Montag, 24. März 2014
Bagatelle 220 - Plattschreiberei
Sprechen und schreiben wie einem der Schnabel gewachsen ist, so sagt man. Zu Hause sprechen wir unsere Muttersprache, das heisst in meinem Fall ein feines, schönes mundartiges Dialekt. In den Niederlanden gibt es außer zwei offizielle Sprachen, nämlich die Niederländische und das Friesische, zahllose regionale Dialektformen. Eigentlich hat fast jede Gegend und jedes Dorf ihre oder seine eigene Dialektsprache. Das örtliche Dialekt womit ich Ihnen, wenn Sie mal eingeladen oder ungeladen vorbeikommen, begrüße, hat etwas Niedersächsisches; daher können wir die Nachbarn aus dem Münster- und Emsland, oder die aus Osnabrück und Paderborn, sogar die Freunde aus Ostfriesland sehr wohl verstehen und uns mit denen mündlich oder schriftlich bestens unterhalten.

Ein Sprecher will gehört werden, ein Schreiber/Schriftsteller will gelesen werden. Beide wollen verstanden werden. Und das gerade ist für das Schreiben von Dialekttexten so eine Sache. Die korrekte Schreibweise der offiziellen Sprache ist schon schwierig genug. Die Orthographie mundartiger Wörter und Worte vergrößert die Schwierigkeit um einiges vieles. Denn die verschiedenen Dialekte enthalten so viele extra Klänge und Lauten welche – in geschriebener Form - alle von einem oder mehreren Schriftzeichen vertreten werden wollen.

Für den Teil der niederländischen Provinz Gelderland, wo ich die Ehre und das Vergnügen habe zu wohnen, die Gegende welche sich respective Achterhook und Liemers nennen, ist der WALD zuständig. WALD ist eine Abkürzung für: Wörterliste des Achterhooksen und Liemersen Dialektes. WALD enthält die Rechtschreibregel womit wir unsere Dialekttexte aufs Papier bringen. Die wichtigste (ungeschriebene) Regel lautet: liebe Dialektfreundinnen und –Freunde, lasst uns bitte unserere Mundart einheitlich aufschreiben, denn das vergrößert das Verstehen der Texte sehr. Wo kämen wir ja dahin, wenn jeder hingeht und eine eigene selbstfabrizierte Mundartrechtschreibregelung anwendet?



Jedes Jahr organisiert die WALD-Rechtschreibgruppe, der ich angehöre, ein Dialektrechtschreibwettbewerb. Aus allen Ecken in unserer Gegend kommen die Liebhaber der gesprochenen und geschriebenen Mundart an einem Abend in einem Saal zusammen um unter sich den diesjährigen Dialektrechtschreibmeister(in) auszumachen. Zwei Personen lesen – langsam, sorfältig und behutsam – das Diktat: einen Text in entweder das Achterhookse oder Liemerse Dialekt. Die Teilnehmer bemühen sich die gesprochenen Sätze, so fehlerfrei wie es nur geht, in Schriftzeichen umzuwandeln. Laut WALD-Rechtschreibregeln, das versteht sich.





An solch einem Dialektrechtschreibabend ist auch Platz für Geschichten und Lieder. Alles auf Platt. Es gibt sogar ein richtiges Dialektrechtschreiblied (Streektaaldicteelied) worin jeder aufgefordert wird das Dialekt zu sprechen und zu schreiben. Wenn möglich in der WALD-orthographie. Aber nicht auf biegen und brechen. Denn die Mundart soll bleiben was sie ist: eine Muttersprache die man gerne und liebevoll bewahrt ohne aufdringlich zu sein.

Am Ende wurden dem Publikum die Preiswinner vorgestellt. Sieger wurde diesmal ein junger Dialektliebhaber aus Grolle mit neun Fehlern. Eigentlich waren alle Teilnehmer Gewinner. Vor allem wo sie beim nach Hause gehen einen schönen Gedichtenband voller achterhookser/niedersächsischer Dialektpoesie geschenkt bekamen.


Nachschrift: Wenn Sie mögen, besuchen Sie die Internetadresse www.streektaaldictee.nl. Dort können Sie das Streektaaldicteelied hören und den diesjährigen Diktattext lesen.

