Freitag, 12. Dezember 2014
Bagatelle 246 - Künstlich kitschig
Es ist nicht so, dass die Suche nach der etymologischen Herkunft einiger Wörter mich aufregen oder mich zu nächtlicher Schlaflosigkeit zwingen, aber manchmal, beim Lesen irgendwas Interessantes, interessiert mich doch die ursprüngliche Bedeutung eines Wortes das mir schon bekannt ist und dessen heutiger Bedeutung ich vermutete zu kennen. (Tausend Entschuldigungen für diesen langen, mühsamen Öffnungssatz, aber als ich angefangen hatte ihn zu schreiben, konnte ich nicht mehr aufhören.)

Ein einfaches Beispiel mag einiges verdeutlichen. "Alles kits?" fragte mich neulich ein alter Freund in unserer (niederländischen) Muttersprache, als wir uns nach Jahren wieder trafen. Und das bedeutet, wie mein Freund, ich und Sie vielleicht auch wissen so etwas wie: "Alles in Ordnung? Alles oké?"
Wir verstehen uns; wir verstehen die Bedeutung, aber woher stammt das Wort ꞌkitsꞌ, was sind seine Wurzeln? Im Falle ꞌkitsꞌ weiß man es nicht genau. Einige behaupten das die Frage "Alles kits?" seinen Ursprung finde im jiddischen "Alles gietes?", und das wiederum stamme vom deutschen "Alles gut?"

Alles gut und schön, es besteht aber dennoch einen Unterschied zwischen ꞌkitsꞌ und ꞌkitschꞌ (Und auch zwischen ꞌkitsꞌ und ꞌkidsꞌ, nun ist dás wieder etwas anderes.)

Eigentlich wollte ich mich mit Ihnen unterhalten über die Frage nach dem Unterschied zwischen Kunst und Kitsch. Kunst und Kitsch sind quasi Gegenpole. Wie Leben und Tod, oder Himmel und Hölle. Wo liegt aber der Unterschied? Was wird als die feine Kunst betrachtet und was als sentimentale Unsitte?
Viele hierzulande sehen sich mittwochabends die Sendung ꞌZwischen Kunst und Kitschꞌ an, wie bei Ihnen die Serie ꞌKunst und Krempelꞌ oder die ꞌAntique Roadshowꞌ bei der BBC. Da erscheint eine üppig barocke französische Uhr aus dem 19. Jahrhundert, getragen von einer Dame die tausende Ängste verspürt dass sie ihr Kleinod fallen lässt. ꞌDas hier nähert sich doch die Grenzen zwischen Kunst und Kitschꞌ, sagt der Sachverständige Dr. Otto-Johann Rechthaber. Und desto mehr Kitsch, desto weniger Kunst, desto niedriger der Wert. Große Kunst lässt sich teuer bezahlen, großer Kitsch eben weniger. So hat alles seinen Preis.

Das niederländische Wort ꞌkitschꞌ stammt vom deutschen ꞌKitschꞌ, das zum ersten Male um 1870 in Münchener Künstlerkreisen gehört werden konnte. So hab‘ ich mir sagen lassen. Sagen wir’s offen und unverhüllt: Kitsch war Scheiße. Das abgeleitete Verbum ꞌkitschenꞌ bedeutete schlicht und einfach: die Scheiße zusammen fegen.
Auf die Kunst angewandt wurde der Begriff ꞌKitschꞌ zuerst auf die Malerei gelegt. Später dann folgten andere Kunstformen so wie auch die Poesie, die Filmkunst und sogar die Musik. In meiner Morgenzeitung lese ich, dass manche die tausendfach geliebten musikalischen Ausführungen des berühmten Geigers André Rieu, samt seines Orchesters, als Kitsch betrachten. (Unter uns: ich finde das Gefiedel auch ein wenig kitschig, aber ich gönne jedem gerne sein Plaizierchen. Und daneben: wer bin ich um darüber zu urteilen?) Eine neue Bedeutung findet der Kitschbegriff in dem Wort ꞌunecht'. Mein Morgenblatt könnte schreiben: "Millionen Zuschauer sahen, dass der junge Sänger Boffo beim Fernsehsongcontest The Voice of NRW total nicht verstand was und worüber er sang. Das war richtig Kitsch."

Wenig Kunst in meinem Haus und auch wenig Kitsch. Es ist nicht so, dass ich die Kunst liebe und dem Kitsch nur eine Bleibe lasse. Nein, die zwei ziemlich kitschigen Hündlein auf dem Kamin sind mir vielleicht noch lieber als die (übrigens sehr gut gelungene) künstlerische Winterlandschaft.





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Mittwoch, 3. Dezember 2014
Bagatelle 245 - Launische Runde
In meiner Lieblingsstadt, Sie wissen: Launen an der Luhre, ist allerhand los. Nein, es ist noch nicht so weit gekommen, was einige unzufriedene Launener behaupten, dass das Weltgeschehen ganz an Launen vorbeigeht, im Gegenteil. So kann man auch nicht sagen, dass diese augenscheinlich eingeschlafene Kleinstadt sich mit den Anforderungen der heutigen Medienlandschaft nicht einlässt. Ein vortreffliches Beispiel dieser Modernität bietet diesbezüglich die unlängst eingerichtete Launische Runde. Ein Gesprächszirkel, bestehend aus fünf angesehenen Launenern, drei Frauen und zwei Männersleute, unter Anführung eines jedes Halbjahr gewählten Vorsitzenden. Ziel und Aufgabe der Runde ist ein öffentliches, wöchentliches Treffen, wobei die Weltprobleme beraten, besprochen und erörtert werden. Wenn’s es geht immer gefolgt von triftigen Ratschlägen und praktischen Lösungen.

Sie haben es erraten: es ist in der Tat ein launischer talk-show. Live ausgestrahlt von dem Regionalfernsehen (Ruhriges Rheinfernsehen) und auf Kanal 34, kostenlos, gratis und mautfrei anzusehen. Wer mag, kann direkt die Runde besuchen (allerdings nur als Zuhörer im Saal) und indirekt mittels internet an der Diskussion beitragen. “Das gerade,“ sagte mir der gelernte Bäckergeselle Josef Hufschmied, “hat die Runde dem Gemeinderat eben voraus. In der Runde ist es nicht möglich Sachen, Meinungen oder Auffassungen zu negieren, geschweige denn zu verschweigen, vertuschen oder verheimlichen.“

Jeden Donnerstagabend, pünktlich um viertel nach Acht, treffen die Rundemitglieder sich im Goldenen Ochsen, ein Wirtshaus annex Saal das Sie direkt hinter dem Ratskeller, dem meist angesehenen Launischen Etablissement, finden. Letzten Donnerstag stand der Vorschlag, eingebracht von Frau Elisabeth Grobstein-Schwager, zur Debatte eine Männerquote einzuführen. Wahrlich ein höchst aktuelles und prangendes Thema. Der Saal war denn auch proppevoll; kaum Platz für Regisseur Egon Fürchterlich und seine Kameramänner.
Was bitte schön, hatte der zu beratende Vorschlag in sich? Worüber stritten sich die Geister? Dazu muss ich kurz die Vorgeschichte schildern.

