Montag, 13. Juli 2015
Bagatelle 264 - Leicht verdient
Ein guter Nachbar ist besser als ein Freund in ferner Liefen, so lautet sinngemäß ein niederländisches Sprichwort. Es ist wahr: die Bedeutung einer guten Nachbarschaft hat, auch hier bei uns auf dem platten Lande, nachgelassen. Aber wir bemühen uns gut mit einander auszukommen. Wie ehꞌ und je. So erschrak ich als mein Nachbar Joost (sprich: Jost mit langem /o/) neulich bei mir vorbei kam mit einer Beschwerde. Es handelte um folgendes.

Sie wissen inzwischen alles über unsere Pfauenschar. Es betrifft Godfather Jeroen, seine zwei Söhne Sokke und Fukke, ein zweijähriges Zwillingspaar, und eine einjährige liebe Pfauenhenne ohne Namen. Die Klage vom Nachbar Joost galt vor allem das Benehmen Sokke und Fukkes. Sie seien, laut Joost, was ich schon beobachtet hatte, dann und wann in die Nachbarschaft gezogen und verblieben dann gerne in Joostens großem Waldstück Annex Garten. Auch das junge Hennchen hatte diesen Weg entdeckt. Oft verblieben die drei Sünder dort einige Tage und Nächte. Vorige Woche war es dann passiert dass die jungen Pfauen mitten in der Nacht anfingen zu schreien. So schlimm dass die kleinen Kinder aufwachten und nicht mehr schlafen konnten. Auch ein anderer Nachbar hatte sich schon bei Joost beschwert.
(Vielleicht wissen Sie wie Pfauen schreien: manchmal schroff und wütend, manchmal klagend und jammernd. Aber immer sehr laut. So schön die Pfauen äußerlich sind, so unschön ist ihr Geschrei.)

Wie gesagt: wir leben seit Jahrhunderten in pais und Frieden mit unseren Nachbarn und ich möchte das so beibehalten. Deshalb sagte ich zu Joost: Wenn du Ärger mit den Pfauen hast, tue mit ihnen was du willst. (Weil ich weiß dass Joost und Familie Tierfreunde sind, mache ich mich über das Los meiner Pfauen keine Sorgen.) Jost schlug dann vor sie (die Pfauen) zu fangen und zu verkaufen. Ich ließ ihm die freie Hand.

Nach einigen Tagen – die Jungpfauen waren immer noch nicht wieder zurück bei mir auf dem Hof – kam abends an einem Sonntag (dem 21. Juni, bei uns Vatertag) Joost zu mir mit der erfreulichen Nachricht dass die Pfauenplage ein Ende gefunden hatte. An diesem Morgen sei nämlich eine junge Frau aus L., eine Kleinstadt 15 Km entfernt, angefahren gekommen, welche die drei Pfauen, die inzwischen offenbar gefangen worden waren, gerne kaufen wollte um sie dem Vater als Vatertags Geschenk überreichen zu können. Joost brachte mir den Ertrag, einige 20-Euroscheine, weil es schließlich meine Pfauen waren. Weil er sich so viel Mühe gegeben hatte, beschloss ich dass wir uns das Geld teilen. So gesagt, so getan.
Die Sache war nachbarlich gut abgeschlossen und der (nächtliche) Friede wieder hergestellt.

Dann kam der darauffolgende Montag, der 22. Juni. Abends machte ich wie gewöhnlich meine Runde um den Hof um nach dem Rechten zu sehen und meinem Altpfau Jeroen mit ein paar Maiskörnern zu versorgen. Da hörte ich plötzlich ein bekanntes Geräusch: zwei Jungpfauen flogen aus den umringenden Bäumen auf das Scheunendach und von da aus auf den Steinpfad wo sie immer ihre Nahrung bekamen. Ich staunte nicht schlecht. Gestern verkauft und jetzt wieder zu Hause?

Da fuhr ich sofort zum Nachbar Joost und sprach Worte die höchstwahrscheinlich Ewigkeitsruhm erhalten werden: "Was auch du gestern der lieben Frau aus L. verkauft haben will, es waren sicher nicht meine Jungpfauen Sokke und Fukke." Und ich kann selbstverständlich kein Geld annehmen für etwas Verkauftes das nicht mein Eigentum war. Und gab Joost den Rest des Geldes. Nachher verständigten wir uns darüber dass das Geld einem guten Zweck dienen soll. Und das ist gut so.

Das ist jetzt drei Wochen her. Sokke und Fukke ziehen ihre Kreise um den Hof herum, dabei vom Vater Jeroen beobachtet. Manchmal sind sie ein Tag auf Reisen, manchmal auch zwei. Das nächtliche Pfauenschreien aber hat ein Ende gefunden und der Ärger darüber ist vorbei. Bis heute, denn man weiß nie.



Bei dem Bild hier unten: Sokke (vorne links) und Fukke bei Vater Jeroens (Hintergrund) Lektion 1: Imponiergehabe.

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Samstag, 20. Juni 2015
Bagatelle 263 - Rückzieher
Die schöne, niederrheinische Stadt Kleve hat wie Sie zweifelsohne wissen, etwas mit Schwänen am Hut. Kleve hat ja seine Schwanenburg und in einigen Wagner-Opern fragt der reisende Tenor, der seinen Anschluss verpasst hat, mit lauter Stimme: ꞌWann kommt denn der nächste Schwan?ꞌ

Oben am Klever Schwanenturm befindet sich eine klassische Statue mit dem großen Kurfürsten. Wie es sich gehört und ihm passt vornehm zu Ross. Streng blickt er auf die Touristen die mühevoll den Berg hinauf geklettert sind und die sich jetzt die Burg, inklusive Turm, von innen anschauen wollen. (Oder sie sind vom Amtsgericht hierher eingeladen worden.)

Die neueren, neumodischen Statuen in der Innenstadt haben statt eines strengen kurfürstlichen Gesichtes und Ansehen vielmals etwas humorvolles in sich. Und, was mich persönlich angeht, verbreiten sie das auch. Wie dieser wütender Schwan am Fischmarkt der seine Beute fest im Hintergriff hat und die vehement gegen Opferfrau und Kinder verteidigt. Wie wird der Streit ausgehen? fragen sich einige Zuschauer. Nicht die Klever Bürger, unterwegs beim Einkaufen oder verbleibend in einem gemütlichen Kaffeekränzchen auf einer der Terrassen, denn die wissen schon wie die Sache ausläuft: unentschieden also.







Ich mag solche komischen bronzenen oder versteinerten Gruppen sehr. Es erinnert mich an meine Bärensammlung wo auch fast immer etwas los ist. Rückzieher gibt es bei ihnen auch. So wie bei diesen Zweien die sich um einen gefangenen Fisch streiten. Wie wird hier die Sache ausgehen?




