz, aber als ich angefangen hatte ihn zu schreiben, konnte ich nicht mehr aufhören.)

Ein einfaches Beispiel mag einiges verdeutlichen. "Alles kits?" fragte mich neulich ein alter Freund in unserer (niederländischen) Muttersprache, als wir uns nach Jahren wieder trafen. Und das bedeutet, wie mein Freund, ich und Sie vielleicht auch wissen so etwas wie: "Alles in Ordnung? Alles oké?"
Wir verstehen uns; wir verstehen die Bedeutung, aber woher stammt das Wort ꞌkitsꞌ, was sind seine Wurzeln? Im Falle ꞌkitsꞌ weiß man es nicht genau. Einige behaupten das die Frage "Alles kits?" seinen Ursprung finde im jiddischen "Alles gietes?", und das wiederum stamme vom deutschen "Alles gut?"

Alles gut und schön, es besteht aber dennoch einen Unterschied zwischen ꞌkitsꞌ und ꞌkitschꞌ (Und auch zwischen ꞌkitsꞌ und ꞌkidsꞌ, nun ist dás wieder etwas anderes.)

Eigentlich wollte ich mich mit Ihnen unterhalten über die Frage nach dem Unterschied zwischen Kunst und Kitsch. Kunst und Kitsch sind quasi Gegenpole. Wie Leben und Tod, oder Himmel und Hölle. Wo liegt aber der Unterschied? Was wird als die feine Kunst betrachtet und was als sentimentale Unsitte?
Viele hierzulande sehen sich mittwochabends die Sendung ꞌZwischen Kunst und Kitschꞌ an, wie bei Ihnen die Serie ꞌKunst und Krempelꞌ oder die ꞌAntique Roadshowꞌ bei der BBC. Da erscheint eine üppig barocke französische Uhr aus dem 19. Jahrhundert, getragen von einer Dame die tausende Ängste verspürt dass sie ihr Kleinod fallen lässt. ꞌDas hier nähert sich doch die Grenzen zwischen Kunst und Kitschꞌ, sagt der Sachverständige Dr. Otto-Johann Rechthaber. Und desto mehr Kitsch, desto weniger Kunst, desto niedriger der Wert. Große Kunst lässt sich teuer bezahlen, großer Kitsch eben weniger. So hat alles seinen Preis.

Das niederländische Wort ꞌkitschꞌ stammt vom deutschen ꞌKitschꞌ, das zum ersten Male um 1870 in Münchener Künstlerkreisen gehört werden konnte. So hab‘ ich mir sagen lassen. Sagen wir’s offen und unverhüllt: Kitsch war Scheiße. Das abgeleitete Verbum ꞌkitschenꞌ bedeutete schlicht und einfach: die Scheiße zusammen fegen.
Auf die Kunst angewandt wurde der Begriff ꞌKitschꞌ zuerst auf die Malerei gelegt. Später dann folgten andere Kunstformen so wie auch die Poesie, die Filmkunst und sogar die Musik. In meiner Morgenzeitung lese ich, dass manche die tausendfach geliebten musikalischen Ausführungen des berühmten Geigers André Rieu, samt seines Orchesters, als Kitsch betrachten. (Unter uns: ich finde das Gefiedel auch ein wenig kitschig, aber ich gönne jedem gerne sein Plaizierchen. Und daneben: wer bin ich um darüber zu urteilen?) Eine neue Bedeutung findet der Kitschbegriff in dem Wort ꞌunecht'. Mein Morgenblatt könnte schreiben: "Millionen Zuschauer sahen, dass der junge Sänger Boffo beim Fernsehsongcontest The Voice of NRW total nicht verstand was und worüber er sang. Das war richtig Kitsch."

Wenig Kunst in meinem Haus und auch wenig Kitsch. Es ist nicht so, dass ich die Kunst liebe und dem Kitsch nur eine Bleibe lasse. Nein, die zwei ziemlich kitschigen Hündlein auf dem Kamin sind mir vielleicht noch lieber als die (übrigens sehr gut gelungene) künstlerische Winterlandschaft.





