Montag, 8. Februar 2010
Bagatelle XL - Brilleputseklud
Nehmen wir an – for the sake of the story – dass sich neulich eine etwas düstere Person an meine Hintertür meldete und um Eintritt bat. Und lasst uns ebenfalls der Hypothese trauen, dass es sich bei dieser Person um die berühmtberüchtigte Journalistin Karin Lassmichbitte von der Zeitung ‘Der morgige Tag’ handelte. Sie wolle etwas wissen über mein Sehvermögen, sagte sie. Weil ich nicht immer die Rolle des großen Verweigerers spielen will, stimmte ich zu. Und so können Sie im folgenden etwas lesen über entscheidende Augenblicke aus meiner Brillengeschichte.



Seit Jahr und Tag tragen Sie eine Brille? Wieso eigentlich?
(Wenn ich so etwas höre, habe ich die unwiderstehliche Neigung zu sagen dass dies wieder eine dieser fantastischen, grenzüberschreitenden Anfangsfragen ist. Nachher frägt sie mich vielleicht auch noch wie es denn fühle, eine Brille zu tragen.)
Aber zuerst die nackten Tatsachen. Als ich zehn Jahre alt wurde, bekam ich meine erste Brille. So eine, mit runden, in Metall gefassten Gläser. Hinter den Ohren flexible, eiserne Haken welche auf die Dauer schlimm weh taten.
Ein vermindertes Sehvermögen gehört übrigens bei uns zur Familie. Mein Vater war so kurzsichtig, dass er eine Brille tragen musste mit erstaunlich dicken Gläser, die beim geringsten Husten fast aus dem Rahmen fielen. Auch meine Schwester hatte ein solches Sehgerät auf ihrer hübschen Nase, das sie aber verabscheute als schadete es ihrer Schönheit (was nicht der Fall war).
Auch mich ekelte die Brille an. Sie hinderte ja sehr beim Fußball und bei allerhand sonstigem Unfug. Ich musste sie vor allem in der Schule tragen, weil ich sonst die Aufgaben welche mir der Schulmeister auf der Tafel anbot, nicht lesen konnte und deshalb falsch löste. Und das traf mich, einen der sonst eine Eins Plus bekam für’s Buchlesen und Geschichtenschreiben. Die Folge war schon, dass meine Brille mehr in ihrem Häuschen verblieb als auf meiner Nase. Das war aber nicht klug, sagte ein befreundeter Bauer der im Frühling bei uns den Garten besorgte, zu mir. Er habe einen Bekannten gehabt der auch die Brille nicht tragen wollte und der jetzt das Gebot des Hausarztes auszuführen hatte vierzehn Tage mit seinen Augen auf dem Stuhl sitzen zu müssen. Ich erschrak sehr und seitdem hat die Brille meine Nasenbrücke nicht mehr verlassen.

Wenn Sie schon solch einen Widerwillen gegen die Brille hatten, warum, könnte man fragen, trugen Sie keine Linsen?
Natürlich werde ich der geschätzten Journalistin Lassmichbitte mein Alter nicht verraten, sonst könnte sie wissen dass es damals, als die Geschichte spielte, noch gar keine Linsen gab. Aber, sagte ich ihr, hätte es die gegeben, dann hätte ich keine Linsenfeuchtigkeitsfüllungen gebraucht. Weil ich nämlich von Hause aus ein Heulpeter erster Güte bin. Damals und noch heute. Beim Geringsten – eine Katze die bei Rot die Ampelwarnung ignorierend die Straße überquert – tropfen die Tränen. Nein, wenn schon Linsen, denn in der Suppe. Übrigens, ich werde ihnen meine Brillensammlung zeigen. Urteilen Sie selbst.



Kann es sein dass ich bei einer Ihrer Brillen ein eingebautes gläsernes Lesestückchen sehe?
Sie sehen also mehr als ich vermute. Aber, bitte, sie haben recht. In der Tat habe ich einmal den Fehler gemacht mir eine solche Brille zu besorgen, mit der man, laut Gebrauchsanweisung, sowohl fern als auch kurz sehen konnte. Und zwar mittels eines eingeschliffenen Lesepartikelchen. Einsicht wurde nicht garantiert. Eine Brille für das weitliche Panorama also und zugleich eine Lesehilfe. Ich benutzte diese Brille nicht nur um meine geliebte Gattin tief in die Augen zu sehen, sondern auch um meine eigenen Bagatellschriften lesen zu können. Bifokal, geschweige denn multifokal, waren damals unbekannte Größen. Und schwer waren diese doppelzielgerichteten Brillen! Nein, ungeeignet für mich und alle anderen die sonst in ihrem Leben schon so vieles zu tragen hatten.



Was, bitte, ist der letzte Stand der Dinge Ihrer Sehenskraft betreffend? Gibt es günstige Voraussichten? Und was, ich komme zum Schluss, könnten Sie uns diesbezüglich auf unseren Lebensweg mitgeben?
Anders als Sie vielleicht denken mögen, geht es bei mir mit den Jahren mit dem Sehvermögen aufwärts. Vieles, zum Beispiel Sätze, Wörter und Bilder auf dem Komputerbildschirm kann ich ohne Brille ausgezeichnet sehen, lesen und bewundern. Für Sachen die eine Weit- und Fernsicht erfordern, bediene ich mich einer Leichtgewichtbrille die ich zierlich auf und ab setze. Eine Lesebrille ist nicht nötig. Ich lese alles was Hand und Fuß hat, und das alles ohne Brille. Und wenn Sie mit aller Gewalt auf eine Sehberatung beharren, so kann ich nur sagen: wenn Sie versuchen zu sehen: öffne die Augen. Weit offen, unbeschwert und unvoreingenommen. Nicht sehen, sondern wahrnehmen. Trauen Sie Ihren Augen. Aber glauben Sie nicht alles was Sie sehen. Und freuen Sie sich jeden Tag über alles Schöne was es zu sehen gibt.

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Ohne "Brilleputseklud" verschwindet auch für mich die Welt hinter Schlieren... Ach, zierlich die Brille auf- und absetzen, das hat doch was! Danke für diese schöne Bagatelle.

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Östlich Ihrer Gegend
gab es eine Fischgaststätte, in der jedem wortlos die Brille geputzt wurde, legte man sie auf den Tresen. Es sei ihre einzige Leidenschaft, erklärte die Bedienung ungefragt jedem, der dabei erstaunt dreinschaute. Ein Brillenputztuch (Brilleputseklud?) benutzte sie dabei nicht. Sie nahm nach dem Wasserbad ihre baumwollene Schürze. Aber vielleicht ist das ja daselbe (Klud – Kleid?). Auf jeden Fall habe ich danach nie wieder so klar gesehen.

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