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Freitag, 12. Juni 2015
Bagatelle 262 - Skizzen und Stiche
Die heutige Zeit bringt mit sich, dass neuerdings auch fast jedes tierisches Geschöpf sich dann und wann einer Identifikationspflicht unterziehen muss. Daher sieht man bei uns auf dem Plattenlande Schafe und Kühe mit grässlichen gelben Ohrmarken welche als eine Art Ausweis funktionieren sollen.
Nein dann früher, als die Kühe schlicht Elisabeth 13 hießen und wenn man sie Elisabeth 15 nannte, erwiderte die alte Dame: nein, das ist meine Enkelin. Aber auch schon früher gab es für Kühe ein Identifikationspapier, quasi einen Verbleibschein, inklusive Bildnis also.



Das hier ist solch ein Reisepass. Unten schreibt irgendwer: der Besitzer, der Versicherungsfachmann, der angebliche Käufer, die wichtigen Daten. Oben werden die sehbaren Merkmale sichtbar, indem einer mit Tinte oder Bleistift vermerkt wo auf der Kuhhaut sich dunkel/schwarze (beziehungsweise dunkelrote) Flecken sehen lassen und wo die sanfte, lauwarme Kuhhaut schneeweiß bleibt. Diese bildliche Merkmale wurden nicht fotografiert, sondern skizziert. Vor allem einige Wochen nach einer Neugeburt wurde dieses Verfahren gehandhabt. Das Resultat war, wie es bei uns genannt wurde, eine Kalbskizze. Dadurch hatte ein Kalb eine eigene Identität und zugleich Würde, Anstand und Anerkennung.

Ich weiß das alles weil meine Frau, die Madame Terra also, in ihren jungen Jahren viele Kälber skizziert hat. Als Bauerstochter, mit einiger künstlerischen Begabung ausgestattet, fiel ihr das nicht schwer. Sie tat diese nicht bezahlte Arbeit, nur ein Dankeswort genügte, in Vertretung ihres Vaters der für die örtliche Viehversicherungsgesellschaft tätig war. Wie viele Male hat sie uns nicht die Familiengeschichte erzählt, wo sie, im kalten Winter auf den Weg zu einem frisch zu skizzieren Kalb, mit ihrem Moped von dem eisigen Landweg abkam und zwar leicht verwundet ein dennoch passende Skizze mit großer Ähnlichkeit produzierte.

Skizzen und Stiche sind zweierlei Sachen. (In meiner Muttersprache braucht man nur die Anfangsbuchstaben Sch zu entfernen: schets versus ets.) Ich möchte Ihnen außer einer Skizze auch einen richtigen Stich zeigen. Er stammt von meinem vor einigen Jahren (das gleiche Sterbejahr wie die Madame Terra übrigens) verstorbenen Bruder. Geschaffen, nicht mit einer ätzenden Flüssigkeit wie bei normale Stichen, sondern in der ꞌtrockenen Nadelꞌ-Technik, wo ein Künstler direkt Formen und Linien in die Bleiplatte hinein kratzt.




Er nannte diesen Stich ꞌAufhellende Landschaft nach dem Gewitterꞌ. Wir erkennen sofort die uns umringende Landschaft und die dazugehörende Gesinnung. Drohend und düster, aber nicht völlig überherrschend. Wir sehen wie sich die Furchen zum Horizont sputen. Und wir wissen, dass in dem kleinen Hof die Bauersfrau eine Brotmahlzeit vorbereitet: es ist vier Uhr vorbei. Roggenbrot mit Speck.

Der Stich hängt seit Jahren in unserer guten Stube und wird jedes Jahr schöner. Das fand die Frau Terra auch; sie mochte den Stich sehr. Mehr als ihre Skizzen.

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Dienstag, 26. Mai 2015
Bagatelle 261 - Frauengeschichte



Sehen wir uns bitte dieses wunderschöne Familienbild an. Beobachten wir die Kleidung, sowohl der Damen als der Herren. Schauen wir auf die Symmetrie des Bildes. Der Fotograf sagt: das Ehepaar und die drei Töchter bitte auf der vordersten Reihe (die jüngste Tochter mit Namen Johanna bitte in der Mitte zwischen Vater und Mutter), die vier Söhne hinten, die zwei Ältesten links, die Jüngeren rechts. Geben wir bitte auch acht auf den wunderbaren Bart (ein Dreispitz!) des Familienvaters. Sehen wir schließlich auch noch die Festentschlossenheit womit alle in die Kamera schauen; frank und frei, so sieht‘s aus. Und dann die wichtigsten Merkmale: die Hände und vor allem die Gesichter und die Augen. Die eine strahlt Zuversicht aus; der andere zeigt seine Sorgenseite. Vater, Mutter und sieben Kinder, wobei auch zu bedenken ist dass ein Sohn, kaum fünf Jahre alt, schon gestorben ist. (Er fiel bei der Heuernte vom hochgeladenen Wagen und war sofort tot.) Was ist mit diesem Bild und warum will ich Ihnen mit dieser Familie bekannt machen?

Es ist ziemlich weit hergeholt, aber das hier sind meine Verwandten. Der Herr mit dem Dreibart ist ein Großonkel meiner vor einigen Jahren verstorbenen Schwiegermutter. Die liebe Dame ist also ihre Großtante. Wir sehen hier die Familie Beernink und diese Bagatelle möchte ich der lieben Frau Hermina Berendina Beernink, geborene Heideman, widmen. Sie wurde am 19. Dezember 1842 in Süderwick (Umgebung Bocholt/Westfalen) geboren und starb im Alter von 90 Jahren in Sioux Center im Staate Iowa in den Vereinigten Staaten. Der Namensreihe Hermina Berendina hatte sie auch noch Wilhelmina hinzugefügt. Jedenfalls wurde sie zuletzt so genannt. Von nun an wollen wir sie auch so nennen: Wilhelmine.
Das Bild stammt etwa aus dem Jahr 1918; Frau Wilhelmines Fotoalter ist also 75.

Einiges weiß man, vieles weiß man nicht. Und von dieser Familie schon gar nicht. Die einzige Zeitzeugen welche wir haben sind die von Verwandten und Nachkommen aufgeschriebenen Erzählungen und Berichte. So wissen wir, daß die Wilhelmine, als sie noch Harmina Berendina hieß, mit der ganzen Familie Heideman ins nahegelegene Ausland auswanderte. Das war nur ein Katzensprung, denn die preußische Ortschaft Süderwick, wo die Heidemans wohnten, war gleichsam mit dem niederländischen Dorf Dinxperlo - wohin sie zogen - verklebt. Dort in Holland lernte sie Hendrik Beernink kennen. 1868 heirateten die zwei und drei Tage nach der Hochzeit fuhren die beiden samt einigem Hausrat nach Rotterdam um von da aus in die Vereinigten Staaten zu segeln. Die Reise dauerte damals sechs Wochen. (Mit einem Dampfer ging es manchmal schon in vierzehn Tagen.) Von New York ging dann die Reise zuerst westlich nach Wisconsin in eine Gegend wo schon viele holländische Einwanderer wohnten. Hendrik, Schneidermeister von Beruf, ging dort seinen Fähigkeiten nach und verdiente manchmal 30 Dollarcents a day. In dieser Zeit wurden die zwei ältesten Söhne geboren.