Es gibt in Launen an der Luhre im ganzen mindestens sieben verschiedene Schulen und fast so viele Schultypen: vier Grundschulen, eine Hauptschule (die Leibnitz Akademie), eine Städtische Realschule (die an der Bahnhofstraße), und ein Gymnasium (das Launische Kantgymnasium). Auch lassen sich zwei Kindergärten und etliche Kinderaufbewahrplätze finden. Daneben gibt es auch noch eine Waldorfschule; was sich dort abspielt weiß man nicht genau.

Die Lehrerschaft besteht aus insgesamt 46 Personen; davon sind 45 Frauen. (Nur der Gymnasiumdirektor ist ein Mann: der ziemlich angesehene Dr. Hans-Otto Bergsteiger.) Viele Launener, sowohl die wissenschaftliche Besserwisser als auch die nicht-wissenschaftliche Sachverständigen, betrachten das Fehlen männlicher Lehrer an den Schulen als ein großes und tief eingreifendes Manko. Daher hat die liebe Frau Grobstein-Schwager, in Namen vieler wie sie sagt, vorgeschlagen ab den 1. Januar 2015 an allen Launischen Schulen ein Männerquotum einzuführen. Mindestens ein Drittel der Lehrerschaft soll aus männlichen Personen bestehen.
Die Frage ob und wie dieses Ziel zu erreichen sei, wurde schon vom Gemeinderat beraten, aber dann doch wieder auf die lange Bahn geschoben. Jetzt aber bemüht sich die Launische Runde um das Thema. Es wurde auch Zeit.

Letzten Donnerstagabend um elf, eine Stunde nach Beendigung der heutigen Runde, traf man sich in dem VIP-Room des Goldenen Ochsen. Ein Schnäppchen oder ein kühles Pilsner war nötig um die Enttäuschung zu verdrängen. Was war geschehen? In der Runde wurde der Männerquotevorschlag weit und breit gelobt. (Nur die Frau Gertrude Köstlich (ehemals CDU) hatte ihre Bedenken.) Die Verwirklichung des Vorschlages aber stieß auf unüberwindliche Beschwerden. Denn ebenso weit und breit ließ sich im Raume Launen an der Luhre kein einziger männlicher Lehrer mehr auftreiben. Sie waren offenbar ausgestorben. Nur das Gymnasium konnte melden, dass ein junger Deutsch-Englisch Lehrer aus dem benachbarten Grünstreifen-an-der-Auer eventuell bereit wäre seinen Standplatz zu wechseln. Wenn das so ist, sagte man, wenn es überhaupt keine Männerlehrer gibt, hat die Diskussion ihre Grundlage und Berechtigung verloren. So klug sind halt die Mitglieder der Launischen Runde.


Wie voll der Saal im Goldenen Ochsen tatsächlich war sehen Sie hier unten. Leider ist kein Mann zu sehen: die sitzen alle an der Theke äußerst rechts und wollen lieber nicht erkannt werden.

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Sonntag, 16. November 2014
Bagatelle 244 - Ausgerechnet ausgezeichnet!
Es ist vor Jahren schon einige Male passiert dass ich, in fernen Ländern angekommen, bemerkte mal wieder vergessen zu haben mir Geld in einer an der Gegend angepassten Währung zu besorgen. Schwierig, denn nicht immer und nicht überall kam man mit Gulden und Dollar weiter. Der erste Gang auf fremdem Boden führte dann zwangsweise Richtung Wechselstube. Eine Tabelle an der Wand erklärte mir wie viele Zloty, Lei, Shilling oder welche fremde Währung auch immer ich bekomme für lumpige einhundert niederländische Gulden. (Die Tatsache, dass es mehrere Wechselkurse gab und gibt: offizielle und weniger offizielle, lassen wir bequemlichkeitshalber für einen Moment beiseite.)
Das Umrechnen von einer Währung in die andere ist manchmal eine Qual. Oder wissen Sie sofort, ohne zu zögern und ohne den Kalkulator in ihrem Smartphone zu Hilfe zu rufen wie viele norwegische Kronen ihre 300 Euro wert sind?
Doch, ich habe früher in der Schule gelernt wie man Währungen umrechnet. Gulden in deutsche Marken, in englische Pfunden, in schwedische Kronen und in österreichische Schillingen. Und umgekehrt. Aber bis heute bin ich immer noch im Zweifel: ich kenne den heutigen Kurs, aber wie war es nochmal, muss man jetzt dividieren oder multiplizieren?

Theo Thijssen, 1879-1943, ein jetzt ziemlich unbekannter niederländischer Pädagoge-Schriftsteller-Politiker, antwortete einst auf die Frage, was er denn wohl gelernt habe in der Grundschule: “Lesen, Schreiben und sonst einige kleine Sachen.“
Zu den sonstigen Sachen hat nebst Lesen und Schreiben sicher auch das Rechnen gehört. Dass zehnjährige Kinder vor hundert Jahren in der holländischen Grundschule rechnen konnten, und zwar alles ohne Kalkulator, möchte ich Ihnen beweisen anhand einer Seite aus dem Rechnen Schulheft (5. Klasse) meines Schwiegeronkels Johan W(esterveld). Er hat es für uns aufbewahrt.

Es ist ein schöner Sommermorgen, dieser 19. Juli im Jahre 1913. Herr Lehrer K(oerselman) hat das Wort.
“Und jetzt die Aufgabe 5. Liebe Kinder, ihr sieht hier eine Tabelle mit acht Kolumnen und sechs Reihen. Die Kolumnen sind Münzen die ihr alle kennt, und zwar von links: gros, cent, stuiver, halve gros, halve cent, kwartje, mark en halve stuiver. Für die zukünftigen Bagatellleser(innen) sag ich, dass der Wert eines gros, eines stuivers, eines kwartjes und einer mark respektive 6, 5, 25 und 60 Cents beträgt. Ihr seht, dass ganz links in der gros-Kolumne schon Zahlen eingeführt worden sind, z.B. in der dritten Reihe 49 gros. Jetzt an Euch die Frage: wieviel Cents sind 49 gros? Und wieviel stuivers, wieviel halve gros, und so weiter und sofort. Zeichnet bitte mit Bleistift die Tabelle nach in euren Rechenheften und versucht die Zellen in der Tabelle alle auszufüllen.“ (Sie merken: Der Herr Lehrer K. spricht ein ebenso schlechtes Deutsch als der Bagatellenschreiber es schreibt..)





Der damals zehnjährige, spätere Schwiegeronkel Johan setzt sich an die Arbeit und als er das Resultat dem Lehrer vorlegt, staunt dieser nicht schlecht. Der Johan hat die schwierige Aufgabe fehlerfrei gelöst. Hut ab! Gut gemacht Johan! rufen wir alle dem Rechenmeister zu. Und der Lehrer K. schreibt in roter Tinte quer durch die gelungene Prüfung das Wort GOED! Und darunter schreibt er das Datum. Es ist tatsächlich der 19. Juli 1913, ein schöner Sommertag, noch vor dem großen, ersten Weltkrieg.
Das waren noch Zeiten wo die Kinder in der Schule etwas richtig Vernünftiges lernten, seufzten hundert Jahre später die unverbesserlich Konservativen.

