Samstag, 16. Juni 2012
Bagatelle 164 - Geheimschrift
Wir lieben alle die Geheimniskrämerei, geben wir's doch zu. Das fing schon an in der Grundschule wo wir uns gegenseitig scheinbar unlesbare Briefe schrieben. Manchmal mit einer Tinte die erst nach einer Spezialbehandlung lesbar wurde, manchmal in einer Sprache welche für Nichteingeweihte völlig unverständlich war. Ein Brief zum Beispiel in lauter Zahlen und Ziffern, wobei man eine Art Geheimniskode brauchte um alles in leserlicher Sprache dekodieren zu können.



Was Sie hier oben sehen mag Ihnen vorkommen als sei es so eine Art Geheimschrift: Zahlen in einer ziemlich komischen Notenpartitur, mit Haken und Ösen so zu sehen. Der aus fünf Linien bestehende Notenbalken kommt uns bekannt vor, ebenso wie die Noten selber und die Maßeinteilung. Aber, bitte schön, was soll die Zahl 982 im ersten Takt? Wichtigtuerei, oder wie?

Nein, meine lieben unmusikalischen Bagatellenleserinnen und -Leser, das hier ist ein wunderbares, klangvolles musikalisches Meisterwerk. Es ist ein Rheinländer, und zwar der von Basel über Köln beziehungsweise Düsseldorf bis zu Kleve berühmte Brummbär Rheinländer. (Damit wird der unwiderlegbare Beweis geliefert daß im Rheinland von eh und je Braun- und Schwarzbären ihr Zuhause hatten.)



Das habe ich mir gedacht: jetzt fordern Sie von mir daß ich Ihnen die Lösung des Geheimkodes verrate. Ich werde mich aber hüten. Nur zwei kleine Hinweisen gebe ich Ihnen mit auf dem Weg zur endgültigen Aufklärung.

(1) In der Tat: es ist eine Art Notenschrift und zwar eine Griffschrift. Die Zahlen und Ziffern bei den Noten zeigen Ihnen welche Knöpfe Sie auf einem bestimmten Musikinstrument berühren sollen damit eine ordentliche rheinländische Melodie zu hören ist.
(2) Das Musikinstrument für das diese Griffschrift entworfen ist, sehen Sie hier unten. Die Finger beider Hände, sowohl die linke für die Begleitstimmen als die rechte für die Hauptmelodie, können, wenn Sie mögen, Knöpfe (ein Knopf oder auch einige zusammen) eindrücken und wieder loslassen. Ein Blasebalgen sorgt für die erforderliche Luftströmungen wie bei einer Mundharmonika. Die gewünschten Töne erreichen Sie, wenn Sie die den korrekten Knopf bei der angegebenen Ziffer erkennen und drücken. Man kann Ihnen nur raten: üben und nochmals üben! Und wenn die Übung eine Meisterin oder einen Meister aus Ihnen gemacht hat, wird das rheinische Gebromm des Bären unglaublich schön innerhalb ihren vier Wänden zu hören sein!



Nachklang: wie ich das alles weiß? Ich habe mir vor Jahren das Spielen auf solch einem Instrument versucht eigen zu machen. Das ist einigermaßen gelungen. Und wenn Sie einmal bei uns vorbeikommen, werde ich es Ihnen beweisen.

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Freitag, 17. Juni 2011
Bagatelle 110 - Marschmusik und anderes Malheur
tie-de-lie tom
tie-de-lie tom
tie-de-lie tom tom tom
…………..

Kennen Sie diese Musik? Natürlich, antworten Sie, dies ist unverkennbar der berühmte Radetzky-Marsch, von Johann Strauß Vater persönlich komponiert. Jedes Wiener Neujahrskonzert wird mit dieser Marschmusik beendet. Und man freut sich noch mehr, wenn der Dirigent Sir Simon Rattle sich umdreht und das hochgeehrte Publikum beim klatschen dirigierend unterstützt. Übrigens, wie sehr ich dieses rhythmische Mitgeklatsche am Ende eines Konzertes hasse! Aber das nur nebenbei.