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Mittwoch, 3. Dezember 2014
Bagatelle 245 - Launische Runde
In meiner Lieblingsstadt, Sie wissen: Launen an der Luhre, ist allerhand los. Nein, es ist noch nicht so weit gekommen, was einige unzufriedene Launener behaupten, dass das Weltgeschehen ganz an Launen vorbeigeht, im Gegenteil. So kann man auch nicht sagen, dass diese augenscheinlich eingeschlafene Kleinstadt sich mit den Anforderungen der heutigen Medienlandschaft nicht einlässt. Ein vortreffliches Beispiel dieser Modernität bietet diesbezüglich die unlängst eingerichtete Launische Runde. Ein Gesprächszirkel, bestehend aus fünf angesehenen Launenern, drei Frauen und zwei Männersleute, unter Anführung eines jedes Halbjahr gewählten Vorsitzenden. Ziel und Aufgabe der Runde ist ein öffentliches, wöchentliches Treffen, wobei die Weltprobleme beraten, besprochen und erörtert werden. Wenn’s es geht immer gefolgt von triftigen Ratschlägen und praktischen Lösungen.

Sie haben es erraten: es ist in der Tat ein launischer talk-show. Live ausgestrahlt von dem Regionalfernsehen (Ruhriges Rheinfernsehen) und auf Kanal 34, kostenlos, gratis und mautfrei anzusehen. Wer mag, kann direkt die Runde besuchen (allerdings nur als Zuhörer im Saal) und indirekt mittels internet an der Diskussion beitragen. “Das gerade,“ sagte mir der gelernte Bäckergeselle Josef Hufschmied, “hat die Runde dem Gemeinderat eben voraus. In der Runde ist es nicht möglich Sachen, Meinungen oder Auffassungen zu negieren, geschweige denn zu verschweigen, vertuschen oder verheimlichen.“

Jeden Donnerstagabend, pünktlich um viertel nach Acht, treffen die Rundemitglieder sich im Goldenen Ochsen, ein Wirtshaus annex Saal das Sie direkt hinter dem Ratskeller, dem meist angesehenen Launischen Etablissement, finden. Letzten Donnerstag stand der Vorschlag, eingebracht von Frau Elisabeth Grobstein-Schwager, zur Debatte eine Männerquote einzuführen. Wahrlich ein höchst aktuelles und prangendes Thema. Der Saal war denn auch proppevoll; kaum Platz für Regisseur Egon Fürchterlich und seine Kameramänner.
Was bitte schön, hatte der zu beratende Vorschlag in sich? Worüber stritten sich die Geister? Dazu muss ich kurz die Vorgeschichte schildern.

Es gibt in Launen an der Luhre im ganzen mindestens sieben verschiedene Schulen und fast so viele Schultypen: vier Grundschulen, eine Hauptschule (die Leibnitz Akademie), eine Städtische Realschule (die an der Bahnhofstraße), und ein Gymnasium (das Launische Kantgymnasium). Auch lassen sich zwei Kindergärten und etliche Kinderaufbewahrplätze finden. Daneben gibt es auch noch eine Waldorfschule; was sich dort abspielt weiß man nicht genau.

Die Lehrerschaft besteht aus insgesamt 46 Personen; davon sind 45 Frauen. (Nur der Gymnasiumdirektor ist ein Mann: der ziemlich angesehene Dr. Hans-Otto Bergsteiger.) Viele Launener, sowohl die wissenschaftliche Besserwisser als auch die nicht-wissenschaftliche Sachverständigen, betrachten das Fehlen männlicher Lehrer an den Schulen als ein großes und tief eingreifendes Manko. Daher hat die liebe Frau Grobstein-Schwager, in Namen vieler wie sie sagt, vorgeschlagen ab den 1. Januar 2015 an allen Launischen Schulen ein Männerquotum einzuführen. Mindestens ein Drittel der Lehrerschaft soll aus männlichen Personen bestehen.
Die Frage ob und wie dieses Ziel zu erreichen sei, wurde schon vom Gemeinderat beraten, aber dann doch wieder auf die lange Bahn geschoben. Jetzt aber bemüht sich die Launische Runde um das Thema. Es wurde auch Zeit.