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Donnerstag, 6. November 2014
Bagatelle 243 - Marmor, Glas und Blech
Wenn das Geld fehlt um sich mit wirklich schönen Sachen zu bereichern, begnüge man sich mit Surrogat. So etwa muss meine Schwiegergroßmutter gedacht haben als sie sich nach neuem Waschmobiliar umsah: sie fand schließlich einen kleinen Tisch mit aufstehendem Spiegel und dazu passendem Regal. Die Tischplatte und die Spiegelumrandung sind bei Leibe nicht aus feinem italienischen Marmor wie es den Anschein hat. Beim näheren Betrachten sieht man es auch: es ist eine Fälschung, weil nur schlichtes, bemaltes Kiefernholz. Ein Quasi-Fachmann, in einer Mischung von grobem Anstreicherkönnen und feinsinniger Malermeistertätigkeit, hat versucht uns reinzulegen.






In dem (schwieger)großelterlichen Schlafzimmer hat sich in dem letzten Jahrhundert – außer der eingetretener Zentralheizung vor vierzig Jahren – fast nichts geändert. Das Waschmobiliar mit der unechten Marmortischplatte steht immer noch an seinem geordneten Platz. Und die Waschutensilien sind alle noch da. Nur das wichtigste fehlt: das Wasser. (Dieses Schlafzimmer war nie auf der Wasserleitung angeschlossen. Man holte sich das Wasser aus der benachbarten Küche.)



Das Glaswerk auf dem kleinen Regal besteht vornehmlich aus einigen kölnisch-Wasser-Fläschen. Nur ist die Marke nicht 4711, sondern die eines der Konkurrenten mit Namen Tosca. Man sieht es vor sich. Am Sonntagmorgen, vor dem Kirchgang, stellt sich die Großmutter vor dem Spiegel, begutachtet ihr Aussehen und gießt vorsichtig einige köstliche Toscatropfen auf ihr frischgebügeltes weißes Taschentuch. Diese Prozedur ließe sich Anno 2014 wiederholen, denn die Flasche ist noch halb voll. Wenn sie den kleinen Schraubdeckel aufdrehen, kommt Ihnen der unverkennbare Tosca(ner)duft entgegen, auch jetzt noch.




In dem kleinen Behälter aus Steingut befinden sich einige merkwürdig anmutende Stückchen Blech. Es sind eine Art Quittungsmarken, metallene Bescheinigungen, die beweisen sollen, dass man die Fahradsteuer für einen bestimmten Zeitraum bezahlt hat. Diese Blechmarken sind aus den Jahren 1934/35. Doch, auch damals gab es schon eine Maut. Nicht von deutschen Besserwissern uns, eifrigen Grenzgängern, auferlegt, sondern von der eigenen, holländischen, Steuerbehörde verordnet. Ich vermute dass dieser Blechstreifen, nachdem er beim Steueramt für teures Geld erworben war, irgendwo am Fahrrad befestigt wurde. Wahrscheinlich wurde eine Stange feierlich umklemmt.



Das Schlafzimmer wurde seit Lebens immer von meinen Schwieger(groß)eltern benutzt. Jetzt nur noch selten, wenn liebe Gäste einen Platz zum Schlafen brauchen. Dann erzähl ich denen auch immer die Geschichte von Marmor, Glas und Blech.

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Donnerstag, 30. Oktober 2014
Bagatelle 242 - Düstere Aussicht
Jetzt wo die Winterzeit das Sommeruhrwerk abgelöst hat, drängen sich düstere Gedanken auf. (Sie wissen: bei uns kommt jedes Halbjahr in den allerfrühesten Morgenstunden (nämlich um zwei) der Zeitverschieber höchstpersönlich und versetzt in einem Schlag alle Uhren um eine Stunde. Vorwärts oder rückwärts, darüber streiten sich jetzt noch die Gelehrten.) Letzten Sonntag war es wieder so weit. Vor allem abends merkt man den Unterschied. Es dunkelt, jetzt Ende Oktober wo der Nebel über die Lande schweift, schon um fünf. Meine Pfauenfamilie bittet schon eine halbe Stunde vorher um ihr Abendbrot.

Gerade in diesen Tagen, wo alle Heiligen uns zu besuchen pflegen, verfolgt von allen Seelen, führt die sich nach vorne ausbreitende, verfrühende Finsternis zu düsteren, melancholischen Gefühlen. Das dauert allerdings nicht lange, jedenfalls bei mir. Aber ich wette mit Ihnen, dass auch Sie sich sehr freuen wenn demnächst die Tage anfangen wieder zu längeren.

Ich übertreibe nur wenig wenn ich behaupte, dass die Finsternis an sich mir wenig Angst und Schrecken einflößt. Natürlich war mir wohl öfters Angst und Bange im Dunkeln, aber immer vor etwas anderem, nicht vor der Dunkelheit selbst, so finster und düster sie auch war. Nein, die Dunkelheit ist mein Freund. Wenn Sie mich bitten abends in völliger Dunkelheit (kein Vollmond, weit und breit keine Beleuchtung) die Abendzeitung aus dem Briefkasten zu holen der sich zweihundert Meter vom Hof entfernt an der Landstraße aufhält, strafen Sie mich damit nicht. Meine Füße kennen den Weg und ich finde auch ohne eine Hand vor Augen zu sehen meinen Weg. Ja, manchmal genieße ich es.

Was mir weniger glücklich macht ist das allmählich Fehlen totaler Finsternis. Licht und Lärm sind immer da. Auch bei uns, auf dem dünn besiedelten platten Lande. Zum Beispiel, wenn ich nachts nicht schlafen kann, in die Küche schleiche und mich vors Fenster stelle, sehe ich in der Ferne eine einsame Straßenlaterne, welche niemandem beilichtet. Das Licht ist so hell dass man fast die im vorigen Abschnitt gerade geholte Abendzeitung lesen kann. Wörtlich und nicht sozusagen.
Der einzige Weg um die Freundschaft mit der Dunkelheit zu feiern ist das Schließen der Augen. So weit sind wir gekommen.

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Donnerstag, 16. Oktober 2014
Bagatelle 241 - Sütterlinarisches Poesiealbumrätsel
Unlängst, vor einigen Tagen, habe ich Ihnen etwas von meiner Nicht-Schwiegermutter Hanna erzählt (Bagatelle 240). Unter das wenige das sie uns hinterlassen hat, befindet sich auch ein geheimnisvolles Poesie-Album. (Früher hatte wohl jedes junge Mädchen solch ein Poesie-Album, in dem Verwandten und Freundinnen so gut und schön es nur ging, ihr zu Ehren, einen Vers schrieben.)
Die Poesie in dem Album mag schlicht und einfach sein, das Lesen und Verstehen ist für einen Aussenseiter und obendrein einen Ausländer eine Qual. Nicht wegen des Textes an sich, sondern wegen der Schreibweise. Die meisten Gedichte sind in der Sütterlin-Schrift (mit Sorgfalt und Mühe, das sieht man) geschrieben worden. Schön, aber völlig unverständlich. Da wird das schlichte Lesen, Verstehen und Geniessen ein Problem.

Auf der ersten Seite schreibt die Hanna selber. Nach einer halben Stunde ist mir halbwegs klar geworden, dass sie hofft dass alle die das Album in die Hand nehmen, mit Freuden in diesem Büchlein schreiben werden.