Marschmusik kenne ich aus meiner Jugendzeit als Mitglied des örtlichen Musikvereins. Jawohl, ich schäme mich dessen nicht: ich spielte in der Dorfskapelle zuerst die Bügel (eine Art Trompete), entlockte danach hustende Töne aus dem Tenorsaxophon und endete schließlich bei der zweiten Tuba. Erzählen Sie mir bitte nicht wie und was Marschmusik ist, ich weiß Bescheid, auch wenn es schon so lange her ist. Die spätere Abscheu vor der Marschmusik kam beim nicht ganz freiwilligen Eintritt in die Landesarmee, wo man mich lehrte, daß das Marschieren besser verläuft unter Begleitung von Marschmusik im 4/4-tel Takt.

Jetzt noch weiß ich wie die Struktur eines Marsches aussieht. Zuerst, mit einigem Trommenwirbel, ein intro. Das dient dazu um selber wach zu werden. Dann folgt das erste Thema, das meistens ein fröhliches Gefühl und oft auch ein makaber-patriotisches Empfinden repräsentiert. Das erste Thema hören wir einige Male hinter einander: sonst ist der Marsch zu schnell am Ende. Dem ersten folgt ein zweites Thema. Oft kontrastierend, so daß man erwacht und verwundert aufmerkt: Wie reizend! In moll und dennoch trostreich! Nach diesen zwei Themata folgt ein Übergang in eine andere Tonart (von C in F meistens, oder von Bes in Es) und gespielt wird nun ein trio. Das sind keine drei Leute die sich absondern und alleine weiter spielen, aber so nennt sich dieser Marschteil. Am Ende steht da capo geschrieben. Und alle Musiker beginnen das trio heiter von vorne, bis sie fine erreichen. Und dann ist wirklich Schluß.

Mir scheint, daß der Ursprung der Marschmusik irgendwo in Europa liegt. Aber sicher bin ich mir nicht. Überall jedoch hört man sie. Es gibt der französischer Marsch (leicht frivol, ziemlich unseriös,) der anglo-sächsischer Marsch mit viel Pomp und Prahl, mit Ausläufern bis in den USA (John Philip Sousa) und der Luxemburgische Marsch (von Echternach: zwei Schritte nach vorne, einer zurück).

Das herausragende Beispiel eines richtigen, stattlichen, altmodischen Marsches ist in Deutschland (vor allem Preußen) und den Alpenländern zu hören. Feste auf den Beinen, dröhnend-stöhnend und sichtbar entschlossen zusammen und gesund am Ende zu geraten spielt der städtische Musikchor "Preußens Gloria". Wobei die Zuhörer am Straßenrand sich mit der einen Hand die Ohren steif halten wegen des Lärmes und mit der anderen Hand rhythmisch mitklatschen. Vorne weg, mit dem Rücken zur Musike, der Dirigent mit seinem Taktstock. Ein herrliches tableau vivant!

Eines der schönsten Märsche zweifelsfrei trägt den Namen "Alte Kameraden". Zwei Freunde, die sich in Jahren nicht getroffen haben, begegnen sich unerwartet. Man hört gleichsam wie die beiden sich freuen. Sosehr, daß sie, Arm in Arm, anfangen zu marschieren. Links, zwei, drei vier; rechts, zwei, drei, vier.

Auf dem Bild hier unten sieht man das berühmte Niederländische Bläser Ensemble aus früheren Jahren (heute alle alte Kameraden) das Märsche alter Meister spielt. Für diese Gelegenheit gehüllt in alten Gewändern und Rauch.

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Sonntag, 26. September 2010
Bagatelle LXXIII - Fülle in Hülle
Manche, denen diese Worte unter die geehrten Augen kommen, werden vermuten, daß diese Bagatelle über die Vollheit des Lebens (eine imposante Leberwurst, dickleibiger Obesitas, zweihundert Anwesende wo nur 201 gerade hineinpassen, eine überlaufende Badewanne) oder so etwas ähnliches handelt. Diese manche liegen ziemlich falsch.

Mir geht es in diesem Beitrag um Formen des Umwandelns von abstrakt bis konkret. Um das verbinden von Form und Inhalt. Um die Verpackung und das verpackte Innere. Die unsagbare Schönheit M. Dietrichs Beine zum Beispiel (wovon ein berühmter holländischer Schriftsteller einmal gesagt hat, daß seine Ehefrau himmelsglücklich wäre, wenn sie nur eins davon besäße,) Marlenes Beine also in Seidenstrümpfen. So etwas. Es betrifft die Äußerlichkeit und das Innenleben, die Bedeckung und das Bedeckte, die Kleidung und alles schöne Verborgene darunter, die Hülle -im meist wörtlichen Sinne- und was sie beinhaltet.