Letzten Donnerstagabend um elf, eine Stunde nach Beendigung der heutigen Runde, traf man sich in dem VIP-Room des Goldenen Ochsen. Ein Schnäppchen oder ein kühles Pilsner war nötig um die Enttäuschung zu verdrängen. Was war geschehen? In der Runde wurde der Männerquotevorschlag weit und breit gelobt. (Nur die Frau Gertrude Köstlich (ehemals CDU) hatte ihre Bedenken.) Die Verwirklichung des Vorschlages aber stieß auf unüberwindliche Beschwerden. Denn ebenso weit und breit ließ sich im Raume Launen an der Luhre kein einziger männlicher Lehrer mehr auftreiben. Sie waren offenbar ausgestorben. Nur das Gymnasium konnte melden, dass ein junger Deutsch-Englisch Lehrer aus dem benachbarten Grünstreifen-an-der-Auer eventuell bereit wäre seinen Standplatz zu wechseln. Wenn das so ist, sagte man, wenn es überhaupt keine Männerlehrer gibt, hat die Diskussion ihre Grundlage und Berechtigung verloren. So klug sind halt die Mitglieder der Launischen Runde.


Wie voll der Saal im Goldenen Ochsen tatsächlich war sehen Sie hier unten. Leider ist kein Mann zu sehen: die sitzen alle an der Theke äußerst rechts und wollen lieber nicht erkannt werden.

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Sonntag, 16. November 2014
Bagatelle 244 - Ausgerechnet ausgezeichnet!
Es ist vor Jahren schon einige Male passiert dass ich, in fernen Ländern angekommen, bemerkte mal wieder vergessen zu haben mir Geld in einer an der Gegend angepassten Währung zu besorgen. Schwierig, denn nicht immer und nicht überall kam man mit Gulden und Dollar weiter. Der erste Gang auf fremdem Boden führte dann zwangsweise Richtung Wechselstube. Eine Tabelle an der Wand erklärte mir wie viele Zloty, Lei, Shilling oder welche fremde Währung auch immer ich bekomme für lumpige einhundert niederländische Gulden. (Die Tatsache, dass es mehrere Wechselkurse gab und gibt: offizielle und weniger offizielle, lassen wir bequemlichkeitshalber für einen Moment beiseite.)
Das Umrechnen von einer Währung in die andere ist manchmal eine Qual. Oder wissen Sie sofort, ohne zu zögern und ohne den Kalkulator in ihrem Smartphone zu Hilfe zu rufen wie viele norwegische Kronen ihre 300 Euro wert sind?
Doch, ich habe früher in der Schule gelernt wie man Währungen umrechnet. Gulden in deutsche Marken, in englische Pfunden, in schwedische Kronen und in österreichische Schillingen. Und umgekehrt. Aber bis heute bin ich immer noch im Zweifel: ich kenne den heutigen Kurs, aber wie war es nochmal, muss man jetzt dividieren oder multiplizieren?

Theo Thijssen, 1879-1943, ein jetzt ziemlich unbekannter niederländischer Pädagoge-Schriftsteller-Politiker, antwortete einst auf die Frage, was er denn wohl gelernt habe in der Grundschule: “Lesen, Schreiben und sonst einige kleine Sachen.“
Zu den sonstigen Sachen hat nebst Lesen und Schreiben sicher auch das Rechnen gehört. Dass zehnjährige Kinder vor hundert Jahren in der holländischen Grundschule rechnen konnten, und zwar alles ohne Kalkulator, möchte ich Ihnen beweisen anhand einer Seite aus dem Rechnen Schulheft (5. Klasse) meines Schwiegeronkels Johan W(esterveld). Er hat es für uns aufbewahrt.