Und einige Seiten weiter schreibt eine gewisse Berta. Ich vermute (kann aber völlig daneben liegen) dass es die Schwester Berta ist, die der Johanna zuruft auch in Zeiten wo die Lebensstürme toben, stets den Blick nach oben gerichtet zu halten. (Gegen diese Art von Weisheiten hat selbst ein Philosoph wie Kant nichts einzubringen.)



Seit meiner Kindheit lasse ich mir wenig gefallen. Wenn einer zu dem jungen Terra sagte: klettere mal in den Gipfel dieses Kastanienbaumes, das kannst du nie und nimmer, da war der Terra sofort da um das Gegenteil zu beweisen. Was nicht immer ohne Unfälle geschah, aber das ist ein anderes Kapittel.
Spuren von dieser schlechten Charaktereigenschaft lassen sich noch immer finden. So wundert es nicht, dass ich, in dem Gefecht mit der Sütterlinschrift, dachte: was die können, kann ich auch.
Und siehe da: Sütterlin lesen ist sehr schwer, Sütterlin schreiben aber sehr einfach. Daher das folgende traditionnel- niederländische Poesie-Album-Gedicht das ich der lieben Johanna widme.



Für Sie alle die Gelegenheit zu beweisen, dass Sie sowohl Sütterlin als die niederländische Sprache einigermaßen beherrschen. Wer besorgt mir die beste deutsche Übersetzung?

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Montag, 6. Oktober 2014
Bagatelle 240 - Ratschläge für Liebhaber


Das hier ist ein altes, sepiafarbiges Bild, aus den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, das meinen Schwiegervater Hendrik mit seiner Verlobten Johanna (genannt Hanna) zeigt. Hendrik (1905-1987) war zwar schon mein Schwiegervater, die Hanna aber war nicht meine Schwiegermutter.
Die Sache ist so: die Hanna, als deutsches Dienstmädchen vom benachbarten Preußen in die Niederlande gezogen, hatte sich in einen holländischen Bauern verliebt und ihn 1929 geheiratet. Die Heirat dauerte aber nicht lange. Nach einer schweren Krankheit starb die Hanna in 1936. Anfang 1940 heiratete mein Schwiegervater zum zweiten Male, wieder mit einer Hanna. Diese zweite Hanna wurde später meine Schwiegermutter.

Nun aber total etwas anderes. Wer schreibt heutzutage noch? Worte und Wörter und zwar mit Tinte und Feder auf einem weißen Blatt Papier? Und das meist unwahrscheinlichste von allem: gibt es überhaupt noch jemand der einen Liebesbrief schreibt? Meine Nicht-Schwiegermutter Hanna hat es vielleicht getan, denn ich fand in ihrem Nachlass, versteckt in einem der vielen alten Schränke im Hof, ein Büchlein mit dem Titel: “Neuester Briefsteller für Liebende”. (Nebst Anhang: Stammbuchverse und Gelegenheitsgedichte.) Schon der Titel lässt vermuten, dass es sich hierbei um ein literarisches Meisterwerk handelt.



Die erste Abteilung dieses interessanten Werkes enthält Beispiele für schriftliche Liebeserklärungen und Bewerbungen etc. mit zusagenden und ablehnenden Antworten, alle gedruckt in den komischen, schwer zu lesenden Schriftzeichen aus jener Zeit (um 1920). Dass nicht alle Beiträge äußerst ernst und seriös aufzufassen sind, zeigt die folgende hilfreiche Anleitung.

Beispiel eines scherzhaften Liebesbriefes an ein hübsches Mädchen.

Meine innig geliebte Erna,
Ich nehme mir die Freiheit, Ihnen die Versicherung zu geben, daß ich Ihnen notwendig die Augen ausreißen oder mir die meinigen ausstechen muß. Das ist unbedingte Wahrheit. Sie müssen entweder minder schön oder ich muß blind werden; das ist wieder eine Wahrheit. Obgleich mein Leidenschaft so heftig ist, wie die jedes andern Liebenden sein kann, hoffe ich doch, Sie werden nicht erwarten, daß ich mich ertränke oder aufhänge. Sie können es mir glauben, mein Fräulein, daß ich ganz gewiß gesonnen bin, weder das eine noch das andere zu tun. Es hieße beweisen, daß ich sehr wenig Verstand und noch viel weniger Erkenntnis Ihres Verdienstes hätte, wenn ich nur die geringste Neigung zeigte, diese Welt zu verlassen, so lange Sie auf derselben zurückbleiben. Offen gesprochen, mein Fräulein, ziehe ich das Glück, Sie zu sehen, bei weitem dem Ruhm vor, für Sie zu sterben. Ich habe überdies eine viel zu gute Meinung von Ihrer Urteilskraft, um mich nicht überzeugt zu halten, daß Ihnen ein lebendiger Liebhaber lieber ist als ein toter; daß Sie brennende Lippen, bereit tausende Küsse zu geben, kalten, für immer geschlossenen Lippen vorziehen. Muß ich indes sterben, so bitte ich Sie, mich durch Ihre Güte und nicht durch Ihre Strenge zu töten. Viel lieber werde ich in Ihren Armen, als zu Ihren Füßen, sterben. Wären Sie zärtlich geneigt, mir einen Tod dieser Art zu geben, so bin ich bereit, ihn augenblicklich von Ihnen zu empfangen, wann und wo es Ihnen gefällig sein wird. Deuten Sie mir nur Zeit und Ort an, und ich werde nicht ermangeln, meiner schönen Mörderin entgegen zu eilen.
Für immer Ihr Bertrand.


Die Antwort mag lauten:

Sie haben sich offenbar mit mir einen Scherz machen wollen, und ich verzeihe Ihnen dies, indem ich Ihnen die Erklärung gebe, daß ich keineswegs beabsichtige, Ihre Mörderin zu werden. Ich muß Ihnen daher raten, anderwärts unter meinen Schwestern eine so Grausame oder Blutdürstige zu suchen. Ich vermag nichts für Sie zu tun, und hoffe, daß durch diese Erklärung weder meine, noch Ihre Augen in Gefahr kommen.
Mit aller Achtung, Erna.


Brief und Antwort: Beispiele für die ungeahnt hohen literarischen Qualitäten der deutschen Liebesbriefe vor hundert Jahren. Und nicht ohne Humor. So etwas in 2014 schon einmal in einem tweet, sms oder e-mail gelesen oder in einem ipad hineingeschrieben gesehen? Passend zu Ihrem face-book?

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Freitag, 19. September 2014
Bagatelle 239 - Pfauendauergeschichte
Lang ist’s her dass ich Ihnen Neues berichtet habe über unsere Pfauenfamilie. Vielleicht fragen Sie: leben die überhaupt noch, weil der Terra sie niemals mehr erwähnt? Obschon wir bei uns immer behaupten, dass kein Bericht ein guter Bericht sei, ist es in der Tat an der Zeit Ihnen die neuesten Pfauengeschichten zu erzählen.