Früher, und wie ich mir habe sagen lassen, auch heute wieder, gibt es Langspielplatten zu kaufen mit den schönsten musikalischen Äußerungen, je nach ihrem Geschmack. Ein Babsches Lied, Duke Ellington in seiner Gloriezeit, Bach (JS) auf der Domorgel zu Raunen-an-der-Ruhr, ACDC. Wie es Euch gefällt, as you like it.

In der Vergangenheit wovon ich jetzt rede, haben wir oft second-hand LP’s, Langspielplatten aus zweiter Hand, gekauft. In ziemlich obskuren Läden, wo die Dunkelheit die Kratzer auf der LP-Oberfläche verbarg. Für wenig Geld eine komplette Oper. Eine Beethoven-Kassette mit sämtlichen Streichquartetten. Außer das eine, Opus 234 nr. 6, in Es-Dur, was man erst zu Hause bemerkte.

Manchmal war nur die Platte da, während die beipassende Hülle fehlte. Vielleicht, so dachte man, hat sie, die Hülle, sich einer anderen LP erbarmet, welche noch viel schlimmer unter ihre Nacktheit zu leiden hatte. Aber kein Grund zur Aufregung und Panik: wir setzten uns hin und fingen an selber eine Plattenhülle zu entwerfen. Gezeichnet auf Freude verbreitendem Karton, und nachher kunstvoll zusammen gefaltet, bekam die Musik einen neuen Schutz vor den Qualen der Gegenwart, wie Kratzer, Spucke, Schmutz und Staub.



So zum Beispiel bekam die Verdi-Oper Il Trovatore eine neue Hülle: schwarz auf weiß: die vier Hauptpersonen. Gezeichnet von meinem künstlerisch stark veranlagten jüngeren Bruder der sich auch verantwortlich weiß für das zweite Beispiel in dieser Reihe.
Umschlungen durch fabelhaft wunderbare schwarz-weiß Blüten singt innen die weltberühmte Sopranistin Elly Ameling eine Händel-Aria und anderseits von Johann Sebastian Bach: Non sa che sia dolore (BWV 209). In Hülle und Fülle: doppelt schön!

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Montag, 15. März 2010
Bagatelle XLVII - Flügellahm
Ein Vogel, wie zum Beispiel der Storch, hat Flügel und Herr Lahm ist ein (guter) deutscher, rechtsverteidigender Fußballspieler. Nein, so geht’s nicht: ich bringe Sie auf einen völlig falschen Pfad. Deshalb fange ich von vorne an.

Ja, wir haben zu Hause einen Flügel. Ein Klavier also das nicht gerade und aufrechtstehend Musik verbreitet wenn man die Tasten berührt. Unser Flügel liegt geruhsam mit seinem Klangboden samt seinen Saitenbündel waagerecht auf drei standhaften Füßen, wie es einem richtigen Flügel passt. Wenn ich eine meiner Lieblingstasten berühre, schlägt ein mit Filz bezogenes Hämmerchen von oben eine, meistens aber zwei oder drei Saiten an. Wonach ein köstliches Es-Dur den Raum füllt.



Den Flügel, Bauort und -jahr: Wien 1880, habe ich vor Jahren für die Summe van 25 Gulden gekauft. Nicht zu glauben, aber dennoch wirklich wahr. Wie es dazu kam, erzähl’ ich Ihnen ein anderes Mal. Jetzt ist aber eines der Makel an der Reihe, womit unser Flügel von Anfang an zu kämpfen hatte. Ich meine das Fehlen eines der drei Drehfüße.

Der Hut der hat drei Ecken und – wie schon gesagt – drei Füße hat ein Flügel. Vorne, bei den Tastenreihen zwei, und einen ganz hinten, dort wo der Klangboden aufhört. Es sind schwere kupferne Rädchen, montiert an den strammen, hölzernen, schön gedrehten Flügelbeinen. Die Rädchen erlauben den Transport des Instruments durch den Raum und zwischen den Räumlichkeiten des Hauses, insofern sie auf derselben Ebene liegen. Tragen kann man den Flügel kaum, wenn mit vier Mannsleuten, und anerkennend dass man willens ist bis zum Lebensende mit Rückenschmerzen zu leben. Statt einen Drehfuß bekam eins der drei Flügelbeine vor mir einen Holzklotz zum stehen. Aber immer habe gesucht nach Wiedergutmachung: auf Flohmärkten, wo nicht überall. Nirgendwo ein drehender Flügelfuß zu finden.