Es ist ein schöner Sommermorgen, dieser 19. Juli im Jahre 1913. Herr Lehrer K(oerselman) hat das Wort.
“Und jetzt die Aufgabe 5. Liebe Kinder, ihr sieht hier eine Tabelle mit acht Kolumnen und sechs Reihen. Die Kolumnen sind Münzen die ihr alle kennt, und zwar von links: gros, cent, stuiver, halve gros, halve cent, kwartje, mark en halve stuiver. Für die zukünftigen Bagatellleser(innen) sag ich, dass der Wert eines gros, eines stuivers, eines kwartjes und einer mark respektive 6, 5, 25 und 60 Cents beträgt. Ihr seht, dass ganz links in der gros-Kolumne schon Zahlen eingeführt worden sind, z.B. in der dritten Reihe 49 gros. Jetzt an Euch die Frage: wieviel Cents sind 49 gros? Und wieviel stuivers, wieviel halve gros, und so weiter und sofort. Zeichnet bitte mit Bleistift die Tabelle nach in euren Rechenheften und versucht die Zellen in der Tabelle alle auszufüllen.“ (Sie merken: Der Herr Lehrer K. spricht ein ebenso schlechtes Deutsch als der Bagatellenschreiber es schreibt..)





Der damals zehnjährige, spätere Schwiegeronkel Johan setzt sich an die Arbeit und als er das Resultat dem Lehrer vorlegt, staunt dieser nicht schlecht. Der Johan hat die schwierige Aufgabe fehlerfrei gelöst. Hut ab! Gut gemacht Johan! rufen wir alle dem Rechenmeister zu. Und der Lehrer K. schreibt in roter Tinte quer durch die gelungene Prüfung das Wort GOED! Und darunter schreibt er das Datum. Es ist tatsächlich der 19. Juli 1913, ein schöner Sommertag, noch vor dem großen, ersten Weltkrieg.
Das waren noch Zeiten wo die Kinder in der Schule etwas richtig Vernünftiges lernten, seufzten hundert Jahre später die unverbesserlich Konservativen.

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Donnerstag, 6. November 2014
Bagatelle 243 - Marmor, Glas und Blech
Wenn das Geld fehlt um sich mit wirklich schönen Sachen zu bereichern, begnüge man sich mit Surrogat. So etwa muss meine Schwiegergroßmutter gedacht haben als sie sich nach neuem Waschmobiliar umsah: sie fand schließlich einen kleinen Tisch mit aufstehendem Spiegel und dazu passendem Regal. Die Tischplatte und die Spiegelumrandung sind bei Leibe nicht aus feinem italienischen Marmor wie es den Anschein hat. Beim näheren Betrachten sieht man es auch: es ist eine Fälschung, weil nur schlichtes, bemaltes Kiefernholz. Ein Quasi-Fachmann, in einer Mischung von grobem Anstreicherkönnen und feinsinniger Malermeistertätigkeit, hat versucht uns reinzulegen.






In dem (schwieger)großelterlichen Schlafzimmer hat sich in dem letzten Jahrhundert – außer der eingetretener Zentralheizung vor vierzig Jahren – fast nichts geändert. Das Waschmobiliar mit der unechten Marmortischplatte steht immer noch an seinem geordneten Platz. Und die Waschutensilien sind alle noch da. Nur das wichtigste fehlt: das Wasser. (Dieses Schlafzimmer war nie auf der Wasserleitung angeschlossen. Man holte sich das Wasser aus der benachbarten Küche.)



Das Glaswerk auf dem kleinen Regal besteht vornehmlich aus einigen kölnisch-Wasser-Fläschen. Nur ist die Marke nicht 4711, sondern die eines der Konkurrenten mit Namen Tosca. Man sieht es vor sich. Am Sonntagmorgen, vor dem Kirchgang, stellt sich die Großmutter vor dem Spiegel, begutachtet ihr Aussehen und gießt vorsichtig einige köstliche Toscatropfen auf ihr frischgebügeltes weißes Taschentuch. Diese Prozedur ließe sich Anno 2014 wiederholen, denn die Flasche ist noch halb voll. Wenn sie den kleinen Schraubdeckel aufdrehen, kommt Ihnen der unverkennbare Tosca(ner)duft entgegen, auch jetzt noch.