Da kam nach vier Jahren der Tag wo der Herr Beernink erfuhr, dass im Staate Iowa landwirtschaftlicher Boden ausgegeben wurde. Man zog gen Süden ins wilde Westen wo der Hendrik mit eigenem und geliehenem Geld einige hundert acres Land pachtete wo er seinen ersten Wohnsitz baute: eine Plaggenhütte aus Schollen, Zweigen, Gras und Erde. Kaum vorzustellen dass alles fast ohne Werkzeuge und wörtlich mit bloßen Händen gebaut wurde. Auch kaum vorstellbar wie man in den dortigen ersten Jahren die glühend heißen Prairiesommer und die steinkalten Winter überlebte. Die spärlichen Überlieferungen lehren uns dass man anfangs ꞌmit der Sonneꞌ lebte. Das Geld für eine richtige Uhr fehlte. Überhaupt waren die ersten Jahre sehr schwierig. Um 1870 zum Beispiel war da obendrein die Heuschreckenplage welche die totale Ernte zu sich nahm. Wilhelmine, Mann und Kinder lebten zwei Jahre fast nur von Kartoffeln welche man im Boden aufbewahren konnte. Erst nach einigen Jahren konnte man eine richtige Ernte einfahren und ein richtiges Holzhaus bauen. Überlebt hat man, so erzählt die Geschichte, vor allem weil man zusammenhielt. Die Familie Beernink war Mitglied einer (holländischen) Kolonie wo der eine dem anderen half.

Nein, nur einiges weiß man und vieles nicht. Aber 1918, wenn die Kinder aufgewachsen sind und Wilhelmine und Hendrik einen bescheidenen Wohlstand erreicht haben, trauen sie sich zu ein schönes Familienfoto machen zu lassen. Das sieht man.

Von einer besonderen Geschichte kann ich berichten. Dazu muss man wissen dass die Gegend in Iowa wo Wilhelmine und Familie sich niederließen (Sioux County) ursprünglich Territorium der Indianer war. (Die Indianer wurden, wissen wir inzwischen, nicht gerade zimperlich von ihrem Land und Boden vertrieben.) Die Wilhelmine hatte gerade ihre jüngste Tochter Johanna geboren als sie eines Tages bemerkte wie ein Indianer ins Haus getreten war und sich das Baby ansah. Worauf die Wilhelmine das Baby aus der Wiege nahm und damit in Furcht und Schrecken zur Nachbarsfrau flüchtete. Zwei Menschen die sich nicht kannten sahen etwas Noch-Nie-Gesehenes. Die Wilhelmine stand zum ersten Male einem richtigen Indianer vis-a-vis gegenüber. Und der Indianer staunte sehr weil er noch nie ein weißes Menschenkind mit blonden Haaren gesehen hatte.

1932, kurz vor ihrem 90. Geburtstag, ist die Wilhelmine gestorben. (Sieben Jahre nach ihrem Gatten Hendrik.) Sie war, sagten die Nachkommen in Sioux Center, eine von den richtigen Pioniersfrauen die das Land aufgebaut haben. Zu ihrer Beerdigung wurde zweisprachlich gepredigt: in English und in Niederländisch. Und man sang ihr Lieblingslied, den 73. Psalm. Auf Niederländisch in einer uralten Version aus 1773. So wie ihn die Wilhelmine, als noch Hermina Berendina hieß, in der Schule gelernt und zu Hause und in der Kirche gesungen hat.

Eine Besucherin des Gottesdienstes erzählt uns dass das Wetter an diesem Tag nicht sehr schön gewesen sei: nasskalt. Trotzdem waren sehr viele gekommen um meiner schwiegermütterlichen Großtante Wilhelmine die letzte Ehre zu erweisen.

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Dienstag, 12. Mai 2015
Bagatelle 260 - Kunterbuntgrün
Immer wieder, jeder Frühling, die gleiche Prozedur wie jedes Jahr, die ich Ihnen am Beispiel unserer Buchenhecke illustrieren will. Die Hecke welche unseren Vorgarten umrundet ist das ganze Jahr über voll Blatt. Winters braun-grau, aber auf einmal macht dieses Braun dem neuen Grün Platz. Und sehen Sie welch ein herrliches Grün!



Oder nehmen wir unsere Buchen, stolze Bäume an der Landstraße, unserem Hof gegenüber. Nachdem sie den Winter trostlos ohne Blatt dagestanden sind, kommen auf einmal die neue Blattknopfen. Nein, nicht alle Buchen genau zur selben Stunde: einige sind anderen einige Tage im Voraus. Wie Sie sehen.



In der Tat, im Frühjahr sieht man erst wie differenziert die Grünskala ist. Später im Hochsommer verschwinden die Unterschiede und im Herbst sieht man nur staubiges mattes Grün.

Aber, worüber ich mich eigentlich mit Ihnen unterhalten möchte, ist die Geschmacksänderung in der Farbenbewertung. Jedenfalls bei mir. Wo ich heute sehr die einzelnen Farben liebe, zwar mit allerhand feinen, pastellartigen Schattierungen wie das zarte Frühlingsgrün, konnte es früher nicht bunt genug sein. Das weiß ich, zum Beispiel aus meiner Zeit an der pädagogischen Hochschule wo ich, außer den Kindern Liebe für die schönen Künste beizubringen, auch selber Hand anlegte. Jede Woche stand eine Zeichen- annex Malstunde auf dem Programm, wo man selber aufgefordert wurde künstlerisch tätig zu werden. Manchmal gesteuert von einem gezielten Auftrag des Herrn Lehrer Petersen, unser aller Zeichen- und Malmeister, manchmal mit Hilfe eines freien Auftrages. ꞌNun lieber Terra, zeig mal was du kannst!ꞌ Und dann konnte meine Palette nicht bunt genug sein.

Einige Blätter von damals habe ich mir aufbewahrt. Um jetzt zu entdecken wie kunterbunt meine Welt von damals aussah.