Fassen wir, für uns selber und für die neu hinzugekommenden de.blogger, die wichtigsten Daten und Fakten zusammen. Die Geschichte fing Anfang 2012 an, als der Pfauhahn Jeroen (so nannten wir ihn) unangemeldet unseren Hof betrat und verkündete ihn nie wieder verlassen zu wollen. 2013 dann, just am 1. Mai, holten eine Bekannte von mir und ichselbst ihm, der gelangweilt und trostlos den ganzen Tag um den Hof herumspazierte, eine Partnerin aus dem benachbarten Ausland, 6 km von unserem Wohnsitz entfernt. Die Partnerin haben wir Jetta getauft, ein Name der mehrmals in der Familienchronik auftaugt. Groß war unsere Freude als anfang Juni die Jetta ihrem Gatten Jeroen mit zwei Pfauenküken beglückte: zwei komisch-putzige Pfauenhänchen. Vorerst noch ohne Namen weil uns bis heute noch kein guter eingefallen ist.
Jetzt ist es 2014. Im April fand ich zufällig im Gebüsch ein Pfauennest mit fünf Eiern. Davon habe ich zwei entfernt, wegen der Gefahr der Pfauenüberbevölkerung. Genau am Himmelfahrtstag diesen Jahres sind zwei frische Küken aus dem Ei geschlüpft. Das dritte Ei war offenbar unbefruchtet geblieben. Munter, kreuzfidel und sehr neugierig, so benehmen sich die Neugeborenen. Vater Jeroen und die beiden Halbbrüder aus dem vorigen Jahr staunten nicht schlecht. Sie benahmen sich fast menschlich: nach außen mit Abstand und scheinbar nicht-interessiert; innerlich aber froh und glücklich.

Bis vor einigen Wochen konnte man beim genauen Hinsehen folgendes feststellen. Mutter Jetta geht, immer von den zwei kleinen begleitet, ruhig und besonnen ihren Gang. Die zwei Vorjahreshänchen gesellen sich ab und zu zu ihnen, oder spielen sonst ihre eigenen Spielchen. Sie üben ihre Flugqualitäten indem sie hoch oben auf das Scheunendach fliegen. Und in diesen schönen Sommertagen lernten sie von ihren Eltern wie man am besten ein herrliches Sandbad nimmt.

Man verträgt sich, so kann man sagen. Beim Abendbrot aber sieht man wer Meister ist. Der Jeroen frisst als erster seine Körner und duldet dabei nur die Jetta mit ihren Kleinen. Die zwei halbwüchsige werden verjagt und sind froh wenn die Alten ihre Mahlzeit beendet haben und hier und dort einiges Essbares hinterlassen. Die Rangordnung steht also fest. Zu richtigen Streitereien ist es bis heute noch nicht gekommen

Bis vor einigen Wochen, so ist es. Immer wieder geschehen auch unvorhergesehene und traurige Vorfälle. Die Geschichte mit dem unbekannten fremden Hund, der Jeroens wunderbarer Schweif fast komplett verwüstet und abgebissen hat, kennen Sie. Vor drei Wochen etwa war wieder Panik in der Pfauenbude. Ein Buzzard war schuld: er hatte sich eines der zwei diesjährigen kleinen Pfauen bemächtigt. Einen ganzen Tag hat sich die ganze Pfauengesellschaft im Gebüsch verborgen gehalten. Jetzt hat die Jetta nur noch ein Küken übrig.

Dem Umständen nach geht es der Pfauenfamilie also gut. Abends steht die Gesellschaft bei der Scheunentüre und wartet auf einen gewissen Terra der so gut ist sie mit einigen Maiskörnern zu verwöhnen. Am liebsten aber ist ihnen der Inhalt der jetzt zu fallen beginnenden Wallnüsse. Leckeres findest du nie, nirgends und nirgendwo.






Jetta mit Nachwuchs




Frühlingsbild 2014: Der Jeroen sitzt oben auf der Pergola; links unten Jetta; die zwei auf der Bank sind die Küken vom Vorjahr




Sowohl eitel als auch neugierig. Daher Mutter Jetta und Küken auf dem Lieblingsplatz auf der Bank und vor dem Fenster. Fotografiert von innen nach außen.




Futtermomentaufnahme. Der Jeroen bittet die Turteltaube (auch ein gern gesehener Gast) sich zu entfernen.

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Freitag, 12. September 2014
Bagatelle 238 - Flussgeschichten
Der A-Strang (oder ist es die A-Strang? Man weiß nie, wie auch bei Rhein und Mosel) ist ein Fluss, der als Bächlein irgendwo im westfalener Land entspringt, dann ruhig fließend die Stadt Bocholt (i.W.) durchquert, unbemerkt die deutsch-holländische Grenze passiert, und weiter als richtiger Fluss in die Alte Issel mündet, die wiederum all ihr Wasser in die échte IJssel abführt, wonach schließlich das IJsselmeer freundlicherweise alles Wasser, deutsch und holländisch, zu sich reinlässt.

Nun will es der Zufall, dass mein Großvater vor vielen Jahren eine große Wiese besaß, diesseits des A-Stranges, nahe des kleinen Staudammes. Diese Weidenfläche wurde Stakenborg genannt, genau wie der Bauernhof jenseits des Stromes. In den früheren Jahren, wo der Wasserhaushalt noch nicht so funktionierte wie heute, kam es oft vor, vor allem in den Wintermonaten, dass die Stakenborgweide voll Wasser stand. Das Strangwasser lief eben über den niedrigen Sommerdeich. Gut, dass der Hof selber an der anderen Uferseite auf einer Hügel stand, so dass Mensch und Tier dort trocken blieben.

Nun hatte ich kürzlich erfahren, dass man mit den Flussarbeiten beim Stakenborgstaudamm fast fertig war. Man wollte dort nicht nur den Staudamm renovieren, man wollte auch das überflüssige Strangwasser durch einen Umweg um den Stau herumleiten um so ein Stück alte Natur ihr Gesicht wieder zurück zu geben. Also zog ich mit Rad und Kamera nach Stakenborg um nach dem rechten zu sehen.

Schön war es geworden, vielleicht zu schön. Das meiste Wasser fällt wie üblich vom Staudamm hinunter; der Rest fließt murmelnd leise durch den Umweg weiter nach Westen. Dieser Umweg kann – darüber hat man sicherlich gut nachgedacht – von den Fischen als Treppe benutzt werden, so dass sie heute, gegen den Strom schwimmend, sich nach dem Flussursprung sputen können.

Zum Schluss eine kleine, wahre Eisgeschichte.
Im Winter wurde oft auf der Stakenborgwiese Schlittschuh gefahren. Mein Opa baute sich dann ein Zelt für den Verkauf von warmen Getränken und bat jede(n) Schlittschuhfahrer(in) um eine Eintrittsgabe (25 Cents). Als Gegenleistung sorgte er dann, mit Sohn und Enkelkinder, dass die Eisfläche ordentlich gefegt wurde.
Eines Jahres hatte es so streng gefroren, dass außer der Wiese auch der Strang selber mit Schlittschuhen befahrbar war. Da kam mein Großvater und streute Salz auf das Strangeis. Er wollte sich von den Eisgöttern den Verdienst auf eigener Wiese nicht nehmen lassen. Es sei ihm verziehen.


Auf dem ersten der unteren Bilder sehen Sie linksoben den neuen Strang-Staudamm in Blau, rechtsoben den Stakenborghof und sonst Teile des neu errichteten Umweges.