In dem kleinen Behälter aus Steingut befinden sich einige merkwürdig anmutende Stückchen Blech. Es sind eine Art Quittungsmarken, metallene Bescheinigungen, die beweisen sollen, dass man die Fahradsteuer für einen bestimmten Zeitraum bezahlt hat. Diese Blechmarken sind aus den Jahren 1934/35. Doch, auch damals gab es schon eine Maut. Nicht von deutschen Besserwissern uns, eifrigen Grenzgängern, auferlegt, sondern von der eigenen, holländischen, Steuerbehörde verordnet. Ich vermute dass dieser Blechstreifen, nachdem er beim Steueramt für teures Geld erworben war, irgendwo am Fahrrad befestigt wurde. Wahrscheinlich wurde eine Stange feierlich umklemmt.



Das Schlafzimmer wurde seit Lebens immer von meinen Schwieger(groß)eltern benutzt. Jetzt nur noch selten, wenn liebe Gäste einen Platz zum Schlafen brauchen. Dann erzähl ich denen auch immer die Geschichte von Marmor, Glas und Blech.

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Donnerstag, 30. Oktober 2014
Bagatelle 242 - Düstere Aussicht
Jetzt wo die Winterzeit das Sommeruhrwerk abgelöst hat, drängen sich düstere Gedanken auf. (Sie wissen: bei uns kommt jedes Halbjahr in den allerfrühesten Morgenstunden (nämlich um zwei) der Zeitverschieber höchstpersönlich und versetzt in einem Schlag alle Uhren um eine Stunde. Vorwärts oder rückwärts, darüber streiten sich jetzt noch die Gelehrten.) Letzten Sonntag war es wieder so weit. Vor allem abends merkt man den Unterschied. Es dunkelt, jetzt Ende Oktober wo der Nebel über die Lande schweift, schon um fünf. Meine Pfauenfamilie bittet schon eine halbe Stunde vorher um ihr Abendbrot.

Gerade in diesen Tagen, wo alle Heiligen uns zu besuchen pflegen, verfolgt von allen Seelen, führt die sich nach vorne ausbreitende, verfrühende Finsternis zu düsteren, melancholischen Gefühlen. Das dauert allerdings nicht lange, jedenfalls bei mir. Aber ich wette mit Ihnen, dass auch Sie sich sehr freuen wenn demnächst die Tage anfangen wieder zu längeren.

Ich übertreibe nur wenig wenn ich behaupte, dass die Finsternis an sich mir wenig Angst und Schrecken einflößt. Natürlich war mir wohl öfters Angst und Bange im Dunkeln, aber immer vor etwas anderem, nicht vor der Dunkelheit selbst, so finster und düster sie auch war. Nein, die Dunkelheit ist mein Freund. Wenn Sie mich bitten abends in völliger Dunkelheit (kein Vollmond, weit und breit keine Beleuchtung) die Abendzeitung aus dem Briefkasten zu holen der sich zweihundert Meter vom Hof entfernt an der Landstraße aufhält, strafen Sie mich damit nicht. Meine Füße kennen den Weg und ich finde auch ohne eine Hand vor Augen zu sehen meinen Weg. Ja, manchmal genieße ich es.

Was mir weniger glücklich macht ist das allmählich Fehlen totaler Finsternis. Licht und Lärm sind immer da. Auch bei uns, auf dem dünn besiedelten platten Lande. Zum Beispiel, wenn ich nachts nicht schlafen kann, in die Küche schleiche und mich vors Fenster stelle, sehe ich in der Ferne eine einsame Straßenlaterne, welche niemandem beilichtet. Das Licht ist so hell dass man fast die im vorigen Abschnitt gerade geholte Abendzeitung lesen kann. Wörtlich und nicht sozusagen.
Der einzige Weg um die Freundschaft mit der Dunkelheit zu feiern ist das Schließen der Augen. So weit sind wir gekommen.