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Montag, 27. April 2015
Bagatelle 259 - Belehrung statt Bescherung
Seit Jahr und Tag pflegen wir unseren Gemüsegarten. Dort reift der Grünkohl, dort wächst der Spinat, alles ökologisch einwandfrei. Dort wird, wenn nötig, in trockenen Zeiten Wasser herangeschleppt damit die Tomaten nicht ganz und gar verdursten. Dort geschieht was in einem ordentlichen Gemüsegarten zu geschehen hat. Aber nur zur Freude, ohne Zwang und Hast.

Glauben Sie bitte nicht dass ich selber die Feinarbeit verrichte. Dafür bin ich ein viel zu schlechter Gärtner. Früher machten das meine Schwiegermutter und meine Gattin, die Frau Terra; beide besaßen, wie man bei uns so sagt, grüne Finger. Die wussten Bescheid; sie sprachen mit und über die gedeihenden Pflanzen und über das heranwachsende Gemüse. Sie wussten genau wann Erntezeit oder wann Vorsorge zu treffen bei drohendem Nachtfrost. Ich selbst sah das alles mit großem Vergnügen. Wenn es sein musste, trat ich die Schwerstarbeit an wie die Arbeit mit Spaten und Hacke.

Seit vergangenem Jahr nun macht mein jüngster Sohn die Gartengemüsearbeit. Er tut das aus freien Stücken; keiner hat ihn gezwungen oder gebeten. Er macht es liebend gerne, was ohne Zweifel auf das geerbte Konto seiner Mutter und Großmutter zurückzuführen ist. Das erste Gemüse in diesem Jahr (unter Glas gereift allerdings) ist schon geerntet und gekostet. Jetzt wo es richtig Frühling geworden ist, wird gesät und gepflanzt was das Zeug hält.

Etwas aber droht der Garten- und Gemüsefreude in die Quere zu kommen. Unsere Pfauenschar nämlich hat – voriges Jahr schon – die vortrefflichen Eigenschaften der angebauten Gemüsesorten entdeckt. Alles Grüne wird sorgfältig auf Geschmack und Nahrungsqualität geprüft.

Damit so etwas nicht nochmal passiert, haben wir dieses Jahr einige Vorsorgemaßnahmen getroffen. Aber was soll man machen? Drohen mit Gefangenschafft auf Wasser und Brot? Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang jemand bitten Wache zu stehen um die Pfauen wenn nötig zu entfernen? Einen großen Zaun errichten der keinem Pfau aber fast auch keinem Menschen den Eintritt in den Gemüsegarten ermöglicht?

Mein Sohn hat sich für eine moderate Lösung entschieden. Der Gemüsegarten wurde neulich umzäunt (ein Meter hoch) so dass in jedem Fall unser Pfauenherr Jeroen – der nicht fliegen kann – auch nicht darüber springen kann. Die restlichen Pfauen, alle sehr flugfähig, werden auf zwei Arten und Weisen vom Eintritt in den Garten abgehalten. Erstens sind oberhalb des Zaunes Drähte aufgehängt welche verhindern sollen dass die Jungpfauen über den Zaun fliegen. Zweitens hat mein Sohn die grandiose Idee des Verkehrsschildes angewandt. An zwei Stellen im Zaun sind Warnungen zu sehen: ein Halte- und Warte- nebst Eintrittsverbot das allen Pfauen und anderen ungeladenen Gästen abwehrt und zurückweist. Sehen Sie selbst. Das müsste eigentlich genügen, meinen wir. Statt eine Bescherung eine Belehrung. Lasset es euch gesagt sein! rufen wir den Pfauen zu.











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Donnerstag, 9. April 2015
Bagatelle 258 - Offener Brief
Liebe Bagatellenleserin, lieber Bagatellleser, liebe Bagatellisten,

Gestatten, mein Name ist Jeroen (Sprich: Jeruhn mit kurzem /u/). Meistens schreibt mein Herr und Begleiter (den Herrn Terra meine ich) über mich, aber diesmal nehme ich selber eine meiner Feder zur Hand. Es wurde auch Zeit, allerdings, aber der Herr Terra hatte die anscheinend nicht.



Wie Sie vielleicht wissen, bin ich vor einigen Jahren, man schrieb das Jahr 2012, dem Herrn Terra zugelaufen. Tatsächlich zufälligerweise, und ohne jeden Beigedanke. Und weil es mir auf seinem Hof gefiel, habe ich mich entschlossen seinen Wohnsitz als meine Dauerbleibe zu betrachten. Ich brauchte auch nicht lange alleine zu bleiben, denn 2013 hat man mir aus dem benachbarten Ausland eine Frauenpfau, Jetta genannt, herangeschafft.

Da wir gerade über meine Familie reden: Die Jetta hat mir zwei Söhne (2013) und zwei Töchter (2014) geschenkt. Mit meiner Familie geht es aber inzwischen so und so. Meine Söhne – sie heißen Sokke und Fukke - sind munter und kreuzfidel und gerade in dieser Frühlingszeit ziehen sie täglich durch die Nachbarschaft. Manchmal sind sie tagelang unterwegs, meistens von der einen Tochter TON (Tochter-Ohne-Namen) begleitet.



Leider muss ich Ihnen berichten, dass die Jetta nicht mehr am Leben ist. Sie ist voriges Jahr auf der Landstraße von einem PKW überfahren worden. Der Terra hat sie feierlich begraben, habe ich aus der Ferne gesehen. Die andere Tochter ist einem Bussard zum Opfer gefallen. Keiner hat’s gesehen aber man hat die Überreste gefunden. So grausam kann die Natur also sein, aber das wissen Sie, Menschen, natürlich am besten.



Jetzt aber muss ich schließen. Auch meine Zeit ist begrenzt. Es ist Zeit für die tägliche Putzrunde wobei ich mein Federpack in Ordnung bringe und allerhand Gesindel das sich unter meinen Federn aufhält entsorge. Ordnung muss halt sein.

Mit liebem Pfauengruß, ihr aller Jeroen.

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Freitag, 3. April 2015
Bagatelle 257 - Doppelt legitimiert
Es gibt die doppelte Staatsbürgerschaft und es gibt die doppelte Legitimation. Das lehrt uns die folgende Geschichte.
In diesen Tagen feiert man bei uns – bescheiden aber trotzdem – dass man vor 70 Jahren von der deutschen Besatzung befreit wurde. Weil bei uns der zweite Weltkrieg erst Mai 1940 anfing, - ich war dabei, zwei Monate alt - könnte man auch in einigen Wochen dieser Tatsache gedenken.

Aus Erzählungen und mündlichen Überlieferungen weiß ich dass die äußerlichen Lebensbedingungen sich anfangs kaum änderten. Bei uns im Grenzdorf lebte man weiter wie bisher. Das Verhältnis mit den deutschen Nachbarn war nicht mehr so wie früher, aber man vertrug sich einigermaßen.
Dann im Herbst 1940 kam die Legitimationspflicht. Jeder der sich in der Öffentlichkeit aufhielt, sollte schriftlich beweisen können dass er derjenige war den er behauptete zu sein.