Bis ich einmal in Wien, in einer Kongresspause, nach einer Fahrt im Praterrad, auf der dortigen Trödelmarkt einen Satz von vier Flügeldrehfüßen fand, den mir die Frau des ungarischen Händlers für einen Appel und ein Ei verkaufte. Eigentlich – es war ein Vierersatz – waren sie gemeint für ein aufrichtiges, stehendes Klavier, aber sie waren genau meine Größe. Eins von vieren hat jetzt unseren alten Flügel von dem Holzklotz befreit. Wenn wir wollten, könnten wir ihn wieder in die Ecke schieben. Aber das ist wohl das Letzte.

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Freitag, 26. Februar 2010
Bagatelle XLIV - Erinnerung
Vielleicht sind Sie so einer, vielleicht gar so eine, wie ich der/die gerne von sehr besonderen Anlässen und Begebenheiten eine bleibende Erinnerung hat. Ein Ferienbild das an unglaublichen Sonnenuntergängen erinnert, einen Auftrag des Autors in einem gerade gekauften Buch. Das Programm eines Klavierabends irgendwo im Urwald. Solche Sachen. Und es geschieht nicht selten, dass ich so eine teure Erinnerung nach zwanzig Jahren irgendwo in irgendwelchen Schrankecken zurückfinde und mich darüber enorm freuen kann.

Es dauert noch einige Zeit, vom heutigen Tag aus gerechnet ausgerechnet sieben Monate, dass die deutsche (aber auch die internationale) klassische Musikwelt sich an den Geburtstag eines ihrer größten Sängers erinnert. Fritz Wunderlich, geboren 1930 hätte am kommenden 26.9. seinen achtzigsten Geburtstag feiern können, wenn er nicht schon am 17.9.1966 gestorben wäre. Sie alle die mir bis hier in dieser Bagatelle begleiten, wissen wieso und warum. Er starb nach einem Unfall, mitten im Leben, auf dem Höhepunkt seines Könnens. Keine Frage, dass dieser Mozart-Operntenor und Schubert-Sänger par excellence es verdient dass man seiner gedenkt und sich an ihn erinnert.

Die Plattenfirmas (wie ich sie noch immer nenne) DGG, Decca und ECM haben jetzt in Klassik Akzente eine Aktion gestartet um die Zeit bis zum Jahrestag in September zu benützen, indem wir alle aufgefordert werden zu suchen nach scanbare (sic!) und druckbare Erinnerungen an Fritz Wunderlich. Ein Programm mit einem Autogramm des Sängers, signierte Fotos, noch besser: eine Photographie auf der der große Sänger zusammen mit Ihnen zu sehen ist, eine Plattenhülle (Plattencover sagt die DGG), derartige Erinnerungen. Wenn Sie, so wie ich, nicht über solche Schätze verfügen, was die DGG verhüte, können Sie auch einen Text einsenden, worin ihre Erfahrungen mit Fritz Wunderlichs Sangkunst geschildert werden. Zum Beispiel eine Beschreibung dieser unsagbaren Kälte welche Sie vor zwölf Jahren beim zuhören eines Winterreise-Liedes empfanden und die Sie bis heute nicht losgeworden sind.

Nichts gegen solch eine Aktion. Wenig gegen die Art und Weise mit der Plattenfirmas und verwandte Gesellschaften vom fiktiven 80. Jahrestag eines verstorbenen, großen deutschen Sängers profitieren. Aber, frag ich vorsichtig, weil ich weiß wie empfindsam einige auf mein Steckenpferd reagieren, warum wohl steht diese ganze Aktion unter dem Titel und Betreffzeile Remember Fritz Wunderlich?

Meines Wissens hat Fritz Wunderlich nichts Englisches und wenn dann sehr wenig auf Englisch gesungen. Er hat sehr wohl Haydns Schottische Lieder gesungen und zwar auf Deutsch und wunderbar wie es einem Wunderlich passt. Warum, frag ich mich, dieses unnötige Mitreiten auf einer sprachlichen Englischwelle?

Gibt es denn nichts wichtigeres um sich Sorgen zu machen? so werden einige unter Ihnen mich fragen. Und, werden diese fortfahren, was Sie anschneiden, ist doch höchstens eine Bagatelle? Dann werde ich antworten: gerade deswegen.