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Donnerstag, 16. Oktober 2014
Bagatelle 241 - Sütterlinarisches Poesiealbumrätsel
Unlängst, vor einigen Tagen, habe ich Ihnen etwas von meiner Nicht-Schwiegermutter Hanna erzählt (Bagatelle 240). Unter das wenige das sie uns hinterlassen hat, befindet sich auch ein geheimnisvolles Poesie-Album. (Früher hatte wohl jedes junge Mädchen solch ein Poesie-Album, in dem Verwandten und Freundinnen so gut und schön es nur ging, ihr zu Ehren, einen Vers schrieben.)
Die Poesie in dem Album mag schlicht und einfach sein, das Lesen und Verstehen ist für einen Aussenseiter und obendrein einen Ausländer eine Qual. Nicht wegen des Textes an sich, sondern wegen der Schreibweise. Die meisten Gedichte sind in der Sütterlin-Schrift (mit Sorgfalt und Mühe, das sieht man) geschrieben worden. Schön, aber völlig unverständlich. Da wird das schlichte Lesen, Verstehen und Geniessen ein Problem.

Auf der ersten Seite schreibt die Hanna selber. Nach einer halben Stunde ist mir halbwegs klar geworden, dass sie hofft dass alle die das Album in die Hand nehmen, mit Freuden in diesem Büchlein schreiben werden.



Und einige Seiten weiter schreibt eine gewisse Berta. Ich vermute (kann aber völlig daneben liegen) dass es die Schwester Berta ist, die der Johanna zuruft auch in Zeiten wo die Lebensstürme toben, stets den Blick nach oben gerichtet zu halten. (Gegen diese Art von Weisheiten hat selbst ein Philosoph wie Kant nichts einzubringen.)



Seit meiner Kindheit lasse ich mir wenig gefallen. Wenn einer zu dem jungen Terra sagte: klettere mal in den Gipfel dieses Kastanienbaumes, das kannst du nie und nimmer, da war der Terra sofort da um das Gegenteil zu beweisen. Was nicht immer ohne Unfälle geschah, aber das ist ein anderes Kapittel.
Spuren von dieser schlechten Charaktereigenschaft lassen sich noch immer finden. So wundert es nicht, dass ich, in dem Gefecht mit der Sütterlinschrift, dachte: was die können, kann ich auch.
Und siehe da: Sütterlin lesen ist sehr schwer, Sütterlin schreiben aber sehr einfach. Daher das folgende traditionnel- niederländische Poesie-Album-Gedicht das ich der lieben Johanna widme.



Für Sie alle die Gelegenheit zu beweisen, dass Sie sowohl Sütterlin als die niederländische Sprache einigermaßen beherrschen. Wer besorgt mir die beste deutsche Übersetzung?

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Montag, 6. Oktober 2014
Bagatelle 240 - Ratschläge für Liebhaber


Das hier ist ein altes, sepiafarbiges Bild, aus den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, das meinen Schwiegervater Hendrik mit seiner Verlobten Johanna (genannt Hanna) zeigt. Hendrik (1905-1987) war zwar schon mein Schwiegervater, die Hanna aber war nicht meine Schwiegermutter.
Die Sache ist so: die Hanna, als deutsches Dienstmädchen vom benachbarten Preußen in die Niederlande gezogen, hatte sich in einen holländischen Bauern verliebt und ihn 1929 geheiratet. Die Heirat dauerte aber nicht lange. Nach einer schweren Krankheit starb die Hanna in 1936. Anfang 1940 heiratete mein Schwiegervater zum zweiten Male, wieder mit einer Hanna. Diese zweite Hanna wurde später meine Schwiegermutter.

Nun aber total etwas anderes. Wer schreibt heutzutage noch? Worte und Wörter und zwar mit Tinte und Feder auf einem weißen Blatt Papier? Und das meist unwahrscheinlichste von allem: gibt es überhaupt noch jemand der einen Liebesbrief schreibt? Meine Nicht-Schwiegermutter Hanna hat es vielleicht getan, denn ich fand in ihrem Nachlass, versteckt in einem der vielen alten Schränke im Hof, ein Büchlein mit dem Titel: “Neuester Briefsteller für Liebende”. (Nebst Anhang: Stammbuchverse und Gelegenheitsgedichte.) Schon der Titel lässt vermuten, dass es sich hierbei um ein literarisches Meisterwerk handelt.



