Donnerstag, 24. Dezember 2009
Bagatelle XXXIII - Sixtinische Lümmel
Eine (vor)weihnachtliche Geschichte die man übrigens das ganze Jahr über lesen kann. Auch eine Geschichte mit der ich meinen Leserinnen und Leser frohe Festtage und ein gutes und glückliches neues Jahr wünsche, was man ebenfalls guten Gewissens das ganze Jahr tun kann.

Wie oft habe ich nicht mit Staunen und Ehrfurcht Raffaels berühmteste Madonna gesehen! Zwar nur als Reproduktion, aber immerhin. Schon als sehr kleiner Junge, auch wenn der noch gar nicht in einem Buch lesen konnte welche viele Wissenswertigkeiten man über dieses Gemälde erzählen kann. Gewiss, Verben die man überhaupt zuerst mit einem Gemälde in Verbindung bringt, sind sehen, beobachten, genießen, staunen, bewundern. Eventuell, aber niemals bei Raffael, sich ekeln. Das Wissen kommt später. Manchmal ist es sogar besser nichts zu wissen. Allein das Sehen genügt vollends und alles andere stört. (Sagt der Philosoph der auch manchmal auf gute Gedanken kommt.)



Was wir hier sehen, ist in der Tat Raffaels berühmte Madonna, dieses unübertroffen Meisterstück aus der Semper Galerie in Dresden. (Raffael, mit Nachnamen Santi, und von uns mit nur éinem f geschrieben.) Als ich nicht nur sehen, sondern auch lesen konnte, las ich dass die Madonna einer Römischen Bäckerstochter ähnelt die seine (Raffaels) Geliebte war. Auch dass das Gesicht des heiligen Sixtus, den wir links sehen, wenn wir gut schauen und unseren Augen trauen können, das Antlitz des Auftraggebers, des Papstes Julius II, hat. Wie soll ich das verstehen? Personenwerbung in der Renaissance, das wird es gewesen sein. Der Papst offeriert zehntausend italienische Währung (Goldmünzen oder so etwas) und als Gegenleistung bekommt Sixtus sein (Juliussens) Gesicht.

Er gibt noch mehr erstaunliches. Sehen Sie zum Beispiel dass die Madonna mit dem tatsächlich etwas groß geratenen Kind von Wolken getragen wird? Und sehen Sie nun auch, dass es gar keine Wolken sind, sondern Engel? Der Heilige Sixtus mit dem Gesichtszügen des Papstes Julius zeigt mit seiner rechten Hand auf uns. Seht ihr alle dass diese rechte Hand nicht weniger als sechs Finger hat? Sonderbar allemal!

Es geschah zu dieser Zeit (Weihnachten) dass ich als kleiner Bub´ auf dem Fahrrad die Straßen unseres Dorfes gefährlich machte. Eines Abends traf es einem Fabrikarbeiter der von der Arbeit kam und der von mir höchstpersönlich angefahren wurde. “Du Lümmel!“ schrie der Betroffene, “Pass doch auf!“

Von diesem Tag an fürchte ich mich sehr vor dem Wort ’Lümmel’. Ein Lümmel scheint ein Verbrecher, ein Vagabund, ein Landstreicher und ein Schurke zu sein. Aber beim richtigen Nachhaken bescheinigt man einem richtigen Lümmel weit sympathischere Eigenschaften. Es ist, so will es der Volksmund, ein lieber Faulenzer alias Lebemann, ein angenehmer Müßiggänger und ein fröhlicher Weltenbummler. Einer der das Nichtstun zur Kunst verholfen hat. (Und gerade dámit hat er meine Sympathie erworben.) Was machen Lümmel die sich die Zeit totschlagen? Sie liegen stundenlang auf dem Rücken im Gras und schauen nach den sich bewegenden Wolken. Oder sie hängen ruhig über eine Balustrade, eine Brustlehne, und betrachten ihre Engelskollegen die sich schwer tun mit dem Tragen der Heiligen Madonna mit dem Kinde.



Das hier sind sie: zwei lümmelnde, mollige Engel von Raffael. Gewiss, wenn sie die échten Lümmel suchen: hier sind sie. Sie lümmeln auf einem der berühmtesten Renaissance Gemälden aus dem Quattrocento. Was das 14. Jahrhundert bedeutet, aber dás interessiert die Lümmel am wenigsten.
Nicht nur auf Gemälden treffen wir die Lümmel. Auch auf weihnachtlichen Hand- und Taschentüchern, auf Lampenschirmen und Schokoladendosen, auf Kaffeetassen und Untertassen, auf Valentinskarten und T/Shirts. Fragen Sie mal nach beim Museumsladen im Untergeschoss. Es macht einem échten Lümmel nichts aus.

Mit Dank an dieser Quelle: Sebastian Turner: Himmlisch lümmeln.
Welt am Sonntag, 51, 23-12-2007.

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