Hier unten sehen Sie die Identitätskarte meines Vaters. Damals 39 Jahre alt. Undank der ungewissen Zeit sieht er vertrauensvoll in die Zukunft. Wenn Sie gut sehen, könnten Sie entdecken dass die deutsche Sprache ihren Eintritt gemacht hat. Das niederländische ꞌHandteekening van den dragerꞌ wird von nun an begleitet vom deutschen ꞌUnterschrift des Inhabersꞌ.




Vielleicht ist es Ihnen auch aufgefallen, dass diese Identifikationskarte etwas sehr besonderes an sich hat. Sie herbergt nämlich zwei identische Unterschriften. Mein Vater ist doppelt legitimiert.

Wieso und weshalb? Mein Vater war damals Beamter am Rathaus und verantwortlich für die Herausgabe der Legimitationsbeweise. Er selber brauchte auch eine Bestehensgrundlage, meinten die Besatzer. Deshalb zwei Unterschriften: die eine als Herausgeber, die andere als Leidtragender.
(Übrigens kamen meinem Vater die Kenntnisse über öffentlichen Dokumenten gerade recht. So konnte er in den späteren Kriegsjahren dann und wann mal einen Reisepass oder ein Legitimationsbeweis fälschen.)

Dieses Jahr nähert meines Vaters Legimitationsbeweis sich seinen 75. Geburtstag. Ich werde ihn jedoch nicht feiern.

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Donnerstag, 12. März 2015
Bagatelle 256 - Nutzloses Flugwissen
An diesem herrlichen Merzfrühlingsmorgen, heute am 12. des Monats, sitzen zwei bei uns in der Laube. Es sind mein Alter-Ego und ich selbst. Es ist Viertel nach Elf. Die beiden sitzen in der Sonne, dort wo dich der Wind nicht fängt, und trinken etwas verspätet ihren Morgenkaffee. Der Himmel ist hellblau und keine Wolke ist zu sehen. Plötzlich schauen beide in die Lüfte wo ein Flieger, der von milchweißen Kondensstreifen gefolgt wird, sichtbar wird. Wenn das Flugzeug fast schon vorbei ist, hört man nachträglich das Gebrumm der Flugzeugmotoren.
Sagt der eine: ꞌDas ist eine KLM-Maschine; die hat vor einer Viertelstunde die Reise von Amsterdam-Schiphol nach Doha angetreten.ꞌ
Sagt der andere: ꞌDu sprichst als ob es der Drei-Uhr-Omnibus nach Raunen-an-der-Luhre ist. Wie kannst du überhaupt wissen was für ein Flugzeugtype das ist und wohin er fliegt! Willst du mich auch noch weismachen dass du die Fluggesellschaft und die Flugnummer weißt?ꞌ
ꞌDoch,ꞌ erwidert der eine, ꞌdas ist Flug KL441. Abreise 11.12 Uhr, Ankunft 19.08 Uhr Ortszeit. Die Maschine fliegt jetzt 8543 Meter hoch mit einer Fluggeschwindigkeit von 870 Km/H.'



Ich kann Ihnen Maschine und Streifen zeigen. Ich hatte, wie immer, eine Kamera dabei. Und alle Fakten welche der eine Sprecher verbreitet hat, stimmen tatsächlich. Ich kann es Ihnen beweisen mit einem zweiten Beispiel.
Hier unten sehen Sie eine Boeing 747. Fluggesellschaft Lufthansa, Flug LH422. Sie ist um 11.18 Uhr vom Frankfurter Flughafen aufgestiegen en befindet sich auf dem Weg nach Boston (USA). Dort wird sie (hoffentlich, denn man weiß nie) um 13.36 Uhr (örtliche Zeit) landen. Flughöhe momentan: 10.063 Meter; Geschwindigkeit 872 Km/H. Als die Maschine sich über mein Haus befindet ist es genau 11.43 Uhr. (Von Frankfurt/Main etwa zur niederländischen Grenze in 25 Minuten. Das nenne ich zügig!)



Nicht alles weiß man. Zum Beispiel kenne ich den Namen des Ko-Piloten nicht. Ich weiß auch nicht wer die Dame auf Stuhl 27 (Dritte Reihe, am Fenster) ist. Aber die Flugdaten lassen sich mittels eines Komputerapps reibungslos abrufen. Da sitze ich alleine mit meinem i-pad in meiner Laube und sehe auf dem Bildschirm was sich über meinen Kopf abspielt. Ich sehe kleine Flugzeuge sich auf einer Landkarte bewegen und kann einschätzen wann, wo und welches Flugzeug sich in meiner Nähe blicken und hören lässt.

ꞌNa und?ꞌ werden Sie fragen, und Recht haben Sie. Es ist nutzloses Flugwissen. Denn dadurch dass ich weiß, dass die Flughansamaschine nach Chicago (Departure: 11.09, Arrival: 13.54) 38 Minuten Verspätung hat, wird die Welt nicht besser. Und ich selber auch nicht.
Eine Ausnahme gibt es jedoch. Wie herrlich, dass Frau Gertrude Kleinschmidt aus Wolfenbüttel die Maschine sehen kann! Denn ihre Enkelin Helga befindet sich unter den Passagieren; sie fliegt gerade in die USA-Ferien. Die liebe Frau Kleinschmidt zögert nicht wenn das Flugzeug auf ihrem Bildschirm sichtbar wird. Sie tritt hinaus, winkt ihrer Enkelin im Flugzeug zu und ist in Gedanken bei ihr. Gut es zu wissen!

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Donnerstag, 5. März 2015
Bagatelle 255 - Freiwillig unfrei
Einmal in so und soviel Zeit verzichte ich auf das schönste und teuerste was ich besitze und begebe mich wissentlich in die Unfreiheit. Ich meine den Gang zum Frisör. Meistens so um die fünf Wochen überwinde ich mich selbst, verabrede einen Termin bei meinem festen Haareschneider und fahre anschließend zu der Damen- und Herrenfrisörsalon in A. um meiner haarigen Kopfbedeckung - oder was davon noch übrig ist - die gewünschte Fasson verleihen zu lassen. "Wieder mal wie das vorige Mal?" fragt mich der Frisör. Und wie immer nicke ich zustimmend.