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Samstag, 30. August 2014
Bagatelle 237 - Jahrhundertgesang
Vor einigen Tagen brachte eine alte Bekannte mir ein ebenso altes Foto mit dem Bildnis einer jungen Frau. Das Bild kam, so sagte die Bekannte, aus dem Nachlass verstorbener gegenseitiger Verwandten. Es wurde vermutet, immer noch laut der Bekannten, dass es jemand aus meiner eigenen Verwandtschaft sein könnte. Meine Mutter vielleicht?



Sicher, das ist sie. Unverkennbar. Meine Mutter. An diesem Tag hat sie sich, in schönen Stücken gekleidet, dem Fotografen und somit auch uns allen bildlich preisgegeben. Sie zeigt sich uns wie sie ist und auch wie sie von uns gesehen werden möchte, denn offenbar ist ihrer Meinung nach dem Fotografen eine schöne Aufnahme gelungen, was wir sehr bejahen. Sicherlich hat die ganze Verwandtschaft und die Freundinnenschar solch ein Bild bekommen. Damit sie nicht vergessen werde, nun nicht und später auch nicht. So wie sie selber auch Fotos hat von allen Tanten, Kusinen und Freundinnen, wenn vorrätig vielleicht mit Ehemann.

Als die liebe Bekannte und ich uns über dieses Foto unterhielten, fiel mir ein anderes Bild ein. Ein gemischter Gesangsverein ist zu sehen. Meine Mutter war Mitglied dieses Vereins und wenn Sie gut schauen, könnten Sie sie irgendwo in der ersten Reihe finden. Wenn die Töne ebenso geklungen haben wie die Gesichter und Anzüge der geschätzten Mitglieder aussehen, muss es wohl eine ziemlich feierliche und wenig fröhliche Angelegenheit gewesen sein.



Beide Fotos stammen in etwa aus denselben Jahren, so um 1916, mitten im ersten Weltkrieg. Sie sind also fast einhundert Jahre alt. Mich interessiert nun auch, wás der Chor damals gesungen hat. Welches Repertoire? Waren es wirklich klassische Schubertlieder oder mehr heitere Frühlingsgesänge? Aus dem Chornamen lässt sich ableiten dass die Chormitglieder aus evangelischen/christlichen Häusern kamen. Der Chor hieß nämlich: SDG, eine Abkürzung von Soli Deo Gloria. Und für alle die das Lateinische verlernt haben gibt es sofort die Übersetzung: Allein Gott sei geehrt. Es war allerdings kein Kirchenchor.



Der Zufall will, dass von einigen Chordarbietungen aus jenen Zeiten das Programm erhalten ist. So auch vom Konzert am Neujahrstag, den 1. Januar 1916, das in der Dorfkirche zu D. zu hören war. Wie ein solches Konzertprogramm allerhand und unerwartete neue Einsichten in der damaligen Chorpraxis bietet! Zuerst nenne und übersetze ich Ihnen die diversen Chorbeiträge.

1. Kirchenlied
2. Werkmannslied
3. Vaterlandsgruß (von den männlichen Chormitgliedern gesungen)
4. Des Seemannes Los (solo)
5. (Mozarts) Ave Verum
6. Hört ihr die wilden Wellen?
7. Sommerabendlied
8. O, als ich noch ein Kind war
9. Wenn die Schwalbe uns verlässt (solo)
10. Wanderlied
11. Abendstimmen (Quartett)
12. Die Nachtigall
13. Volkshymne (Männerchor)

Offenbar wurde der Gesangsreigen kurz vor der Pause von einer Rede unterbrochen. Das Thema des geschätzten Redners war: das Schöne in der Verherrlichung Gottes. (Ich sehe es schon vor mir: Dutzende von Zuhörer(innen) welche die teuren Worte über sich her gehen lassen und die sich prustend und hustend nach der kommenden Pause sehnen, wo sie sich mit alten Bekannten unterhalten können.)




Was wir auch sagen mögen: das Konzert war sehr abwechslungsreich. Interessant ist auch die Mitteilung dass eine Eintrittskarte im Vorverkauf 25 Cents kostete; wenn ein Sitzplatz reserviert werden sollte immerhin 50 Cents.
Was wir auch gerne hören ist die strenge Anweisung auf dem Programm, dass das Rauchen in der Kirche zu unterlassen sei.

Vieles was so ein altes Bild hervorruft! Wir wissen jetzt wie der Chor aussah und was man sang. Fehlt noch die Beantwortung der Frage: und wie wurde das alles gesungen? Mühsam, grob und falsch oder hell, klar und sauber?

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Freitag, 15. August 2014
Bagatelle 236 - Schulkonzert in F für Blockflöte
In den Jahren wo ich die Pädagogische Hochschule besuchte – lang, lang ist’s her – konnte man an bestimmten Mittwochnachmittagen einige Studenten den großen Turnsaal in eine richtige Konzerthalle umbauen sehen. Rollen Fußbodenbedeckung (Matten aus Kokos) wurden aus dem Keller hervorgezaubert. Andere Studenten sorgten dafür dass genügend Stühle in schicken Reihen darauf einen Platz bekamen. Und noch andere rollten das große Klavier aus dem Musikraum aufs Podium wo es hinter verschlossenen Vorhängen auf seinen Bespieler wartete bis dann um zwei das Schulkonzert anfing.

Während eines solches Konzertes war es todesstille im Saal. Auf husten, mit Stühlen schieben, Unterhaltungen mit dem Nachbarn standen schwere Strafen: vergleichbar mit zwanzig Tagen auf Wasser und Brot. Das Beiwohnen eines Konzertes war Pflicht und weil die wenigsten Studenten die klassische Musik liebten war die Konzertstunde für viele eine Tortur. So nicht für mich.

An diesem Mittwochnachmittag erschienen eine etwas ältere Dame welche die Tasten eines selbst mitgebrachtes Cembalo berührte, ein Herr samt Cello, und ein noch sehr junger Musikant der Blockflöte spielte. Aber wie! Ich war so beeindruckt dass ich Ihnen bis heute die Namen der Musiker fehlerfrei aufsagen kann. Die Dame war Frau Janny van Wering, der Herr hieß Carel van Leeuwen Boomkamp (Solo-Cellist im Amsterdamer Concertgebouworchester). Der Blockflötenvirtuose hieß Frans Brüggen. Damals mit 25 Jahren schon einer der weltbesten Blockflötenspieler überhaupt.

Der damalige Hochschuldirektor hatte die gute Angewohnheit nach einem Konzert die Musiker für eine Tasse Tee und eine angenehme Nachrede in sein Zimmer einzuladen. Dazu gesellten sich meistens auch noch die Musikdozenten und ein Student, nämlich ein Mitglied der dreimonatlich erscheinende Schulzeitung. Weil ich die klassische Musik liebte únd Mitglied der Redaktion war habe ich einigen dieser Teerunden beigewohnt. So auch diese.