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Solche Bestrebungen gibt es auch in unserem Sprachraum. Man kann seit einigen Jahren in Sprachkursen "schwizerdütsch" lernen und im allgemeinen Integrationsfieber ist es zu einem richtigen Hype gekommen (der sich vielleicht nächstens wieder abkühlen wird, aber das ist eine andere Geschichte). Ich selbst stehe diesen Sprachkursen eher skeptisch gegenüber, da das Charakteristische einer Mundart das Mündliche ist, was die lautliche Vielfalt ja erst ermöglicht hat. Sie haben den Begriff ja bereits erwähnt: Sprechen wie einem der Schnabel gewachsen ist. Schreiben - das geht in diesem Zusammenhang nicht so gut. Oder doch, bis vor der Durchsetzung der Standardsprache, wie die Schreibweise von Namen zum Beispiel zeigt. Basel hat viel in die Verschriftlichung seines hochallemannischen Dialekts gesteckt und Regeln entworfen, ob nun ein langes "i" mit zwei "yy" oder mit zwei "ii" geschrieben wird, um die Sprüche und Verse an den farbigen Laternen während der Fasnacht malen zu können. Aber wer weiss das schon, die Mundart kennt ja keine Schriftregeln. So wird aus der Mundart eine lokale Kunststandardsprache und schliesslich Folklore, denn gesprochen wird schon längst ein Mischmasch aus verschiedenen Dialekten und Einflüssen aus dem Deutschen und Englischen. Wie dem auch sei, man sollte nicht so pingelich sein, solange die Freude am Fabeln und Fabulieren die Nase vorn hat, soll es mir recht sein. Und falls Sie einmal gewinnen möchten, so drücke Ihnen gerne die Daumen.

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Noch mehr orthografisches
Lieber Herr pastiz, im großen und ganzen sind wir uns einig. Einiges möchte ich noch hinzufügen.
(1) Jede Rechtschreibreglung ist ein Katalog gemeinsamer Absprachen ohne gesetzlichem Charakter. Niemand wird verpflichtet sich schriftlich anders zu äussern als wie ihm der Schnabel gewachsen ist.
(2) Ich wiederhole was ich denke: ein einigermaßen einheitliche Orthographie vergrößert die Textverständlichkeit sehr. Damit ist sowohl Autor als Leser(in) geholfen.
(3) Wenn ein Dialekt angebracht ist, geht nichts über eine klangvolle, fein gesprochene Mundart. Die Umsetzung in Schriftzeichen ist immer eine schwierige Angelegenheit.
(4) Eine Sprache ist immer in Bewegung. Das gilt auch für Dialekte. Wir solten darum nicht trauern.
(5) Ich selber kann den Dialektrechtschreibwettbewerb niemals gewinnen. (Ich bin nämlich der Verfasser des diesjährigen Diktats und war es von Anfang an, so lange es den Wettbewerb gibt...)
Gruß, T.

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Im Gegensatz zu den Kursen, die hier den Leuten angeboten werden, hat der Wettbewerb wie Sie ihn pflegen, doch etwas Spielerisches und damit auch Unverbindliches. Bei uns ist dies mehr ein "Geschäft" oder eine (manches Mal etwas verbissene) Nostalgie, besonders während der erwähnten Fasnachtstage. Das scheint mir ein wichtiger Unterschied zu sein, denn Ihre Teilnehmer drücken ja nicht die Schulbank und nehmen vermeintlich Gesichertes mit nach Hause. Meines Wissens gibt es so etwas, was Sie pflegen hier nicht. Auch Literarisches in Dialektform ist eher selten, vielleicht Stücke auf der Volksbühne. Dass die Sprache immer in Bewegung ist - es muss so sein. Ich glaube nicht, etwas zu verlieren, wenn Begriffe verschwinden und trauere nichts nach (vielleicht manchmal, wenn sich Falsches als richtig etabliert, aber das war auch in früheren Jahrhunderten schon so). Immerhin hat das Deutsche durch das Einbinden von Fremdwörtern u.a. auch das hübsche Wort "Nase" bekommen.

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P.S. Ich habe grade noch schnell auf die Seite geschaut, die Sie angegeben haben und war ganz entzückt über die Wörter, von deren Bedeutung ich zwar keine Ahnung habe, die aber förmlich auf der Zunge vergehen, wie z.B. "rummikuppe " oder auch "geiselkeurken". Ganz toll!

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