An dem Augenblick wo du dich in den Frisörstuhl setzt, fängt das Elend an. Der Frisörmeister tritt den Stuhl auf die angemessene Höhe, bindet dir ein weißes Betttuch um den Hals, und öffnet danach seine Tasche mit den Haarschneide- und Rasierattributen. Mit Schere und Kamm, mit Haarschneidemaschine und Rasiermesser werden überflüssige Haare fachmännisch entfernt. Nur ich, unter dem weißen Betttuch, mit den Frisörhänden und Haarschneidegeräten auf meinem Kopf, leide schwer unter der Einsicht, dass ich meine Freiheit, auf die ich so stolz bin, dem Frisör ausgeliehen habe. Jedenfalls für zehn Minuten.

Wenn dir die Haare geschnitten werden, sollst du dich nicht bewegen, so lautet die Redensart. So ist es: du bist zu einer festen Sitzposition verdammt. Weder nach links noch nach rechts kannst du dich bewegen. Du bist quasi festgenagelt. Um dir eine Haltung zu verleihen besprichst du mit dem Frisör das Wetter und andere unwichtige Ereignisse. Die Tatsache ist, dass du nur an eines denkst: an den glückseligen Augenblick wo der Frisör seine Utensilien in seine Tasche steckt, deinen Stuhl erlaubt sich zu senken, das Betttuch zur Seite schwingt, einige lose Haare von deinem Mantel fegt und sagt: "So, das reicht wieder für einige Wochen."
Ich habe meine Freiheit wieder gewonnen. Ich bin mein eigener Meister. Und das für lausige 15 Euro. Kein Geld selbstverständlich für so etwas wertvolles wie die Freiheit.


Zugleich mit der Woche des Buches (Boekenweek) die nächste Woche anfängt, gibt es bei uns eine Woche des Dialektbuches. Für das niedersächsische Sprachgebiet erscheint dann 'Flonkergood', ein Büchlein mit 24 Kurzbeiträgen, dieses Jahr alle unter dem Thema: Freiheit. Auch der obige Beitrag über die Unfreiheit beim Frisör lässt sich in diesem Buch wiederfinden. Die Version in meinem Dialekt können Sie hier unten lesen.



Vri-jwillig onvri-j

Ens in de zovölle tied geef ik ’t mooiste en dierbaorste wa’k hebbe op en begeve mi-j willens en wettens in onvri-jheid. Ik bedoele mienen gang naor de kapper. Meestal zo elke vief waeke aoverwin ik mi-jzelf, maak een afspraak met mienen vasten kapper en fietse naor de dames- en herenkapsalon in A. um mienen haordos - of wat daor nog van aover is - te laoten fatsoeneren. ‘Maor weer net zo knippen as altied?’ vrug de kapper. En zoas altied knikke ik in- en toestemmend.

Op ’t moment da’j in de kapstoel plaats nemt begunt de ellende. De kapper trapt de stoel op de goeie heugte, bundt ow een wit laken um d’n hals en krig zien tasjen met knip- en scheerattributen. Met schere en kam, met tondeuze en scheermes wordt aovertollige heurkes vakkundig verwijderd. Maor ik, onder ’t witte laken, met de kappershande en knipspullen op mien heufd, liede zwaor onder ’t besef mien vri-jheid, waor’k zo trots op bunne, te hebben uut-eleend an de kapper. Veur een tiental minuten in elk geval.

A’j eknipt wordt, mo’j stille zitten, is ’t gezegde. Zo is ‘t: i-j könt gin kante meer uut. I’j zit kwasi vaste an de stoel. Um ow een holding te geven praot i-j met de kapper aover ’t weer en aover andere luchtige zaken die gebeurd bunt. In feite denk ik maor an één ding: an ’t gelukzalige moment dat de kapper zien gereedschap in zien tasjen opbörg, owwen stoel löt zakken, ’t laken verwijdert, wat loslopende heurkes van ow jas strik en zeg: now köj d’r weer een hötjen tegen. I’j hebt owwen vri-jheid herwonnen. I-j bunt weer ow eigen baas. En dat veur 15 euro. Gin geld natuurlek veur ziets weerdevols as ow vri-jheid.

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Samstag, 28. Februar 2015
Bagatelle 254 - Der Reihe nach
Durch, für, ohne, um, entlang, bis, gegen, wider gehen (wenn sie denn gehen), mit dem vierten Fall.

Liebe Bagatellen-Leserin, lieber Bagatellen-Leser, heute möchte ich Ihnen auf ein Phänomen aufmerksam machen dürfen, das uns, ausländische Gäste in Ihrer angenehmer Blog-Landschaft, viel zu schaffen macht. Für Sie, vertraut mit der deutschen Sprache, darin zu Hause und sich auskennend, mag es fremd oder übertrieben klingen, dass wir Ausländer beim schreiben deutscher Texte nicht ohne Reihen auskommen. Feste, am liebsten auswendig zu lernende Wörterreihen, welche eine bestimmte Hauptregel der deutschen Grammatik darstellen. Oder umgekehrt die Ausnahmen auf diese Regel.

Diese Art Reihen sind gemeint:
Äcker, Äpfel, Böden, Brüder …. (abweichende Mehrzahlformen) Bei männlichen Substantiven ist die Hauptregel offenbar: Einzahl plus e plus Umlaut (der Stuhl - die Stühle; der Fuß - die Füße). Oder die Reihe: Kühe, Gänse, Häute, Früchte, Bänke, Bräute… wo einige viele weiblichen Substantive statt ein normales Mehrzahl-(e)n wie in Wohnung-Wohnungen auch ein e plus Umlaut bekommen.

Manchmal sind die Reihen in einem nicht-reimenden Vers verborgen. Zum Beispiel beim Ratespiel ob der Dativ (der dritte Fall) oder der Akkusativ (der vierte Fall) verwendet werden darf.

An, auf, hinter, in, über, unter, vor und zwischen gehen mit dem vierten Fall wenn man fragen kann: wohin?
Mit dem dritten gehen sie dann, wenn man fragen kann: wo? oder: wann?
Nur auf und über nehmen dann fast regelmäßig den vierten an.

Für Sie mag das alles die Normalität vertreten. Für uns sind es Hilfsmittel ohne die wir nicht auskommen. Bei der Deutschstunde in der Realschule hatte ich ein rotfarbiges Wörterbüchlein in dem all diese nützliche und unentbehrliche Informationen standen. Unsere Aufgabe war es diese Reihen völlig fließend auswendig zu lernen für den Fall man später mal entscheiden musste ob oder wann die Mehrzahl von Land nun Länder oder Lande sein sollte. (Viel später erfuhr ich dass beide Varianten ihr Recht auf Bestehen geltend machen konnten.)