Links von mir saß der Hochschuldirektor und rechts der Herr van Leeuwen Boomkamp. Gegenüber saß Frans Brüggen der mich etwas argwöhnend aber nicht unfreundlich ansah. Worüber das Gespräch handelte weiß ich nicht mehr, weil ich mich sehr darum bekümmerte fehlerfrei Tee zu trinken und den Kuchen zu genießen. Wohl weiß ich dass Frans Brüggen sich sehr darüber verwunderte wie ruhig und höflich sich das geehrte junge Publikum verhielt. Als die Gäste sich anschickten zurück in den fernen Landeswesten zu fahren und alle das Gespräch für beendet sahen, sagte der Schuldirektor zu mir: “Nun mach mal einen schönen Beitrag daraus für eure Zeitschrift.“



An diese Gesprächsrunde und an dieses Konzert musste ich denken als ich vorgestern hörte dass der Herr Brüggen verstorben sei. Fast achtzig Jahre alt wurde er. In der Zeit nách dem Konzert habe ich ihn niemals weder gesehen noch mich mit ihm unterhalten. Aber seine LPs habe ich noch. Auch einige CDs worauf das Orchester des Achtzehnten Jahrhunderts, dessen Gründer und Dirigent er war, Musik alter Meister spielt auf eine Art und Weise wie, laut Brüggen, es die Komponisten meinten. Authentisch, versteht sich.
Am Ende seines Lebens dirigierte Frans Brüggen – ein alter, gebrechlicher Mann, auf einem Stuhl sitzend, mit kleinen abgemessenen Gebärden – sein Orchester das Beethovens Eroica vertonte wie Beethoven es sich vielleicht (denn man weiß nie) gewünscht hätte.


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Sonntag, 3. August 2014
Bagatelle 235 - Feuergefährlich
“Weißt du,“ fragte mich mein alter ego, als ich ihm unlängst beim Morgenzähneputzen im Badezimmerspiegel begegnete, “dass du nicht gerade bekannt bist um den Tiefgang in deinen bagatellarischen Geschriften?“ Und mit den Worten: “Du scheinst auch im Wählen von banalen, alltäglichen und sogar albernen Themen ein Meister zu sein. Hat man dir das schon mal gesagt?“ rieb er noch mehr Salz in die Wunde. Der Klimax wurde erreicht als er schließlich endete mit der Bemerkung: “Aus zuverlässiger Quelle habe ich, nebenbei gesagt, auch erfahren, dass du sogar einen Text schreiben kannst über Gipfel der Albernität, zum Beispiel über das Streichholz. Stimmt das?“
Ich ließ mir nicht anmerken wie sehr mich diese Sätze trafen. Sondern beantwortete nur seinen letzten Aufruf. ‘Einen Text verfassen über das Streichholz? Natürlich kann ich das!‘ Und fing an folgendes zu schreiben.

Von Hause aus und von Geburt an bin ich eigentlich ein Semi-Pyromane. Ich liebe es drinnen im Kamin den Holzofen anzuzünden und draußen den Stapel trocken-brennbares Abfall. Vielleicht ist es eine Sache der Vererbung. Mein Vater hat als Neunjähriger die große Scheune neben dem elterlichen Bauernhof angezündet. Und aus sehr zuverlässiger Quelle weiß ich, dass meine liebe Kusine D. vierzig Jahre später über den denselben Hof einen roten Glut erscheinen ließ. Ich selber habe einmal auf unserem eigenen Dachboden, wo wir das Brennholz für den kommenden Winter aufbewahrten, zusammen mit dem Nachbarsjungen ein kleines Feuer gelegt. Um die Flammen unsichtbar zu machen legten wir Torf darauf. Gut dass unser Dienstmädchen bemerkte dass etwas gründlich daneben zu gehen drohte. Worauf sie flux mit Wasser und Eimer das Feuer löschte. In allen Fällen war nur von Sachschaden die Rede.

Zum Feuermachen braucht man Streichhölzer. Ich weiß, es geht auch ohne, aber ich kann es nicht. Lange ist es her das ich bei den Welpen war. Welpen sind, wie Sie wissen, Junior-Pfadfinder. Alt und groß geworden erreichte man die Stufe der richtigen Pfadfinder. Dort, erzählte man mir, lernst du Feuer zu machen. Ohne Streichholz. Wie? Mit einem kleinen Stock – hin und her bewegend zwischen deinen Handflächen – Reibungswärme zu erzeugen wodurch trockenes Gras zu brennen anfängt. Diese Kunst habe ich mir niemals bemächtigt, denn als ich alt genug war um in die richtige Pfadfinderei einzutreten, hatte ich angefangen heimlich dann und wann auf dem Schulweg von meinem Freund H. eine Zigarette zu kaufen (eine Halbe kostete damals 5 Cents) und diese, immer Genuss vorwendend, zu rauchen. Seit dieser Zeit hatte ich immer Streichhölzer dabei.

Was immer Sie auch behaupten mögen, das Streichholz ist eine wunderbare Erfindung. Gerade weil im Kern so simpel und so auf der Hand liegend. Ein Stöckchen, dessen Kopf liebevoll in einer Sirup artige Masse getauft worden ist welche man absichtlich mit ein bisschen Phosphor angereichert hat.
Das Abstreichen eines Streichholzes ist ein faszinierendes Ritual. Zuerst ist da die Wahl der Streichrichtung. Egozentriker streichen immer in Richtung des eigenen Körpers. Leute die es gut mit anderen meinen dagegen streichen meistens von-sich-ab, achten Sie mal darauf. Oft muss man wiederholte Male Abstriche machen bevor das Streichholz anfangen will zu brennen. Sehen Sie sich bitte auch das Ausblasen an! Manche Leute pusten was der Atem her gibt und das Zeug hält. Andere, vor allem die Zigarrenraucher unter uns, geben ihrem Mund eine rundliche Form wonach sie vorsichtig gegen die Flamme hauchen.



Wir können verschiedener Meinung sein, und ich möchte keine Werbung für irgendetwas machen, aber die Schwalbe ist allen anderen überlegen. Das betrifft den zierlichen Zugvogel, das gilt auch dem Streichholz. Qua Qualität unübertroffen.
Wie oft habe ich mir den prächtigen Vogel - der mit der komischen Schweife im Munde auf der Schachtel - angesehen. Und wie stolz und kräftig klang meine Stimme als ich laut den in großen Buchstaben geschriebenen Text las: SÄKERHETS TÄNDSTICKÖR! Wörter deren Bedeutung man nicht kannte, die aber sehr überzeugend und Furcht erregend klangen!

Es gibt eine schöne, ehrlich wahre, Geschichte über ein Streichholz die ich Ihnen nicht enthalten möchte. Während einer Visite im elterlichen Haus sah ich einen lieben, schon etwas ältereren Onkel eine Zigarre anzünden, das Streichholz ausblasen und das zu meiner Überraschung wieder in die Schachtel legen.
„Warum, lieber Onkel, tun Sie das?“ fragte ich. “Was hat ein so abgebranntes Streichholz in der Schachtel zu suchen? “Nun,“ erwiderte der Onkel, “den lasse ich mir versohlen!“



Das nenne ich erst richtig ökologisch verantwortlich handeln. Von nun an verwenden wir nur gerecyclede (ich meine geresaikelde) Streichhölzer. “Warum auch nicht!“ sprach ich zu meinem alter ego als der mich fragte ob meine Bagatelle über das Streichholz schon fertig war.

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Mittwoch, 30. Juli 2014
Bagatelle 234 - Applaus ohne Beifall



Der Sturm der Entrüstung über die Flugkatastrophe mit der MH17 in der Ukraine ist noch längst nicht ausgewütet, schon dringt eine neue Diskussion in unsere Gesprächsrunden hinein. Die Rede ist vom Applaudieren oder Beifall klatschen.