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Mittwoch, 7. Oktober 2009
Bagatelle XXI - Goodbye Bach
Allmählich erfahren wir hier im Ausland von den Normalitäten in der früheren DDR. Die meisten schroffen Unterschiede waren uns schon bekannt, aber jetzt hören wir auch wie sich drüben das übliche, normale Alltagsleben abspielte. So erzählt man uns, dass in Leipzig und weite Umgebung das Interesse für die menschliche Physiologie, und insbesondere für die Physiognomie, groß ist. Man interessiere sich sehr für die plastische Chirurgie und alle andere Möglichkeiten den menschlichen Körper im positiven Sinne zu beeinflussen.

So ist es kein Wunder dass das Auge von Dr. Rosemarie Wassehichhier auf den Eisenacher Ziegelleger Josef Kubitschka traf. Dr. Rosemarie ist von Hause aus Anatompathologe. Sie weiß alles vom menschlichen Gesicht, kennt alle Gesichtsknochen, Gesichtsmuskeln und Gesichtsnerven bei ihren Namen. Ihr fällt auf das der Ziegelleger Josef sich dem großen Eisenacher Komponisten Johann Sebastian Bach sehr ähnelt. Unglaublich, wie sich die Bilder gleichen!



Hier oben sehen wir Josef, den Ziegelleger. Das Bild ist aus den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Auffallend ist der damals schon moderne, westliche Haarschnitt, auch jetzt noch, zwanzig Jahre nach der Wende. Daraus geht mal wieder hervor wie fortschrittlich die Ziegelleger drüben waren. Dr. Rosemarie bittet Josef um Erlaubnis von seinem noch lebenden Gesicht eine Todesmaske anzufertigen: sie ist Experte auf diesem Gebiet. So gesagt und getan.



Und sobald wir Josef von einer Bachschen Perücke versehen, sehen wir den großen Musiker in lebendigen Leibe vor uns. So hat er denn ausgesehen. Bilder auf Leinwand hatten wir schon. Jetzt erscheint und der große Komponist Bach dreidimensional!



Hunderte haben die Ausstellung am forensischen Institut der Eisenacher Universität besucht, wo sie sich staunend um Bach versammelten. Manche Besucher waren außer sich und sangen spontan: Jauchzet, frohlocket! Andere sagten schmunzelnd: Aber, ist das nicht Josef der Ziegelleger? Sind wir alle blind oder was? Sie fingen an zu weinen und sangen betrübt: Wir setzen uns mit Tränen nieder.
Ich selber der alles sah, fühlte ihren Schmerz und summte leise: Blute nur du liebes Herz. Worauf alle sich in dem Schlusschor vereinigten: Ruhe sanfte, sanfte Ruh’.

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Dienstag, 4. August 2009
Bagatelle IX - Das Gewand der Diva
Neulich stand in der NRC, eine niederländische Zeitschrift, vergleichbar mit der FAZ oder dem Spiegel, ein Bericht über die Geistesgegenwart einer Opernsängerin aus Düsseldorf, die so klug war beim Eintreten eines Einbrechers in ihr Haus anzufangen unbeschreiblich laut zu singen. Worauf der Einbrecher, der alles, aber nicht só etwas in den Gemächern einer wohlaussehenden und wohlklingenden Dame erwartete, das Haus in Eile entfloh.

Die Situation ist klar: ein Einbrecher verschafft sich Eintritt in ein Haus und die Bewohnerin verjagt ihn mit ihrer lauten Stimme. So weit, so gut. Die Frage die mich bedrückt, ist aber nicht beantwortet: wás bitte sang die Diva, so dass der Schurke sofort verschwand? Eine Bach-Kantate, ein rheinisches Lied von Robert Schumann, einen Abba-Song oder eine Passage aus dem Ring der Wagnerschen Nibelungen? Oder, was wir tun würden, das berühmte Lied singen vom Lindenbaum der am Brunnen vor dem Tore stand?

Ach, sagte die Düsseldorfer Operndiva auf Fragen frecher Journalisten, ich bin gewöhnt so laut zu singen dass das Publikum meine Stimme hört undank des Gefiedel und Gebläses der hundert Leute vom Opernorchester. Sie sitzen zwar im Orchestergraben, aber machen Lärm so laut und gut sie können.