Es gibt nicht nur Substantive welche, zum Beispiel in der Mehrzahlbildung, einen merkwürdigen Charakter zeigen. So gab es auch deutsche Verben die entweder mit dem Dativ oder mit dem Akkusativ daher gingen. Diese Reihen standen auch in unserem roten Buch: helfen, danken, dienen, gratulieren, usw. So etwas war uns völlig fremd. Warum war es eine Todsünde zu sagen: "Liebe Kathrin, ich danke dich sehr für deine Hilfe!" Man sagte doch auch: "Ich bedanke mich sehr!" Der (und nicht die) geehrten Deutschlehrerin Frau K. sollten wir folgen in ihrer Bitte alle Wörterreihen auswendig zu lernen. Aber wieso und warum wurde uns nicht mitgeteilt.

Dennoch gibt es zwei Tatsachen die bemerkenswert sind. Erstens kenne ich manche Reihen (manchmal Teile daraus) aus dem roten Buch jetzt nach so vielen Jahren noch auswendig. Wenn Sie mich mitten in der Nacht aufwecken mit der Bitte zu sagen welche Präpositionen ꞌmit dem dritten Fall gehenꞌ, so antworte ich Ihnen prompt: mit, nach, nebst, bei, seit, zuwider, entgegen, außer, aus, dank, binnen, gegenüber und endlich noch gemäß und zunächst. Zweitens muss ich gestehen, dass ich ohne die Reihen in meinen bagatellarischen Texten noch viel mehr Fehler machen würde als das es immerhin normal schon der Fall ist.
Anscheinend werden heutzutage in den Deutschstunden keine Reihen mehr gepaukt. Es gibt sie noch, aber sie werden nicht mehr auswendig gelernt. Mir haben sie dennoch sehr geholfen.

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Dienstag, 24. Februar 2015
Bagatelle 253 - Schwarzer Fleck in Rot
Wenn ich mich nicht irre und mein Gedächtnis noch einigermaßen in Ordnung ist, bekommen die Kinder in der deutschen Grundschule wie auch in den Niederlanden dann und wann Zeugnisse. Lehrer(innen) beurteilen die Leistungen ihrer Schüler und berichten den Eltern darüber. Nicht immer, aber oft, werden die Bewertungen von Benotungen begleitet. Und da scheiden sich die Geister. Bei Ihnen gibt es anscheinend eine Skala von eins (sehr gut, ausgezeichnet) bis fünf (sehr ungenügend). Bei uns reicht die Skala umgekehrt von eins (sehr, sehr schlecht) bis zehn (ausgezeichnet). Eine 6 bedeutet eine gerade noch genügende Bewertung; eine 5 dagegen ist ungenügend.

Wie auch immer, Zeugnisse sind nicht nur objektive Daten. Das subjektive Lehrerinnensentiment bei der Beurteilung - sei es positiv oder negativ - spielt zweifellos auch eine Rolle. Und oft hilft es einem Kind nicht gerade. Denn schwache Schüler werden in ihrer Schwachheit bestätigt und das bringt sie nicht viel weiter.

Da wir gerade über Zeugnisse sprechen, fällt mir eine besondere Geschichte ein. Als ich die MULO ( etwa die Realschule in Deutschland) besuchte, holte ich mir die einzige Ungenügend (eine 5) die ich je in meiner Schullaufbahn bekam. Und das auch noch für einen meiner Lieblinge, nämlich für das Fach Zeichnen. Die Schule hatte außerdem die Gewohnheit ungenügende Noten in roter Tinte in das Zeugnisbuch hineinzuschreiben. Eine 5 in Rot!

Der Grund war ein tragisches Missverständnis. Der Zeichenlehrer, der Herr Heitmeyer seliger, hielt es für erwiesen, dass ich beim Zeichnen eines Kreises einen Zirkel verwendet hatte. Einen Kreis sollte man aber aus der freien Hand zeichnen können. Zirkelgebrauch war strengstens verboten. Und was ich auch zu meiner Verteidigung einbrachte (ich hatte den Zirkel nicht gebraucht; ich hatte nur einen Kreis gezeichnet mit Hilfe eines Fadens und zwei Stecknadel und keiner hatte mir gesagt dass das verboten sei …), der Lehrer ahnte das Verbrechen sehr und gab mir eine 5. Und zwar in Rot. Auch jetzt noch, nach so vielen Jahren, ist das Rot ein schwarzer Fleck auf meiner sonst glänzenden Schulkarriere, wie Sie hier unten sehen können.


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Donnerstag, 5. Februar 2015
Bagatelle 252 - Schlips & Fliege
Der Titel dieser Bagatelle lässt vermuten, dass es im nachfolgendem über die angesehene, zwar imaginäre Firma (gegründet 1865) handelt welche uns mit den feinsten Weinen aller Art versorgt. Da muss ich Sie aber enttäuschen: die folgende Geschichte erzählt schlicht von meinen Erfahrungen mit Halsbinden. Aber anfangen möchte ich mit unserem Prinzen Claus. Sie wissen: er war der Gatte unserer ehemaligen Königin Beatrix. Dieser Prinz Claus, sehr beliebt übrigens, tat während einer öffentlichen Ansprache etwas Besonderes. Vor den Augen der ganzen Nation nahm er seine königliche Halsbinde, zog sie von seinem Hals und warf sie schließlich vor seinen Füßen auf den Boden. Begleitet wurde das alles mit den Worten: "Befreien wir uns von den Zwängen welche wir uns selber auflegen. Kehren wir zurück in die Freiheit." So ähnlich jedenfalls. Die Krawatte als Metapher für (selbstauferlegte) Unfreiheit und Unterdrückung.

15 war ich vielleicht als meine Mutter und ich es Zeit fanden für eine richtige Halsbinde, eine Krawatte also. Und sehr schnell hatte ich gelernt wie man mit der Windsor-Handhabe eine Krawatte knüpft. Bemerkenswert, denn die Windsor Knüpftechnik ist wie bekannt etwas was die wenigsten Männer beherrschen.
Bei sowohl feierlichen als auch fröhlichen Anlässen, Anzügen und Gelegenheiten wurde eine Krawatte getragen, auch von uns: Burschen die gerade die Pubertät hinter sich und Studium und Wehrdienst vor sich hatten. Ein Auftreten ohne Krawatte in der Tanzstunde war verpönt und ausgeschlossen. Sonst in der Woche wurde die Krawatte zu Hause gelassen und sah man mich in einem sogenannten Schillerkragen.

Eine besondere Krawattenart ist die Fliege, laut meinem Duden auch Querbinder oder Schleife genannt. Die Gelegenheiten wobei ich eine solche Fliege getragen habe sind auf die Finger einer Hand zu zählen. Zuerst bei meinem 16. Geburtstag, wo die Familie es für richtig hielt, dass ich nebst einem neuen Anzug eine Fliege geschenkt bekam. Eine Fliege selber zu knüpfen ist schon eine Aufgabe für sich, aber glücklicherweise gab man mir eine vorgeknüpfte, denn die gab es auch. Ein zweites Mal das man mich mit Fliege sah, war als ich meinen Doktor bekam. An der betreffenden Universität war und ist es Sitte. Eine weiße Fliege auf einem (geliehenen) schwarzen Rock. Die dazu passende weiße Weste hatte ich schon.