Wie Sie wissen, sind die Überreste der fast zweihundert niederländischen Opfer per Flugzeug nach Eindhoven gebracht worden. Von dort aus wurden die Leichnamen in einer sehr feierlichen Prozession nach Hilversum gefahren um dort identifiziert zu werden. Die ganze Prozedur wurde an drei Tagen life im niederländischen Ersten Programm übertragen, von 16.00 bis 20.00 Uhr etwa. Entlang der Autobahnen und auf Viadukten und Brücken unterwegs standen tausende Mitbürger um ihr Mitgefühl zu zeigen. Blumen wurden auf die Autos geworfen und sowohl bei der Abreise in Eindhoven als auch bei der Ankunft in Hilversum konnte man klatschender Beifall hören.




Applaus: das gegenseitige Berühren der Handoberflächen, sei es vorsichtig vornehm, leise, höflich und politisch korrekt, oder kräftig tobend und von fröhlich einstimmenden Geräuschen begleitet, kannten wir eigentlich nur aus den Opernhäusern, Theatern, politischen Jahresversammlungen und Sportplätzen. Nach einer Callas-Aria in Turandot (2. Akte) oder nach einer wunderbaren FC-Bayern-Torwartrettung in letzter Minute vereinten wir uns in stürmischem Geklatsche. (Manchmal sogar begleitet von einzelnen bravo-Rufen.)
Mancherorts wurde niemals applaudiert. Im niederländischen Parlament zum Beispiel. Oder in der Kirche, auch nicht wenn der Pfarrer eine brillante, gefühlvolle Predigt gehalten hatte welche die Herzen der Kirchgänger traf. Bei Beerdigungen war jeder Beifall unpassend und tabu.

Beifall klatschen hat zu tun, behaupte ich mal, mit Begriffen wie Bewunderung, Zustimmung, Anerkennung, Preis und Lob für erbrachte Leitungen, aber auch mit Identifikation. Wie gerne wäre sie nicht die Sopranistin die so herrlich die Verdi-Aria in den Saal hinein schleuderte! Wie gerne wäre ich nicht der Mittelstürmer der das Tor des Jahres schoss!

Das Applaudieren beim Begräbniszügen ist vom Süden zu uns geflogen, von Ländern wie Italien oder Spanien, wo die Leute sowieso eher ihre Gefühle den freien Lauf lassen. Dem Tod wird nicht applaudiert, weder dem Anlass. Man fühlt sich gleichsam mit dem Verstorbenen verwandt; man möchte seine Verbundenheit mit den Angehörigen zeigen. Man möchte trösten: sich selber unter allen Mitklatschenden und die Hinterbliebenen.

Ist ein Begräbnisapplaus notwendig oder unvermeidlich? Nein, natürlich nicht. Die Frage alleine ist eine Beleidigung für alle welche ihr Mitleid Beifall klatschend zeigen. Aber manchmal bittet die Situation uns stillschweigend zu trauern.

Eigentlich erinnert mich die Situation auch an eine Geschichte aus den ersten Jahren nach dem Kriege. (Nicht selber so erfahren, sondern erzählt bekommen vom Vater.) Pfeifen, auf den Fingern blasen und also schrille Töne produzierend, war in vielen Situationen not done und verpönt. Zum Beispiel in feierlichen Angelegenheiten und in den heiligen (Musik)hallen. Gepfiffen wurde im Theater wenn die Artisten völlig versagten und eine Anti-Vorstellung zum Besten gaben. Bis amerikanische und kanadische Soldaten, unterwegs in Europa, im Konzert nach einer gelungenen Musiknummer laut pfiffen als Zeichen der Anerkennung. Seitdem darf ruhig gepfiffen werden. Und bei Begräbnissen darf man applaudieren.


Nachruf: nach wie vor hasse ich das rhythmische Klatschen am Ende einer Darbietung, das aus dem Osten zu uns kam, aufs schärfste. Es erinnert zu viel an Marschierenden.

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Freitag, 25. Juli 2014
Bagatelle 233 - Halbmast



Vorgestern hing die Flagge auf halbmast. Nicht nur bei mir zuhause, sondern auf allen öffentlichen Gebäuden sowieso und daneben an zahllosen Wohnungen. Rot, weiß und blau. Auch Oranje war vertreten: die Königin Maxima und König Willem-Alexander fühlten sich betroffen wie jedermann unter uns.
Weshalb diese Feierlichkeiten? Wir “feierten” die Rückkehr in die Niederlande der vielen Menschen die bei der Flugkatastrophe in der Ost-Ukraine ums Leben kamen. Oder sagen wir so: die Rückkehr der Menschen, auf dem Weg in die Ferien oder sich freuend auf kommenden Tätigkeiten am anderen Ende der Welt, an deren unschuldiges Leben ein jähes Ende kam: ihr Flugzeug wurde sehr wahrscheinlich von Terroristen mit einer Rakete abgeschossen. Keiner überlebte: sehr viele waren Niederländer, Menschen wie mein Nachbar und ich. Wut und Trauer über das Geschehene bestimmten nicht nur die Inhalte der Medien. Wir alle, die Landsleute, hatten nur ein einziges Gesprächsthema.
Warum, wieso, weshalb: tausende Fragen gehen uns durch den Kopf. Warum mussten diese unschuldigen Ferienreisende sterben? Wieso konnte es passieren? Hätte man .., sollte man .., und so weiter.

Statt einer unfruchtbaren Ursachenforschung handelt diese Bagatelle über ein ziemlich neues Phänomen. Am Tage, wo die ersten Opfer der ukrainischen Flugkatastrophe nach Hause kamen, ordnete die niederländische Regierung einen Nationaltrauertag an. Anordnen ist zu schroff gesagt; man bat uns höflich die Fahne auf halbmast zu hissen und an dem Moment wo die beiden Flugzeuge mit den ersten Leichnamen in Eindhoven den niederländischen Boden berührten, war es im ganzen Lande sehr stille. In dieser Gedenkminute war die, doch immerhin ziemlich differenzierte, niederländische Bevölkerung sich einig.

Nun bin ich, ehrlich gesagt, kein großer Befürworter nationaler, staatlicher Feiertage. Weder beim erfreuend Jubelschreien bei Weltmeisterschaften, noch bei tieftraurigen Ereignissen. Nicht dass ich anti-national wäre. Ich bin lieber a-national oder international. Dieses Mal aber hatte der Gedanke an einem nationalen Trauertag mein Einverständnis. Weil sie als ein Angebot betrachtet werden sollte, nicht als eine dringende Aufforderung.

Deshalb hing bei mir die Flagge halbmast. Für nur sehr wenige war das sichtbar, denn mein kleiner Bauernhof liegt ziemlich abgelegen irgendwo im niederländischen Binnenland. Aber darum geht es natürlich auch nicht. Ich will nicht gesehen werden, ich will meine Anteilnahme ausdrücken. Ich denke dabei an die trauernden Familien, an die Verwandten, an die Hinterbliebenen. Eine stille Trauerminute, eine Flagge auf halbmast, das ist wohl das mindeste was man tun kann.


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