Die erste Abteilung dieses interessanten Werkes enthält Beispiele für schriftliche Liebeserklärungen und Bewerbungen etc. mit zusagenden und ablehnenden Antworten, alle gedruckt in den komischen, schwer zu lesenden Schriftzeichen aus jener Zeit (um 1920). Dass nicht alle Beiträge äußerst ernst und seriös aufzufassen sind, zeigt die folgende hilfreiche Anleitung.

Beispiel eines scherzhaften Liebesbriefes an ein hübsches Mädchen.

Meine innig geliebte Erna,
Ich nehme mir die Freiheit, Ihnen die Versicherung zu geben, daß ich Ihnen notwendig die Augen ausreißen oder mir die meinigen ausstechen muß. Das ist unbedingte Wahrheit. Sie müssen entweder minder schön oder ich muß blind werden; das ist wieder eine Wahrheit. Obgleich mein Leidenschaft so heftig ist, wie die jedes andern Liebenden sein kann, hoffe ich doch, Sie werden nicht erwarten, daß ich mich ertränke oder aufhänge. Sie können es mir glauben, mein Fräulein, daß ich ganz gewiß gesonnen bin, weder das eine noch das andere zu tun. Es hieße beweisen, daß ich sehr wenig Verstand und noch viel weniger Erkenntnis Ihres Verdienstes hätte, wenn ich nur die geringste Neigung zeigte, diese Welt zu verlassen, so lange Sie auf derselben zurückbleiben. Offen gesprochen, mein Fräulein, ziehe ich das Glück, Sie zu sehen, bei weitem dem Ruhm vor, für Sie zu sterben. Ich habe überdies eine viel zu gute Meinung von Ihrer Urteilskraft, um mich nicht überzeugt zu halten, daß Ihnen ein lebendiger Liebhaber lieber ist als ein toter; daß Sie brennende Lippen, bereit tausende Küsse zu geben, kalten, für immer geschlossenen Lippen vorziehen. Muß ich indes sterben, so bitte ich Sie, mich durch Ihre Güte und nicht durch Ihre Strenge zu töten. Viel lieber werde ich in Ihren Armen, als zu Ihren Füßen, sterben. Wären Sie zärtlich geneigt, mir einen Tod dieser Art zu geben, so bin ich bereit, ihn augenblicklich von Ihnen zu empfangen, wann und wo es Ihnen gefällig sein wird. Deuten Sie mir nur Zeit und Ort an, und ich werde nicht ermangeln, meiner schönen Mörderin entgegen zu eilen.
Für immer Ihr Bertrand.


Die Antwort mag lauten:

Sie haben sich offenbar mit mir einen Scherz machen wollen, und ich verzeihe Ihnen dies, indem ich Ihnen die Erklärung gebe, daß ich keineswegs beabsichtige, Ihre Mörderin zu werden. Ich muß Ihnen daher raten, anderwärts unter meinen Schwestern eine so Grausame oder Blutdürstige zu suchen. Ich vermag nichts für Sie zu tun, und hoffe, daß durch diese Erklärung weder meine, noch Ihre Augen in Gefahr kommen.
Mit aller Achtung, Erna.


Brief und Antwort: Beispiele für die ungeahnt hohen literarischen Qualitäten der deutschen Liebesbriefe vor hundert Jahren. Und nicht ohne Humor. So etwas in 2014 schon einmal in einem tweet, sms oder e-mail gelesen oder in einem ipad hineingeschrieben gesehen? Passend zu Ihrem face-book?

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Freitag, 19. September 2014
Bagatelle 239 - Pfauendauergeschichte
Lang ist’s her dass ich Ihnen Neues berichtet habe über unsere Pfauenfamilie. Vielleicht fragen Sie: leben die überhaupt noch, weil der Terra sie niemals mehr erwähnt? Obschon wir bei uns immer behaupten, dass kein Bericht ein guter Bericht sei, ist es in der Tat an der Zeit Ihnen die neuesten Pfauengeschichten zu erzählen.