Als wir, viel später, fünfundzwanzig Jahre verheiratet waren, kam meine Gattin mit der guten Idee für mich eine vielfarbige Weste mit passender Fliege anfertigen zu wollen. Stolz wie ein Pfauhahn trat ich auf dem Fest umher um mich mit den Gästen zu unterhalten. Alle sprachen ihre Bewunderung aus (für die Herstellerin und für den Träger) und bedauerten die Tatsache dass so etwas nur in fünfundzwanzig Jahren vorkam.




Zum Schluss das Glanzstück der Geschichte. Obwohl ich in den letzten Jahren nur selten eine Krawatte, geschweige denn eine Fliege, getragen habe, hatte ich mir in den vorhergehenden Jahren eine imposante Krawattensammlung angelegt. Von kleinen Teilen einzelner Krawatten hat meine Frau einen Fliegenquilt geschaffen den ich zum Geburtstag geschenkt bekam. Ein schöneres Geschenk ist undenkbar.


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Mittwoch, 28. Januar 2015
Bagatelle 251 - Selten rare Musikalitäten
Neuerlich erreichen mich einige Fragen welche die Musikzeitschrift Hall & Widerhall, abgekürzt H&W, betreffen. Sie wissen: es ist DIE Zeitschrift für passende und angepasste klassische Musik, seit einigen Jahren existierend, und sehr wohl imstande viele klassisch orientierte Leserinnen und Leser zweimonatlich zu begeistern. Einige Fragen deuten auf Mitleid oder Argwohn hin wie: Hall & Widerhall, gibt es die denn immer noch? Oder informative Bedenken, wenn man sich an mich wendet mit der Frage: wird das Amt des stellvertretenden Hauptredakteurs nach wie vor von Dr. Eberhard Fürchterlich bekleidet? Oder: ist die FAQ-Rubrik noch immer die Rettungsboje für all die ahnungslosen Klassiker welche sich in der non-pop Musikwelt nicht länger zurechtfinden? Wichtige Fragen, zweifelsohne, die eine deutliche wenn auch nicht für die Ewigkeit festlegende Antwort verdienen. Gehen Sie bitte mit mir der Reihe nach.

Ad 1. Sicherlich, Hall & Widerhall existiert noch und wie! Zwar wurden Mitte letzten Jahres Stimmen laut welche – wegen schwindenden Leserzahlen und dahinfliegende Finanzen - von einem Konkurs oder noch schlimmeres sprachen. In der Tat war an zwei Tagen (am 2. Und 3. August 2014) für musikalisch geschulte Ohren der Ruf ꞌAufhören!ꞌ zu hören. Nach einer Krisensitzung der Redaktion aber, wo echte, irreversible und richtige Entscheidungen getroffen wurden, hat sich das Notenblatt gewendet.
Man wurde sich über folgendes einig. Nicht mehr als 2345 zahlende Abonnenten, und ab den 1. September 2014 pro Ausgabe höchstens 76 Seiten mit maximal 12 einviertelseitige Anzeigen. Der Deutsche Bank-Vertreter verlor seinen Posten im Aufsichtsrat, weil die eindeutige Herkunft der Sponsorengelder nicht festgestellt werden konnte. Die Gehälter wurden auf ein richtig angemessenes level angehoben (monatlich um die 836,50 Euro netto - inklusive Mehrwertsteuer - für einen mittleren Redakteur). Hierbei muss man bedenken, dass dies alles erfolgte ohne dass die H&W-Belegschaft in Rage geriet oder sonst aufständisch wurde. Derjenige der in diesem Zusammenhang das Wort "Streik" gehört haben will, sollte sich schämen.

Anno Januar 2015 liegt H&W auf Kurs. Nach wie vor kann kein musikalischer Geist um die H&W umher; sie ist in der Musikmedienlandschaft mit Recht tonangebend und steht außer Frage (die FAQ-Rubrik ausgenommen). Auch die Börse hat günstig auf den neu eingeschlagenen Weg reagiert. Das alles sieht man dem berühmten Komponisten Willibald Glücklich an, dessen Bild die Frontseite der kommenden Februar-Ausgabe schmückt. (Und der offenbar jetzt schon übt, nebenbei gesagt, für seinen anstehenden Auftritt bei Günter Jauch.)



Ad 2. Der Herr Dr. E. Fürchterlich ist ziemlich unangefochten die Nummer Eins in der Redaktion. Nicht so sehr durch seine musikalischen Kenntnisse, sondern mehr wegen seiner unverkennbar unmusikalischen Machinationen und Machenschaften. Er besitzt die Gabe jede Zweifel an ihn auszuschließen: man mag ihn oder man mag ihn nicht. Seine Popularität hat sehr zugenommen seit er in der H&W dates möglich machte. Doch, Sie haben mich gut verstanden: Paare können sich jetzt über die H&W sowohl musikalisch als körperlich kennenlernen mittels Inserate, wo sie ihre Fähigkeiten darstellen. So entstand zum Beispiel die LAT-Relation zwischen der über den Grenzen bekannten Gamba-Spielerin Katharina Lauterbach und dem Bach-Kenner Klaus Wohlgemüt. Dieses nur als ein Beispiel aus vielen möglichen.

Ad 3. Die FAQ-Rubrik ist seit eh und je das Flaggschiff der H&W. Immer wieder berichten Leser(innen) dass sie beim Öffnen der neuen H&W zuerst Seite 45 aufschlagen um von dort aus von Leserfragen und Expertenantworten zu genießen. Man wundert sich wie weit die Skala der musikalischen Fragen reicht. Und jede Frage zählt gleich viel. So wird eine Frage über Beethovens Eroïca mit derselben Genauigkeit und Überzeugung beantwortet als eine Frage über das anscheinend schwankend weiche linker Bein von weiland Elvis Presley. Das erklärt wahrscheinlich die Popularität dieser Rubrik.
Übrigens wird manchmal auch über eine Expertenantwort weiter diskutiert. So war die Leserin Elfriede Glaswerk (geborene Hausmann) der Meinung, dass die Hauptbedeckung des Komponisten Georg-Friedrich Händel (H&W, September 2014) eine schief geratene Perücke sei. Der H&W-Redakteur Henk Groetjes (Jr.) meint bis auf den heutigen Tag, dass es sich hier um eine Schlafmütze handelt welche er benutzte beim Komponieren der örtlichen Wassermusik.
Urteilen Sie selbst. Inzwischen geht die Diskussion weiter und so auch H&W.


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