Die Frage nach dem Repertoire wäre also abgehakt. Das heißt: für immer und ewig ungelöst. Höchstwahrscheinlich ein Schrei von Elsa von Brabant. Aber das wirklich Interessante an der Geschichte kommt jetzt. In der genannten Zeitschrift stand neben dem Bericht eine köstliche Zeichnung eines NRC-Meisters. (Bitte, sehen Sie das erste Bild hier drunten.) Kein Wunder, denkt mein künstlerisch veranlagter jüngerer Bruder, der mir die Geschichte erzählt, dass der Einbrecher bei dieser Ansicht verschwindet, aber die Robe, die kenne ich doch?

Sein ausgezeichnetes Gedächtnis hilft ihm. Er weiß, dass die berühmteste aller Diven, Maria Callas, einst so ein Gewand getragen hat. Welche Aufführung sei dahingestellt, welche Rolle oder welche Aria in welchem Jahr ist sogar ihm unbekannt. Aber das Kleid an sich kennt er aus tausenden. In seiner umfassenden Dokumentation über Maria Callas – er ist ein richtiger und wahrer Callas-Experte – findet er das Bild. Maria Menighini-Callas, so hiess die Dame damals, posierend vor ihren preisgekrönten Schallplatten und einer Kopie eines Goya-Bildes.

Ist es Zufall? Dieses rot und weiß? Kennt der Zeichner diese Robe? Weiß der Künster dass Maria Callas mitte vorigen Jahrhunderts sowohl mit ihrer Stimme als auch mit ihrer Garderobe Welterfolge feierte? Es muss wohl so sein.



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Donnerstag, 23. Juli 2009
Bagatelle VIII - Bild- und Tonfrage
Das rätselhafte zeigt sich schon in dem Titel dieser Bagatelle. Es muss etwas mit hören und sehen zu tun haben. Das Bildliche verliert einigermaßen sein rätselhaftes wenn ich Ihnen hier drunten ein selbstgemachtes Foto zeige.



Manche von Ihnen mögen sofort erkennen, dass es sich hier um ein Gerät handelt das – jahrgenau und innerhalb einiger Sekunden – das Alter eines Stückes Eichenrinde bestimmen kann. Sie legen das Instrument auf die Rinde, geben Ihr persönliches und streng vertrauliches password ein (in diesem Falle ein passnumber) und plötzlich ertönt eine Frauenstimme die laut und deutlich sagt: 18. Jahrhundert, und zwar 1786.

Wir brauchen die meisten von Ihnen nicht zu sagen dass die manchen von hier oben völlig falsch liegen in ihren sonderbaren Überlegungen was das denn wohl sein könnte, dieses Bild. Natürlich ist es kein Eichenrindesalterbestimmungsapparat. Auch diejenigen, die meinen es sei ein Dekodierapparat aus dem Ersten Weltkrieg, womit man imstande war wichtige Nachrichten zu entschlüsseln, haben unrecht. Sie müssten besser auf das Tonale im Titel achten. Das Bild hat etwas mit Tönen und Musik zu tun, so viel ist sicher.

Schliessen Sie bitte die Augen und denken Sie genau eine Minute in völliger Konzentration über das Bild nach. Bilden Sie sich ein, dass Sie weit, weit weg fröhliche, etwas volkstümliche Musik hören, wie der Schäfer auf dem anderen, berühmten Bild, der von den Kirchglocken in der Ferne aus das Angelus hört. Strengen Sie sich an so gut Sie können, und siehe und höre da! Sie erkennen plötzlich das Bildliche und Tonale auf dem Bild: es ist eine Detailaufnahme eines alten Musikinstrumentes: eine kleine Knopfharmonica. Besser gesagt, eine Bandonika, gebaut von Lange & Uhlig in Chemnitz, anfang des vorigen Jahrhunderts.
Die Zahlen und Ziffern sind Anweisungen für den Musiker, so dass der weiß, welchen Knopf an welcher Stelle in der Melodie er zu bedienen hat. Es gibt bei dieser Musik und bei diesem Instrument denn auch kein normales Notenschrift. Man behilft sich mit einer speziellen Zahlenschrift, aber man kommt gut mit ihr aus.

Zuletzt noch eine weitere Überraschung. Wenn Sie gut hinschauen, und wenn nötig eine Lupe zur Hand nehmen, sehen Sie auf den verschiedenen perlmutternen Knöpfen ein Fotostativ und die Hände des Autors, und sogar den Autor selber, zugleich der Bespieler dieses Instrumentes, wie er sein altes Instrument fotografiert. Sehen Sie? Und hören Sie seine Musik auch?

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