Fassen wir, für uns selber und für die neu hinzugekommenden de.blogger, die wichtigsten Daten und Fakten zusammen. Die Geschichte fing Anfang 2012 an, als der Pfauhahn Jeroen (so nannten wir ihn) unangemeldet unseren Hof betrat und verkündete ihn nie wieder verlassen zu wollen. 2013 dann, just am 1. Mai, holten eine Bekannte von mir und ichselbst ihm, der gelangweilt und trostlos den ganzen Tag um den Hof herumspazierte, eine Partnerin aus dem benachbarten Ausland, 6 km von unserem Wohnsitz entfernt. Die Partnerin haben wir Jetta getauft, ein Name der mehrmals in der Familienchronik auftaugt. Groß war unsere Freude als anfang Juni die Jetta ihrem Gatten Jeroen mit zwei Pfauenküken beglückte: zwei komisch-putzige Pfauenhänchen. Vorerst noch ohne Namen weil uns bis heute noch kein guter eingefallen ist.
Jetzt ist es 2014. Im April fand ich zufällig im Gebüsch ein Pfauennest mit fünf Eiern. Davon habe ich zwei entfernt, wegen der Gefahr der Pfauenüberbevölkerung. Genau am Himmelfahrtstag diesen Jahres sind zwei frische Küken aus dem Ei geschlüpft. Das dritte Ei war offenbar unbefruchtet geblieben. Munter, kreuzfidel und sehr neugierig, so benehmen sich die Neugeborenen. Vater Jeroen und die beiden Halbbrüder aus dem vorigen Jahr staunten nicht schlecht. Sie benahmen sich fast menschlich: nach außen mit Abstand und scheinbar nicht-interessiert; innerlich aber froh und glücklich.

Bis vor einigen Wochen konnte man beim genauen Hinsehen folgendes feststellen. Mutter Jetta geht, immer von den zwei kleinen begleitet, ruhig und besonnen ihren Gang. Die zwei Vorjahreshänchen gesellen sich ab und zu zu ihnen, oder spielen sonst ihre eigenen Spielchen. Sie üben ihre Flugqualitäten indem sie hoch oben auf das Scheunendach fliegen. Und in diesen schönen Sommertagen lernten sie von ihren Eltern wie man am besten ein herrliches Sandbad nimmt.

Man verträgt sich, so kann man sagen. Beim Abendbrot aber sieht man wer Meister ist. Der Jeroen frisst als erster seine Körner und duldet dabei nur die Jetta mit ihren Kleinen. Die zwei halbwüchsige werden verjagt und sind froh wenn die Alten ihre Mahlzeit beendet haben und hier und dort einiges Essbares hinterlassen. Die Rangordnung steht also fest. Zu richtigen Streitereien ist es bis heute noch nicht gekommen

Bis vor einigen Wochen, so ist es. Immer wieder geschehen auch unvorhergesehene und traurige Vorfälle. Die Geschichte mit dem unbekannten fremden Hund, der Jeroens wunderbarer Schweif fast komplett verwüstet und abgebissen hat, kennen Sie. Vor drei Wochen etwa war wieder Panik in der Pfauenbude. Ein Buzzard war schuld: er hatte sich eines der zwei diesjährigen kleinen Pfauen bemächtigt. Einen ganzen Tag hat sich die ganze Pfauengesellschaft im Gebüsch verborgen gehalten. Jetzt hat die Jetta nur noch ein Küken übrig.

Dem Umständen nach geht es der Pfauenfamilie also gut. Abends steht die Gesellschaft bei der Scheunentüre und wartet auf einen gewissen Terra der so gut ist sie mit einigen Maiskörnern zu verwöhnen. Am liebsten aber ist ihnen der Inhalt der jetzt zu fallen beginnenden Wallnüsse. Leckeres findest du nie, nirgends und nirgendwo.






Jetta mit Nachwuchs




Frühlingsbild 2014: Der Jeroen sitzt oben auf der Pergola; links unten Jetta; die zwei auf der Bank sind die Küken vom Vorjahr




Sowohl eitel als auch neugierig. Daher Mutter Jetta und Küken auf dem Lieblingsplatz auf der Bank und vor dem Fenster. Fotografiert von innen nach außen.




Futtermomentaufnahme. Der Jeroen bittet die Turteltaube (auch ein gern gesehener Gast) sich zu entfernen.

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